Missing Link: QAnon – Verschwörungstheoretiker, Extremisten, Politiker

Seite 5: Das Ende von 8chan

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Das Manifest zum Christchurch-Massaker vom 15. März 2019 mit 51 Toten und 50 teils schwer verletzen Menschen beließ Ron Watkins, Administrator von 8chan, auf dem Board. Mit den maximal möglichen 750 weiteren Einträgen in dem Thread schloss er sich automatisch. Ron Watkins löschte den geschlossenen Thread auf 8chan nicht und erklärte, wenn er das täte, würde er den Attentäter unsterblich machen. Das Manifest selbst sei Watkins zufolge nichts Illegales und seine Website durch Section 230 – Plattformen haften nicht für die Inhalte der Nutzer – geschützt, so seine Begründungen damals.

Anders als bei dem Angriff auf die Moscheen in Christchurch reagierte er am 27. April 2019, als ein weiterer Attentäter sein Manifest auf 8chan hochgeladen hatte. Bei dem Anschlag in Poway (Kalifornien) auf die Chabad-Synagoge kam ein Mensch ums Leben und drei weitere wurden schwer verletzt. Das Manifest und den Thread löschte Watkins innerhalb von Minuten. Der Täter hatte neben antisemitischen auch Anti-Trump-Botschaften veröffentlicht.

Am 3. August 2019 gab es einen weiteren rechtsextremistischen Anschlag auf einen Walmart-Supermarkt in El Paso (Texas), bei dem 22 Menschen getötet und 24 weitere teilweise schwer verletzt wurden. Sein vierseitiges Manifest veröffentlichte der Täter ebenfalls auf 8chan und weiteren Plattformen. Noch bevor Cloudflare dem Board von Watkins im August 2019 nach dem El Paso-Amoklauf den Stecker zog, habe Fredrick Brannon Aussagen zufolge eine Abschaltung 8chans gefordert und im Hintergrund Kontakt zu Cloudflare aufgenommen. Mit "Irre leiten ein Irrenhaus" bezeichnete Brennan damals Jim und Ron Watkins und das Imageboard.

Nach dem El-Paso-Massaker bestanden US-Parlamentarier auf Antworten und ermittelten zusammen mit den philippinischen Behörden. Der Ausschuss für Heimatschutz des US-Repräsentantenhauses lud Jim Watkins zur Klärung seiner Maßnahmen gegen extremistische Inhalte ein. Zuvor versuchte Watkins mit einem Registrar-Wechsel 8chan schnellstmöglich wieder online zu bringen – nur mit kurzzeitigem Erfolg. Das Board blieb offline und Q war aufgrund seiner 8chan-Exklusivität vorerst verstummt. Der Bewegung, die sich in den USA und weiteren Ländern ausgebreitet hatte, tat das keinen Abbruch.

Neben Hoffnungen und wilden Spekulationen von Fredrick Brennan, dem Gründer von 8chan, über Steve Bannon und General Flynn bis zu Donald Trump standen immer wieder unterschiedliche Personen zur Diskussion, die sich hinter dem geheimnisvollen "Q" verbargen. "Q" selbst habe von sich behauptet, dass "nur zehn Menschen weltweit ihn identifizieren könnten – darunter lediglich drei Personen, die keinen militärischen Hintergrund hätten". Deshalb wurde lange Zeit ein hochrangiger Militär- oder US-Beamter mit höchster Sicherheitsfreigabe hinter Q vermutet.

Einer der Autoren des Kollektivs Luther Blissett, die unter dem frei verwendbaren Sammelpseudonym eine Reihe von Falschmeldungen in Italien lancierten und den Roman "Q" veröffentlichten, in dem ein mysteriöser Q im 16. Jahrhundert im Auftrag des Papstes spioniert und seine Briefe mit Q unterschreibt, stand ebenfalls unter dem Verdacht, "Q" zu sein – was von einem der Autoren dementierte wurde. Der Roman erschien 1999 und gilt als wahrscheinlich die bislang kommerziell erfolgreichste Open-Content-Publikation überhaupt.

Ron Watkins habe damals mit "Q" Kontakt aufgenommen, um ihn auf dem Board seines Vaters zu halten. Der "Super Secure Tripcode" kam dazu gelegen. Die Zweifel Paul Furbers an der Echtheit der späteren Q-Drops wurden ebenfalls von Ron dementiert, denn Ron Watkins ist allem Anschein nach Q – wenn auch nur der Zweite. In der HBO-Reihe von Cullon Hoback hat Jim Watkins sich in einem Gespräch mit dem Filmemacher versehentlich geoutet.

Ron Watkins bei einem Event in Florence (Arizona)

(Bild: By Gage Skidmore, CC BY-SA 3.0)

Im September haben Wissenschaftler aus der Schweiz und Frankreich zwei Personen als möglichen "Q" ausgemacht. Mithilfe forensischer Linguistik und künstlicher Intelligenz haben das Schweizer Sprachanalyse-Start-up OrphAnalytics und die französischen Wissenschaftler Qs Schreibstil mit Texten und Posts in sozialen Netzwerken verglichen. Der Analyse zufolge stimmen die ersten Q-Drops ab 2017 mit dem Stil von Paul Furber aus Johannesburg überein, auf dessen CBTS-Board Q aktiv war. Die späteren Drops wurden dem französischen Team zufolge mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit Ron Watkins zugeordnet.

Das erklärt auch den Streit zwischen Paul Furber und Ron Watkins, wonach Furber behauptete, dass es nicht mehr Q sei, der die Informationen veröffentliche. Gegen den Board-Administrator Watkins hätte der User Furber in diesem Fall eher keine Chance gehabt. Auch nach dem Wechsel von 8chan auf 8kun, der zu Beginn von technischen Problemen begleitet wurde, soll außer Q niemand in der Lage gewesen sein irgendetwas zu posten, was einem Administrator ebenfalls möglich gewesen wäre. Darauf angesprochen, erklärte Watkins, dass er selbst nicht wisse, "wie Q das gemacht hat".

Jim Watkins ist auch Betreiber der Website und des Youtube-Kanals "The Goldwater", auf dem "ein informativer Blick auf die alternativen Schlagzeilen" geboten wird – unter anderem über Aliens und wie viele Menschen die Clintons bereits ermordet hätten. Eine Goldwater-Angestellte betrieb demzufolge den Twitter-Kanal "IWillRedPillYou", der aktuell gesperrt ist, in Anlehnung an das Erwachen in der Realität (Matrix). Auf "The Goldwater" seien überwiegend Theorien von 8chan und QAnon aufgegriffen worden, die auf dem Youtube-Kanal und der Website zu "Alternativen Nachrichten" wurden.

Jim Watkins

(Bild: By Fredrick Brennan (User:Psiĥedelisto) - CC BY-SA 4.0)

Jim Watkins und sein Sohn Ron Watkins erklärten in Hobacks Dokumentation immer wieder, dass sie sich weder für die Politik noch für "Q" interessierten. Jim Watkins reagierte: "Q? Das ist doch so ein Spinner aus Star Trek, oder nicht?" Sowohl Vater als auch Sohn waren aber stets bestens informiert, widersprachen sich häufig selbst und ein gewisses Interesse an der Verbreitung von Zwietracht, Misstrauen, Angst und Chaos ist ihrem Verhalten zufolge beiden nicht abzusprechen.

Kurz vor dem 6. Januar erklärte Ron Watkins auf Twitter "Die Mutter alle Bomben abzuwerfen". Er hätte Informationen direkt aus dem weißen Haus. Zu dem Zeitpunkt soll Ron Watkins auf Twitter mit Bezug auf die Reichweite und Präsenz den zweitstärksten Account nach Donald Trump besessen haben. Geholfen haben soll ihm ein "unglaubliches Tool", das den Twitter-Algorithmus manipuliere und zu mehr Reichweite verhelfe. Der ehemalige US-Nachrichtendienst-Mitarbeiter und technische Direktor der NSA Bill Binney soll bereits zuvor auf Watkins zugegangen sein und ihm die Software angeboten haben, um Q zu mehr Reichweite zu verhelfen. Offizielle Beweise gibt es dafür bisher nicht.