Missing Link: Die Sicherheit und Zukunft der Energieversorgung

Als "Letztmaßnahme" könnte es nötig sein, dass in einem geordneten Verfahren Lasten im Stromnetz abgeschaltet werden, heißt es bei einem großen Betreiber.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 341 Kommentare lesen

(Bild: Pushish Images/Shutterstock.com)

Lesezeit: 20 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Sicherheit der Energieversorgung treibt die Bundesbürger in diesem Winter infolge Russlands Angriffskriegs auf die Ukraine und des damit verknüpften Gas-Stopps besonders um. 31 Prozent – vor allem Ostdeutsche (40 Prozent) und AfD-Anhänger (51 Prozent) – glauben laut dem RTL-Trendbarometer, dass es in den kalten Monaten zu zeitweiligen Abschaltungen der Stromversorgung kommen wird. Gut ein Drittel hat nach eigenem Bekunden Vorsorge getroffen für den Fall, dass die Energielieferung für den eigenen Haushalt unterbrochen wird. Dies erfolgte etwa durch den Kauf von elektrischen Heizgeräten oder eines Holz- oder Kaminofens.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Auch sonst treiben Energiethemen die Politik, Verbraucher und Wissenschaftler um, etwa bei der Debatte über ein neues Strommarktdesign und das Abschöpfen von "Zufallsgewinnen".

Eine Neuorientierung in dem gesamten Bereich könnte viele Vorteile haben. Bei einem flexiblen Energiemarkt mit Möglichkeiten für Bürger und Unternehmen, selbst unbegrenzt Strom aus Photovoltaik- und Windanlagen ins Netz einzuspeisen, mit dynamischen Tarifen gekoppelt mit intelligenten Stromzählern, virtuellen Kraftwerken, Batterie-Pooling etwa über Elektrofahrzeuge und Smart Grids könnten die Verbraucher in der EU Milliarden pro Jahr einsparen. Zugleich ließen sich jährlich 37,5 Millionen Tonnen Treibhausgas-Emissionen vermeiden. Dies geht aus einer ersten Studie zu "Flexibilität auf der Nachfrageseite" beim Energieverbrauch hervor.

Im zweiten Teil des Interviews mit Michael von Roeder, Digital- und IT-Chef des Berliner Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz, geht es daher um die Belastbarkeit der Energieversorgung durch neue Erzeuger im Heimbereich, mögliche Blackouts im Winter, Smart Meter als Basis für die Energiewende und Ladekapazitäten für die E-Mobilität. Zum Anfang des Gesprächs stand die Initiative von 50Hertz und dem Mutterkonzern, der belgischen Elia Group, im Vordergrund, eine Open-Source-Plattform für die Energiewirtschaft aufzubauen und so "Internet-Effekte" für die Branche zu erschließen.

heise online: Was droht im Winter im Stromnetz? Ein Heizlüfter-Debakel? Wie sieht es mit der vielbeschworenen Blackout-Gefahr aus?

Michael von Roeder: Das kann man schwer vorhersagen. Doch es ist extrem unwahrscheinlich und es gibt derzeit überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, dass in diesem Winter ein flächendeckender Stromausfall droht. Als Blackout bezeichnen wir einen unkontrolliert laufenden kaskadierenden Effekt, der große Teile des Gesamtsystems spannungslos stellt. Das Risiko für ein derartiges Extremereignis halten wir durch umfangreiche Maßnahmen zur Sicherung der Systemsicherheit dauerhaft möglichst klein – diesen Winter ebenso wie auch sonst.

Michael von Roeder

(Bild: 50Hertz)

Fest steht: Schwankende Erzeugung im Stromsystem, also dass plötzlich der Bodennebel verschwindet und so mal mehr Sonne vorhanden ist oder eine Sturmfront über das Land zieht – das ist unser normales Geschäft. Damit arbeiten wir täglich und das Team in der Systemführung macht da einen guten Job mit fast 70 Prozent Anteil Erneuerbaren bei uns im 50Hertz-Netzgebiet. Eine der Aufgaben eines Stromnetzbetreibers ist es, Angebot und Nachfrage immer in Echtzeit in Einklang zu bringen. Wir prüfen, ob die zuständigen Marktteilnehmer das korrekt machen, und justieren gegebenenfalls nach, indem wir das Marktgeschehen dann am Ende physikalisch austarieren durch Einsatz von Regelenergie.

Wie geht das Austarieren?

Zunächst prüfen wir über die sogenannten Fahrpläne, ob das System ausgeglichen sein wird – also genau so viel elektrische Energie verbraucht wie erzeugt werden wird. Stimmt diese Gleichung nicht, treten wir in Kontakt mit den betreffenden Marktteilnehmern und fordern sie auf, mehr Strom zu kaufen oder zu verkaufen. Wenn über den Markt etwa ein Volumen von einem Gigawatt aufgrund von Prognosen angefordert ist – aber plötzlich sind es in Realität dann doch 1,1 Gigawatt, dann müssen wir 100 Megawatt Regelenergie einsetzen, damit die Bilanz stimmt.

Es könnte aber schon passieren, dass die "Reserven" nicht mehr ausreichen. Wenn etwa alle um 18:30 Uhr ihre neu gekauften Heizlüfter erstmals anschalten, was – nebenbei gesagt – für den Einzelnen teuer würde, müssten dann eventuell als Letztmaßnahme Lasten aktiv abgeschaltet werden. Dies würde nach einem geordneten, diskriminierungsfreien Verfahren zusammen mit den Verteilungsnetzbetreibern erfolgen.

Was bedeutet das konkret?

Es kann sein, dass in einzelnen Regionen Deutschlands vorübergehend einzelne Verbraucher zeitweise abgeschaltet werden müssen. Das können große Industrieunternehmen sein, die direkt an das Übertragungsnetz angeschlossen sind. Aber vor allem sind es die nachgelagerten Verteilnetzbetreiber, die dann ein bestimmtes Kontingent an Leistung angewiesen bekommen, die sie diskriminierungsfrei reduzieren müssen durch regionale Stromunterbrechungen. Das Risiko dafür ist in den Lastzentren in Deutschland in diesem Winter am höchsten.

Die meisten dürfte das nicht ganz beruhigen.

Die Blackout-Gefahr wird medial derzeit sehr getriggert, obwohl es keine wirklichen Anhaltspunkte dafür gibt. Die Rede ist von der Möglichkeit, dass es bei einer anhaltenden Dunkelflaute in Verbindung mit sehr niedrigen Temperaturen in Verbindung mit ausbleibenden Stromimporten aus Nachbarländern in Verbindung mit ausbleibenden Brennstofflieferungen für Kohlekraftwerke zu zeitweiligen Lastabschaltungen in einzelnen Regionen kommen könnte. Wie gesagt: könnte. Das wird aber nicht als Blackout bezeichnet, sondern ist ein kontrollierter Prozess, um die Systemsicherheit aufrechtzuerhalten.

Übertragungsnetzbetreiber sind sehr sicherheitsorientiert. Das ist ihr Geschäft. Da wird eher zu früh auf ein Risiko hingewiesen als zu spät. Eine solche Abschätzung war ja auch der sogenannte Stresstest, den die Bundesregierung in Auftrag gegeben hat. Und daraus sind Vorsichtsmaßnahmen entstanden, die jetzt umgesetzt werden. Beispielsweise wird im Winter über viele Freileitungen mehr Strom übertragen als normalerweise technisch vorgesehen. Das schafft schon mal Entlastung. Der Test hat gezeigt: Wir kriegen das Netz stabil gefahren trotz dieser Gasmangellage. Zudem wurden Kohlekraftwerke an den Markt zurückgebracht, weitere Reserven aktiviert und auch die Atomkraftwerke sollen etwas länger laufen als geplant.

Wie sieht es 2023 und die Folgejahre aus?

Einige behaupten, der Winter 2023 wird noch kritischer. Dazu kann ich keine ehrliche Aussage machen, das wäre Glaskugel-Leserei. Das hängt von vielen Faktoren auch in anderen europäischen Staaten ab, wie sich dort die Versorgungslage entwickelt. Und niemand weiß, welche Wendung Russlands Krieg gegen die Ukraine nimmt mit dieser unvorstellbaren Zerstörungswut, die jetzt gegen die Elektrizitätsversorgung und gesamte Infrastruktur gerichtet ist. Die Antwort auf diese Frage ist also keine deutsche. Wir können das nicht isoliert betrachten. Das europäische Verbundnetz ist die größte Maschine der Erde. Wir sind von Schweden bis Portugal alle miteinander verbunden, von der Ukraine bis Westfrankreich. Das ist ein großes Sicherheitsnetz. Aber wie immer gibt es Schwachstellen, die man genau betrachten und beseitigen muss.

Wie lässt sich im EU-Verbund nachsteuern? Wie weit gehen da die Belastbarkeiten?

Wir müssen mit zunehmender Einspeisung von Erneuerbaren die Kapazität der sogenannten Interkonnektoren ausbauen. Das sind die Verbindungen zwischen den Ländern. Sie spielen eine zentrale Rolle, um das gesamte europäische Stromverbundnetz besser austarieren zu können und auf schwankende Witterungsverhältnisse und damit volatile Einspeisung – mal mehr Wind im Norden, mal mehr Sonne im Süden – reagieren zu können. Das hat aber auch Grenzen. Es ist nicht so, dass wir ganz Deutschland mit französischer Kernkraft versorgen könnten. So viel Leitungsausbau könnten wir gar nicht machen, das wäre volkswirtschaftlich nicht vertretbar und auch eine fatale Abhängigkeit.

Aber wir müssen diese Verbindungen ausbauen, damit es zu weniger Netzengpässen kommt. Wir diskutieren in der EliaGroup gerade über eine Leitung zwischen Norwegen und Belgien. 50Hertz plant einen Interkonnektor nach Schweden und eine weitere Leitung nach Dänemark, in die bei der Insel Bornholm mehrere Windparks integriert sein sollen. Elia baut vor der Küste Belgiens eine künstliche Energieinsel mit Leitungen nach Großbritannien und Dänemark. Da passiert ganz viel gerade.

Sollten Gas- und Strompreis entkoppelt werden?

Merit Order ist auf einmal in aller Munde: Das ist weder ein Gesetz noch eine politische Entscheidung. Es handelt sich um eine Beschreibung von Preisbildung auf einem Markt für gleichwertige Güter. Ob das Öl, Gas oder Strom ist, ist bei dieser Frage egal. Es geht also um die Darstellung eines Marktphänomens.

Das Strommarktdesign wurde seit der Liberalisierung von 1998 implementiert und ist extrem komplex. Daran herumzufummeln, ist brandgefährlich. Wir reden von Echtzeit-Stromhandel: Wir handeln Strom sehr langfristig mit sogenannten Futures, aber auch sehr kurzfristig an Strombörsen am sogenannten Spotmarkt. Hier ist es nicht so wie bei Aktien, sondern der Strom muss auch geliefert werden können. Wir müssen also die Physik gleichzeitig berücksichtigen.

Ein Beispiel: Jemand kauft jetzt für eine Viertelstunde soundsoviele Megawattstunden aus Schweden. Dann muss dieser Handel zu einer bestimmten Zeit auch wirklich stattfinden am Markt. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass man in diesen 15 Minuten genügend Leitungskapazität zwischen Deutschland und Schweden hat, um den Strom überhaupt herzubringen. Zudem ist zu gewährleisten, dass nicht alles aus der Balance gerät, wenn man die Summe aller Transaktionen am Markt übereinanderlegt und dann in physikalische Echtzeit-Strommengen überträgt. Diese Themen müssen alle miteinander verbunden werden.

National ist da vermutlich wenig zu machen?

Änderungen am Design können nicht national stattfinden, denn das ist aktuell europäisch. Alle angeschlossenen Staaten müssten also dafür stimmen. Das ist schwierig: Die Änderungen wollen die Politiker aus dem nationalen Energiemix heraus machen. Deutschland hat da etwa einen anderen als Frankreich oder Bulgarien. Wenn wir jetzt die Gaspreise hier deckeln, dann würden die Franzosen sich freuen. Denn dann produzieren wir ja hier mit subventioniertem Gas Strom und der geht – schwupp – nach Frankreich, weil er plötzlich billig ist. Weil wir einen freien Handel haben.

Welche Herausforderung stellt der Einbezug von Solar- und Photovoltaikanlagen auf Dächern und Balkonen, deutlich mehr Windrädern, E-Autos sowie generell neuer Anbieter im Verbraucherbereich dar? Wie sieht es aus mit der stärkeren Flexibilität auf der Nachfrageseite?

Die erste Riesenhürde ist das deutsche schwierige Design des Smart-Meter-Rollout. Das ist in anderen Ländern besser, daraus sollten wir lernen. Auf die hohen Anforderungen besteht das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) momentan.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will das ändern.

Dazu gibt es einen intensiven Austausch mit dem Bundeswirtschaftsministerium und der Bundesnetzagentur. Wir arbeiten dabei auch mit Start-ups zusammen. Eines davon – Decarbon1ze – versucht, die Flexibilitäten hinter dem intelligenten Stromzähler anrechenbar zu machen und zu managen ("Behind the Meter"). Aktuell sind die Smart-Meter-Vorschriften recht komplex und noch nicht vollständig ausdefiniert. In Zukunft muss das alles super flexibel sein, damit die Vorteile auch beim Endkunden ankommen. Da sind wir als 50Hertz dafür, die anderen Netzbetreiber haben wir teils auf unserer Seite.

Wir müssen komplexe Flexibilitäten heben. Das könnte so weit gehen, dass man virtuelle Flexibilitäten hat. Heute werden diese in Regelzonen ("balancing zones") gehandhabt. Die sind geografisch aufgeteilt. 50Hertz hat Ostdeutschland und Hamburg. Das gilt auch auf der Verteilnetzebene: Der eine hat weite Teile Sachsens, der andere Thüringen, der nächste Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Doch wo steht das geschrieben im Zeitalter von IT und Digitalisierung?

Was wäre eine Alternative?

Man könnte ja auch alle Wärmepumpen oder alle Elektroautos oder sogar Toaster innerhalb einer Regelzone oder auch übergreifend für Deutschland adressieren. Wir müssen weg von diesem veralteten, fest verdrahteten Ansatz hin zu einer Virtualisierung. Das geht aber nur, wenn wir überall Smart Meter haben. Wir müssen sogar hinter die Messgeräte kommen, damit wir die dortigen Flexibilitäten einzeln angehen können. Dazu gibt es ein Papier von der Elia Group zu einem "Customer centric market design". Darin machen wir recht konkrete Vorschläge.

Unser jüngster Hackathon war genau zu diesem Thema, also etwa zu der Frage, wie können wir Wärmepumpen netzdienlich ansteuern? Das gilt auch für E-Fahrzeuge. Da müssen wir die Autoindustrie noch überzeugen. Es gibt drei große Sektoren, die in diesem Beritt kollidieren oder vielleicht auch einmal zusammenwachsen: der Energie-, der Mobilitäts- und der Technologiebereich. Jeder versucht hier momentan, seine Pfründe zu sichern.

Bleiben wir bei den E-Autos. Der Begriff "Netzsteuerung" führt da bei vielen Verbrauchern zu der Furcht, nicht um 18:30 Uhr ihr Gefährt laden zu können.

Der Otto-Normal-Verbraucher hat da tatsächlich Angst, das verstehe ich auch. Aber er will doch letztlich, dass er am nächsten Morgen eine gewisse Anzahl von Kilometern fahren kann. Das Vertrauen müssen wir schaffen. Das Zweite ist, die Verbraucher sollten Anreize bekommen. Wir müssen als Gesellschaft registrieren: Wir wollen mehr als 10 Millionen E-Autos bis 2030 auf dem deutschen Markt haben. Nehmen wir an, jedes davon hat eine 75-Kilowattstunden-Batterie: Wir können es uns volkswirtschaftlich nicht leisten, dieses Potenzial nicht zu heben.

Welche Anreize könnten helfen?

Beispiel: Wenn du uns die Steuerung überlässt, dann kannst du einstellen: Bitte laden, wenn auf der Ostsee gerade Sturm ist und wir zu viel Strom im Netz haben. Das geht dann für fast null Euro. Wenn du unbedingt laden willst um 18 Uhr, wenn alle ihre Geräte ans Netz hängen, dann kostet die Kilowattstunde halt 80 Cent. Wenn du den Mittelweg nimmst und sagst, dass dein Auto morgen 8:00 Uhr bitte eine Reichweite von mindestens 40 Kilometer haben soll, dann kostet die Kilowattstunde vielleicht 15 Cent. Flexible Tarife wären also die eine Möglichkeit. Die andere wäre es, den eigenen Akku als Regelenergie zur Verfügung zu stellen. Das heißt: Wir können da Strom aus den Batterien rausziehen, wenn wir zu wenig Leistung haben. Dafür gibt es eine Entlohnung.

Was hat der Verbraucher noch davon?

Der Schlüssel ist das Setzen von Anreizen. Das kann zusätzlich auf gewisse Zwecke ausgerichtet sein, wie: Willst du mit deinem E-Auto auch zur Klimaneutralität beitragen? Dasselbe gilt für Wärmepumpen: Auch da kann ich den Warmwasserbehälter voll bis zum Rand machen und später nutzen. Damit wird die Stromrechnung für den Konsumenten geringer und das Verfahren ist netzdienlich. Das ist das Modell, auf das wir hinaus müssen.

Wer sitzt bei der Einführung von flexiblen Tarifen am Schalter?

Das muss die Regulierungsbehörde machen und wir arbeiten mit ihr daran, dass wir dort hinkommen. Am Drücker sind also die Bundesnetzagentur und ihr europäisches Pendant ACER. Was wir als Elia-Gruppe auch machen: Wir haben jetzt eine Kooperation mit Elli, dem Anbieter für Energie und Ladelösungen von Volkswagen, um voranzukommen. Es gibt da natürlich ein Konkurrenzdenken, wer hat denn die Hosen an in diesem Markt. Aus unserer Sicht sind es natürlich die Energiefirmen, denn sie haben die Verantwortung fürs Netz. Am Ende geht es aber nur gemeinsam.

Was braucht man für das angestrebte Smart Grid jenseits von intelligenten Stromzählern?

Nötig ist natürlich auch Software, damit man das ganze steuern kann. Dafür setzen wir auf die beschriebene Open-Source-Plattform, um Innovationen auch von außen einzubinden. Die entsprechenden Anwendungen müssen überall vorhanden sein. Wir müssen auch weg von den Kraftwerkfahrplänen hin zu einem Echtzeitsystem. Dieses Koordinationsinstrument stammt aus einer Welt, in der wir wenige große Kraftwerke hatten. Jetzt, wo es viele dezentrale Erzeuger gibt, muss man sich in Echtzeit absprechen. Basis müssen auch hier offene Standards sein, denn die Hardware ist teuer, sie muss zertifiziert sein. Das muss alles viel leichter werden. Ich würde sogar weiter gehen und sagen: Lieber schlaue Software und dumme Hardware ohne komplexe Embedded-Systeme nehmen.

Welche Rolle spielen die Erneuerbaren generell bei der Transformation?

Die 50Hertz-Strategie lautet, dass wir von 60 auf 100 Prozent Erneuerbare in unserem Netz bis 2032 wollen. Da liegt noch eine gewaltige Wegstrecke vor uns, denn insbesondere der Ausbau der Windkraft an Land bleibt weit hinter dem zurück, was erforderlich wäre. Bei der Photovoltaik (PV) läuft es etwas besser, aber auch da könnte man noch mehr Marktkräfte entfesseln, indem man etwa unsinnige Regelungen abschafft, die den Ausbau behindern. Es ist zum Beispiel kaum möglich, dass eine Schule oder ein Verwaltungsgebäude Nachbarn ebenfalls mit Strom versorgt. Dafür wäre ein bürokratischer Aufwand erforderlich, mit finanziellen Nachteilen. Das nimmt niemand auf sich.

Welche Funktion haben die Netzbetreiber da noch?

Ohne Netzbetreiber geht es nicht, weder auf der Übertragungsnetz- noch auf der Verteilnetzebene. Du kannst ja auch nicht Telekommunikation ohne Kabel machen. Einige Leute sagen: Wir wollen das Netz gar nicht haben, wir zahlen keine Gebühren dafür, wir machen uns stromautark. Ok. Wenn jemand eine PV-Anlage hat plus Speicher und sich dann vom öffentlichen Netz physikalisch trennt – dann wäre das verständlich. Aber so ist es ja nicht. PV-Anlagen sind fast immer an das öffentliche Netz angeschlossen, sie speisen Strom ins Netz – und umgekehrt fließt an den meisten Stunden im Jahr Strom rein. Dieser Aspekt wird von vielen ausgeblendet.

Das bedeutet, trotz beziehungsweise gerade wegen der ganzen Dezentralität muss man das Netz ausbauen und internationalisieren. Denn der Transportbedarf wächst, je mehr Erneuerbare wir haben an den Standorten, an denen die Bedingungen gut sind. Und all das muss solidarisch über Netzentgelte von allen bezahlt werden, da können sich nicht einzelne ausklinken, weil sie ein wenig eigenen Strom erzeugen.

Aber grundsätzlich ist es natürlich gut, dass sich jetzt auch jeder Normalverbraucher ein kleines Balkonkraftwerk installieren kann. "Power to the masses", lautet die Devise. Dahinter steht das gleiche Muster wie in der IT-Revolution: Anfangs gab es Mainframes. IBM hat geschätzt, wir brauchen maximal sechs Computer weltweit. Heute hat jeder mit dem Smartphone so ein Ding in der Hosentasche. Aber auch diese Entwicklung führte dazu, dass die Übertragungswege – ob Breitbandkabel, Glasfaser oder Mobilfunk – massiv ausgebaut werden mussten.

Zurück zu Wärmepumpen. Die gelten mit als Ausweg aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Ist das Hype?

Das ist die gleiche Logik: Entscheidend ist, wie netzdienlich sie sind. Wir sprechen hier von Sektorenkopplung. Die Wärmewende schaffen wir nur, wenn wir nicht mehr Moleküle verbrennen, sondern Elektronen anliefern. Es gibt ja den großen Streit: Wird Energie am effizientesten über Moleküle, also etwa durch Erdgas und Wasserstoff, oder über Elektronen, also Strom transportiert. Es ist offensichtlich: Wenn ich aus Solar- und Windenergie Elektronen erzeuge, die dann wieder in Moleküle umzuwandeln und im Haushalt zu verbrennen, ergibt keinen Sinn. Es ist viel schlauer, diese Elektronen direkt zu verwenden.

Das heißt?

Wärmepumpen transformieren Strom direkt in Wärme ohne Verbrennungsprozess. Dabei hat man zwar auch Energieverluste, weil man eine gewisse Zahl an Kilowattstunden Strom aufwenden muss, um soundsoviel Kilowattstunden Wärme zu generieren. Aber die Technik wird immer besser mit höheren Jahresarbeitszahlen, daher werden sie eine Schlüsselrolle spielen. Übrigens nicht nur in Haushalten, sondern auch für Prozesswärme. Es gibt inzwischen auch dafür Wärmepumpen, die können bis zu 220 Grad erzeugen. Das reicht jetzt nicht für Hochtemperatur, aber für einen großen Teil der industriellen Prozesse, die heute noch mit Gas befeuert werden.

Das Gute an der Wärmepumpentechnologie ist vor allem, dass man sie netzdienlich einsetzen kann. In einem Pilotprojekt mit Viessmann loten wir derzeit aus, wie man die entsprechenden Anreize setzen kann, damit Verbraucher mit ihren Wärmepumpen einen Beitrag zu Stabilität des elektrischen Gesamtsystems leisten.

(bme)