Missing Link: Unterschätzte Gefahr? Obsolete Technik im Körper

Seite 3: Widerruf, Rücktritt und Haftung

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"Im deutschen Zivilrecht gibt es Regale an Literatur, die sich mit der Frage beschäftigen, wer bei einem Widerruf oder Rücktritt von einem Kaufvertrag über Bodenfliesen dafür verantwortlich ist, diese wieder auszubauen und zum Abtransport bereitzustellen", erklärt Michael Kolain, Referent am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung in Speyer. "Vergleichbare Fragen sind bei Produkten, die in den Körper implantiert sind, noch nicht so klar beantwortet." Das liege zum Teil daran, dass es sich bei derlei Implantaten nicht um Massenware handelt, aber auch an der komplexen Rechtsmaterie.

Implantate seien in der Regel Medizinprodukte, ergänzt Kolains Kollegin Carolin Kemper. In diesem Bereich spielten zunächst die Selbstbestimmung des Patienten und sozialversicherungsrechtliche Fragen eine zentrale Rolle. Solche Fabrikate unterlägen einem strengen Regulierungsrahmen, vor allem mit Blick auf die Patientensicherheit. Zwischen Hersteller und Patient seien meist noch Akteure wie Zwischenhändler, behandelnde Ärzte und Krankenkassen geschaltet. Dazu kämen Prüfstellen wie der TÜV. Dadurch ergebe sich ein nur schwer aufzudröselndes Potpourri an Vorschriften und potenziellen Haftungsbeziehungen.

Bei BCIs und anderen, mitunter vernetzten Implantaten stellt sich für die beiden Rechtswissenschaftler grundsätzlich die Frage, wie lange ein Hersteller diese unterstützen muss und was passiert, wenn der Produzent diesen Pflichten vorzeitig nicht mehr nachkommt. Zu Sicherheitsupdates gebe es mittlerweile einige Vorschriften. Die EU-Koordinierungsgruppe Medizinprodukte etwa empfehle hier mit ihren Leitlinien entsprechende Prozesse als Teil der Marktbeobachtungspflichten: Hersteller müssten einschlägige Artikel überwachen, im Ernstfall die zuständigen Behörden informieren und Präventiv- oder Korrekturmaßnahmen ergreifen.

(Bild: Shutterstock)

Wenn es um die "Instandhaltung" gehe und kleinere Ausbesserungen nötig seien, dürften ein Recht auf Reparatur und verfügbare Ersatzteile helfen, führt Kolain aus. Medizintechniker könnten defekte Teile auch durch standardmäßige oder 3D-gedruckte Komponenten ersetzen. Dafür sollte es aber rechtliche Vorgaben etwa zur Interoperabilität und offene, am besten industriell einheitliche statt medizinspezifisch technische Standards geben. Das Recht hantierte hier oft mit unbestimmten Begriffen wie "Stand der Technik" oder "gemeinsamen Spezifikationen". Durch Spezifikationen offizieller Normungsorganisationen wie dem DIN oder der ISO ließen sich diese aber ausfüllen.

Auch laut dem neuen Warenkaufrecht muss der Verkäufer über den Produzenten dem Verbraucher Aktualisierungen bereitstellen. Die relevante Zeitspanne hängt hier davon ab, was der Konsument angesichts von Art und Zweck der Ware sowie der Art und Umstände des Vertrages erwarten kann. Geschuldet sind zudem nur Updates, die für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit der Ware erforderlich sind. Vieles bleibt dabei vage und wird wohl erst von Gerichten konkretisiert. Für Implantate dürfte der Aktualisierungszeitraum aber relativ lange dauern.

Übermittelten vernetzte Implantate Daten an den Hersteller zur Analyse, könnten sich Pflichten zu Updates beziehungsweise Korrekturen ferner aus Artikel 32 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ergeben, analysieren die zwei Rechtswissenschaftler. Der Produzent werde dann zum Verantwortlichen und müsse die Datensicherheit gewährleisten. Dies gelte etwa für Herzschrittmacher, die Messwerte per Bluetooth an einen "Home Monitor" und von dort über das Internet weiter übermitteln. Bei solchen kardiologischen Implantaten entdeckten IT-Experten bereits wiederholt Sicherheitslücken.

Sei ein Hersteller insolvent, kämen zumindest in Deutschland für ein Entfernen von medizinisch erforderlichen Implantaten die Krankenkassen auf, berichtet Kolain. Sonst könnte ein Fonds einspringen. Zudem seien Pflichtversicherungen oder verpflichtende Rücklagen der Hersteller denkbar. Damit stünden betroffene Verbraucher nicht mit leeren Händen da und könnten die Kosten für einen Ausbau des Geräts oder Schmerzensgeld verlangen, wenn es nach einer Risikoabwägung im Körper verbleiben soll.

Das Duo geht davon aus, dass offene Standards und eine Pflicht zum Veröffentlichen des Quellcodes für Softwareteile bei einer Pleite oder Aufgabe des Produkts die Konsequenzen abmildern könnten. Betroffene und Interessierte wären dann in der Lage, selbst am Produkt weiter zu basteln, ohne etwa bei Reverse Engineering mit dem Urheberrecht in Konflikt zu kommen. Solche Do-it-Yourself-Reparaturen könnten aber gesundheitliche und technische Gefahren bergen. Parallel wäre es Konkurrenten möglich, die Instandhaltung von Medizinprodukten zu übernehmen. Das Motto sollte jedenfalls lauten: "Updates oder Anbieterwechsel vor risikobehaftetem Austausch des Geräts."