Missing Link: OLPC-Projekt – ein Laptop für jedes Kind

Seite 2: Start der Massenproduktion

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Im Juli 2007 war es schließlich so weit: Der XO geht in die Massenproduktion. Auch bei der Auslieferungslage sah es gut aus: Brasilien ist zwar abgesprungen, doch Ruanda will mit 100.000 Laptops starten. In Südamerika sind Paraguay und Uruguay interessiert, zwei sehr unterschiedliche Länder. Im armen Paraguay wurde nach dem Wahlsieg des linksliberalen Fernando Lugo die OLPC-Unterstützungs-NGO Paraguay Educa gegründet, im reichen, kleinen Uruguay wurde der Plan Ceibal gestartet, ausgeschrieben der "Conectividad Educativa de Informática Básica para el Aprendizaje en Línea".

In Paraguay wurden dank der Unterstützung der SWIFT Foundation 10.000 Laptops angeschafft und der Testregion Caacupé verteilt. Hier mussten Freiwillige von Paraguay Educa und Eltern erst einmal dafür sorgen, dass Strom in den Klassenzimmern vorhanden war und die Schulen WIMAX-Antennen und eine Internetverbindung bekamen. Später musste die NGO noch Wi-Fi auf der zentralen Plaza von Caacupé installieren, damit die Schülerinnen und Schüler außerhalb der Schulzeiten einen Internet-Zugang hatten.

Beim größer aufgezogenen Plan Ceibal wurden im Jahre 2008 zunächst 450.000 XO-Laptops, 2010 noch einmal 550.000 Laptops bestellt, die aber nicht generell im Schulunterricht eingesetzt werden sollten. Mit "Ceibal en Ingles" sollten die Laptops nur den Englischunterricht begleiten und das verfassungsmäßig garantierte Recht der Kinder auf das Erlernen einer zweiten Sprache absichern.

Parallel zu diesem Ansatz wurden Techniker als Admins in den Schulen ausgebildet. Der Plan Ceibal orderte direkt bei Quanta ausreichend Ersatzteile, die man auch nach Paraguay und Peru verkaufte. Dort wurden mit der Unterstützung von SWIFT und der Weltbank insgesamt eine Million Laptops angeschafft und großflächig in den ländlichen Gebieten verteilt, in denen Schulen stellenweise nicht einmal über Elektrizität verfügten.

Bereits im Jahr 2009 war der OLPC-Hype vorbei. Beim Rundgang über die FOSDEM fand sich nur noch ein einziger XO, die "Special Interest Groups" um den kleinen Rechner waren nicht mehr anwesend. Auch in den Ländern, in denen die rund 3 Millionen Laptops ausgeliefert worden waren, war der Enthusiasmus nicht besonders groß. Am besten schnitt offenbar Uruguay ab, das für den Englischunterricht bald auf Tablets und modernere Laptops setzte und bis heute am Plan Ceibal arbeitet.

In ihrem Buch "The Charistmatic Laptop", das von ihrer Feldforschung in Paraguay berichtet, nennt Morgan Ames die Gründe für den Absturz: Bereits bei ihrem ersten Besuch des Projektes im Jahre 2008 waren 35 Prozent der XO-Laptops defekt. An erster Stelle standen mit deutlichem Abstand die ausgefallenen Netzteile, an zweiter die gebrochenen Bildschirme. Während die Reparaturarbeiten am Bildschirm von der NGO Paraguay Educa bezahlt wurden, mussten alle Ersatzteile von den Eltern der Schülerinnen und Schüler selbst bezahlt werden. Damit wurden die armen Familien gleich noch einmal ausgeschlossen – die Netzteile versagten überwiegend dort, wo die Stromversorgung unregelmäßig war.

Vielleicht der eindrücklichste Teil der nunmehr als Buch veröffentlichten Feldstudie ist der, der von den Lehrerinnen und Lehrern berichtet, die unverzagt mit den Rechnern arbeiten wollten. Rund 45 Minuten brauchte es, bis eine Klasse überhaupt zum Unterricht am XO bereit war. Davor mussten je nach Stoff Gruppen um einen Rechner gebildet werden, während die Lehrkräfte mit einem USB-Stick herumliefen, um die benötigte Software wie etwa Tux Paint wieder aufzuspielen: Bedingt durch den geringen Speicherplatz des XO löschten die Kinder regelmäßig so weit wie möglich alle Programme, um ihre aus dem Schul-Internet geladenen Anime Games nach Hause bringen zu können, wo es kein Internet gab.

In ihrem Buch lässt die Technik-Ethnologin kein gutes Haar am Projektleiter Nicholas Negroponte und dem theoretischen Kopf hinter dem Projekt, dem Pädagogen und Informatiker Seymour Papert. Gleichzeitig wird Alan Kay überhaupt nicht erwähnt. Das ist insofern verwunderlich, als Kay auf etlichen Konferenzen im Beisein von Negroponte für das OLPC-Projekt Werbung machte, während Papert kaum mit dem Projekt befasst war. Auf die Frage, was aus dem OLPC-Projekt geworden ist, können wir mit Nicholas Negroponte, dem Philosophen des asynchronen Lebens so antworten, wie er das nächste Projekt im Jahre 2011 beschrieb: "Wir nehmen dann diese Tablets und werfen sie aus Hubschraubern über den Dörfern ab, die weder Internet noch Schulen haben. Ein Jahr später kommen wir zurück und schauen, ob die Kinder lesen können."

(bme)