Missing Link: Taiwan – Netzfreiheit und Desinformationen im Schatten Chinas

Seite 2: Gegenwehr durch Fact-Checking

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Digitalministerin Audrey Tang hat in einem Interview kürzlich erläutert, dass man der Desinformation durch Fact-Checkers – und zwar sowohl professionelle Organisationen als auch durch Crowd-Projekte wie das Fact-Checking durch Schüler und Studierende – zu Leibe rücke. Wie gut funktioniert diese Gegenwehr ihrer Einschätzung nach?

Der Besuch des Taiwan Faktencheck Center hat mich skeptisch gemacht. Dessen Leiterin, Summer Chan, hat mir in fast atemloser Weise die Arbeit der Non-Profit-Organisation dargestellt und dabei wurde klar: Das hat was von einem kontinuierlichen Feuerwehreinsatz. Während die Fact-Checker ein Feuer löschen, lodern gerade nebenher zig andere auf. Ohne regulativen Rahmen für die Medienlandschaft wird es schwer, die Situation grundlegend zu verändern – auch wenn die Fact-Checker-Industrie hochprofessionell arbeitet.

Sehr spannend fand ich übrigens, dass zur Identifikation der Desinformationsquelle die Wahl der chinesischen Zeichen herangezogen wird. Kurzzeichen, also die vereinfachte Form der Schriftzeichen, deuten eher auf die Volksrepublik hin. Denn Taiwan hat noch die kompliziertere klassische Variante, und es gibt auch Unterschiede in der Semantik in den beiden so unterschiedlichen chinesischen Staaten.

Ich möchte noch mal nachhaken, ist wirklich Medienregulierung das Mittel der Wahl?

Es erscheint mir einfach nicht sinnvoll, Geld an Fact-Checker zu vergeben, während zugleich jungen Journalisten das Handwerkszeug, Geld und Zeit fehlen, vor einer Veröffentlichung ihre Fakten zu prüfen. Also ich denke, es bedarf so etwas wie eines Code of Conduct. Es könnten auch Gremien im Stil unserer Rundfunkräte geschaffen werden, in denen gesellschaftliche Gruppen vertreten sind. In Taiwan wird intensiv darüber nachgedacht. Audrey Tang hat andererseits offenbar gerade mit Google ein Abkommen geschlossen, mit dem sich Google verpflichtet, bessere Berichterstattung zu finanzieren. Die Frage ist, ob man damit nicht auch Geld einem Modell nachwirft, das sich nicht bewährt hat.

Wie stark setzt man auf Bildung als Mittel der Gegenwehr?

Digital Literacy, das habe ich schon in Singapur gesehen, ist mehr als nur eine Floskel. Wir reden darüber ja auch in Europa, aber hier [in Taiwan] wird sehr viel mehr getan. Hier gibt es etwa verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen, die in dem Bereich aktiv sind. Teilweise sind das die Fact-Checker, die Kurse einerseits für Journalistinnen anbieten, andererseits aber auch an Schulen gehen und dort Menschen weiterbilden. Eine interessante Initiative ist die Kuma Akademie von Kuma Shen. Die Akademie bietet Kurse in ziviler Selbstverteidigung, aber eben auch in Medienbildung an. Um möglichst viele Taiwanesen durch seine Kurse schleusen zu können, bekam Shen kürzlich 32 Millionen Taiwan-Dollar (964.000 Euro) vom Mikrochip-Tycoon Robert Tsao. Spannend finde ich, dass Shen ursprünglich auch aus dem Fact-Checking-Umfeld kam. Er hat auch selbst dazu beigetragen, das technisch zu perfektionieren, kam aber eben zu dem Schluss, dass man Desinformation nicht durch Fakten bekämpfen kann. Also verband er zivile und digitale Selbstverteidigung. Das ist eine Antwort auf die Bedrohung durch China und hat so eine eigene taiwanesische Note, die man bei uns nicht kennt.

Findet sich das Thema Medien- und Computerausbildung auch in den Curricula der Schulen?

Ob das in den Curricula unterkommt, kann ich nicht sagen. Allerdings gehen die erwähnten Organisationen mit ihren Kursen direkt in die Schulen. Generell spielt digital literacy hier eine größere Rolle als bei uns. Genauso wie die Digitalisierung eine höhere Priorität hat. Vernetzung ist hier ein akzeptierter Anspruch.

Es gibt auch ein Grundrecht ...

Ja, man hat einen Anspruch hier und Digitalisierungsfragen haben, auch wegen der Wirtschaft, eine hohe Priorität. In Deutschland ist das bis heute nicht in gleicher Weise angekommen. Ich denke, da macht sich auch bemerkbar, dass sich kein Regierungsmitglied Digitalisierungsfragen so zu eigen macht, dass diese dann wirklich ganz oben auf der Agenda stehen. Es ist eine Frage der politischen Kultur und das ist in den beiden Ländern, in denen ich jetzt war, radikal anders. Dort weiß man, das ist die Zukunft, und in Deutschland weiß man es nicht.

Von resilienteren Medien zur Resilienz der Infrastruktur der Insel. Wie resilient, würdest du sagen, ist das Netz? Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine wurde über deren diversifiziertes und über viele, verschiedenen Provider im Land und international angebundene Infrastruktur gesprochen. Wie hat sich Taiwan hier aufgestellt?

Taiwans Unterseekabel sind bekanntermaßen ein prominentes Angriffsziel. Gerade eben hat es offenbar Macao getroffen. Beide Seekabel dieser chinesischen Sonderverwaltungszone wurden durchgeschnitten und weil es zu wenig Reparaturschiffe gibt, muss Macao bis April warten, bis eines vorbeikommt. Das ist nicht neu, sondern das passiert die ganze Zeit. Natürlich kann man nie beweisen, dass das mit Absicht passiert. Aber man muss annehmen, dass China bewusst diese Kabel zerstört. Das Ministry of Digital Affairs (MoDA) will jetzt für einen Plan B. Dafür sollen ein Low Earth Orbit Satellitennetz aufgebaut werden. Die Insel ist aber auch schon jetzt sehr redundant angebunden, nicht zuletzt, weil Google hier zwei oder drei Data Centers betreibt. Taiwan ist ein Hub für Googles Cloud-Aktivitäten in der Region und es sind auch viele Ingenieure hier, die Hardware und Software für Android entwickeln. Der Netzzugang ist da existenziell. Daher denke ich, Taiwan insgesamt komplett abzuschneiden, das wäre schon sehr aufwendig.

Schlägt sich diese klare Anerkennung von Digitalisierung als Zukunftstechnologie in besonders interessante Regulierungsansätzen nieder? Bei den Medien siehst du ja eher Nachholbedarf.

Also, wenn wir über etwas reden wie Open Data, da passiert hier mehr und da kann man lernen, denke ich. Zwar gibt es hier intern einige Kritik, aber zunächst mal ist die Verwaltung sehr gefordert und steht da auch unter Druck, möglichst viele Datensätze zugänglich zu machen. Nachbesserungen werden bei der Aufbereitung und bei der Frequenz von Updates von Datensätzen verlangt. Oft sei, wie mir Experten berichteten, nicht klar ist, wie alt die Datensätze sind, von wann das letzte Update stammt oder Ähnliches. Für einen Unternehmer, der Traffic Daten sinnvoll verarbeiten will, ist es entscheidend, dass er weiß, was Echtzeit und was von gestern oder vom vergangenen Monat ist. Auf dieser Ebene gibt es also wohl noch einen gewissen Nachholbedarf, aber insgesamt ist der Plattform-Ansatz, mit dem öffentliche Daten zugänglich gemacht werden, etabliert. Ich denke, da ist man hier weiter, genauso wie im Hinblick auf die Institutionalisierung von gesellschaftlicher Beteiligung. Ein klarer Rechtsrahmen für Open Data, genauso wie ein regulativer Rahmen für die von Audrey Tang geplante elektronische Identität, fehlt allerdings noch.

Ministerin Audrey Tang ist ja sehr enthusiastisch, wenn es um partizipatorische Elemente in Taiwans Demokratie geht. Sowohl auf Landesebene, als auch in den lokalen Parlamenten soll die Crowd gefragt und auch gehört werden, versichert die Digitalministerin. Denn dort sitze das Expertenwissen, und nicht unbedingt in den Ministerien. Wie sieht das ganz praktisch aus?

(Lacht) Audrey Tang selbst tritt allerdings nicht so auf, als ob ihr Expertenwissen fehle. Näher kennengelernt habe ich selbst g0v. Dort wird beispielsweise eine Plattform bereitgestellt, über die die Leute politische Initiativen ins Leben rufen können. Das funktioniert ganz gut, allerdings beobachten die Aktivisten eben typische Effekte, dass Initiativen gestartet werden, eine Weile leben und nach einer Weile einschlafen. Es ist nicht einfach für die Zivilgesellschaft, die das in ihrer Freizeit macht, den ganz langen Atem aufzubringen. Es gibt aber eine Reihe von Projekten, da wurde über vTaiwan konsultiert und am Ende der gemeinschaftliche entwickelte Kompromiss vom Gesetzgeber verabschiedet. Die Regulierung von Uber ist das Paradebeispiel, über das sehr viel berichtet wurde.

Und wurde auch umgesetzt ...

Ja, wenn man jetzt ein Taxi bestellt und auf die App geht, kann man zwischen einem normalen Taxi, Uber und einem weiteren Service wählen. Bei der Todesstrafe wurde die Abschaffung diskutiert, aber am Ende nicht umgesetzt. Manchmal fallen schon abgestimmte Vorschläge auch dem Ende der Wahlperiode zum Opfer. Generell bleibt ein Problem, dass sich nur eine gesellschaftliche Minderheit aktiv beteiligt. Außerdem sind es häufig bestimmte soziale Gruppen, oft junge Leute und nicht alte, mehr Leute, die keine Kinder haben oder studieren, also eben die, die irgendwie die Zeit und die Kapazität haben, sich in sowas aktiv zu engagieren. Das ist ein demokratietheoretisches Problem.

Wie sieht es auf lokaler Ebene aus, wo neue Straßen, Bauprojekte oder Schulen die Menschen sehr unmittelbar betreffen? Wie stark wird da auf die Partizipations-Tools gesetzt?

Das gibt es durchaus und überhaupt muss ich sagen, es gibt schon eine relativ starke Zivilgesellschaft, die sich gut mobilisieren lässt, wenn kontroverse Fragen anstehen wie vor der Wahl. Ein interessantes Beispiel ist der Umgang mit dem Digital Services Act. Der entwickelt sich ja gerade ähnlich wie die Data-Protection-Regulation zu einer Art Blaupause, die in Asien überall beobachtet und in adaptierte Formen gegossen wird. Wie mir jemand in Singapur sagte, gibt es fast einen Wettbewerb darum, wer die Anzahl der Stunden für Takedowns am niedrigsten ansetzt; das scheint im Moment in Indonesien zu sein, mit einer einzigen Stunde, innerhalb der der betroffene Provider reagieren muss. In Taiwan hatte die DPP den Digital Intermediary Services Act (DISA) vorgeschlagen und stieß damit auf so massiven Widerstand, dass man das wieder fallen ließ. Ein zentrales Problem der Kritiker war, dass sich die Regierung zumindest in der Erstentscheidung selber die Rolle zugedacht hatte zu entscheiden, was wahr und was falsch ist. Das Beispiel zeigt, es gelingt punktuell sehr gut, die Grundrechte zu verteidigen. Schwierig bleiben aus meiner Sicht langfristige Projekte. Auf der lokalen Ebene mag das aber anders sein.