Missing Link: China, Hongkong und der Westen – Schlacht der Narrative

Seite 4: Zukunft Hongkongs

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In vielen anderen Staaten hat das Reich der Mitte die geweckten Erwartungen in die Unterstützung von Infrastrukturmaßnahmen vor Ort laut Noubel aber nicht erfüllt. Wenn angekündigte Projekte nicht durchgeführt würden, gebe es meist keine Begründung dafür. "Widerstandsnester" existierten auch in unmittelbarer Nähe des riesigen Landes. In einem Dorf in Kirgisistan nahe der Grenze mit 5000 Bewohnern etwa hänge ein Deal seit fast zehn Jahren in der Luft, mit dem die Chinesen dort ein Logistikzentrum eröffnen wollten. Trotz versprochener hoher Investitionen hielten Gegner in der Gebirgsregion mit der "nationalistischen Karte" und Anspielungen auf eine drohende Okkupation dagegen.

Die Zukunft Hongkongs ist für den Experten, der zehn Jahre in China gearbeitet hat, noch nicht ganz entschieden. Taiwan sei bis 1970 eine Diktatur gewesen, habe sich aber erfolgreich gewandelt und verschiedene "chinesische Identitätsformen" anerkannt. Noubel zufolge hat das chinesische Volk es verdient, "dass seine eigene Diversität widergespiegelt wird". Hongkong sollte daher nicht auf eine Ethnie eingeschränkt werden. Das offizielle Narrativ in Peking laute, die Sonderverwaltungszone sei "politisch tot und sehr langweilig". Dort gehe es nur ums Geld.

US-Medien berichteten jüngst auch über eine neue weltweite Online-Kampagne der chinesischen Regierung, um ihr Image aufzupolieren und Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen zu entkräften. Soziale Medien weltweit würden mit gefälschten Konten geflutet, "um eine autoritäre Agenda voranzutreiben", schrieb die New York Times. Parallel würden Online-Kritiker des Staates aufgespürt und unter Druck gesetzt.

"Chinesische Beamte greifen auf private Unternehmen zurück, um Inhalte auf Anfrage zu erstellen, Anhänger zu gewinnen, Kritiker zu verfolgen und andere Dienste für Informationskampagnen anzubieten", notierte die Zeitung unter Verweis auf Ausschreibungsunterlagen, die Einblicke in die Propagandamaschine gewährten. "Diese Tätigkeit findet zunehmend auf internationalen Plattformen wie Facebook und Twitter statt, die die chinesische Regierung im Inland blockiert."

Im Mai 2020 hatte laut dem Bericht die Schanghaier Polizei ein Gesuch im Internet veröffentlicht, in der private Auftragnehmer um Angebote für ein solches "Meinungsmanagement" gebeten wurden. Das Ziel: Hunderte gefälschte Konten auf großen westlichen Social-Media-Plattformen möglichst schnell einzurichten und darüber Diskussionen zu steuern. Solche Bot-ähnlichen Netzwerke hätten in den vergangenen zwei Jahren zu einem "starken Anstieg des pro-chinesischen Online-Verkehrs geführt".

Für die neue Bundesregierung wird der Umgang mit der Großmacht im Fernen Osten derweil zur außenpolitischen Glaubensfrage. Im Koalitionsvertrag hat das Ampel-Bündnis vereinbart, "strategische Abhängigkeiten" von China reduzieren zu wollen. Die Grüne Annalena Baerbock kündigte noch vor ihrer Wahl zur Außenministerin an, nach US-Vorbild Importverbote für Produkte aus Xinjiang einführen und so ein Zeichen gegen die Unterdrückung der uigurischen Minderheit setzen zu wollen. Die chinesische Botschaft hielt dagegen, man brauche Brücken- statt Mauerbauer. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) soll Xi Jinping parallel wissen gelassen haben, dass sich in den Beziehungen zwischen beiden Ländern nicht viel ändern werde.

(tiw)