Missing Link: Wer sich Technologie nicht aneignet, bleibt Kolonie

Unsere Serie über Internetpioniere führt uns diesmal nach Lateinamerika. Ein Gespräch mit dem Vater des Internets in Peru, Jose Soriano.

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Futuristische Datenmatrix

(Bild: Color4260/Shutterstock.com)

Lesezeit: 19 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Aus der Not des Exils heraus wurde er zum leidenschaftlichen Netzwerker. Dann schuf der peruanisch-argentinische Journalist Jose Soriano mit dem Konzept der Cabinas Publicas einen Exportschlager aus Peru. International vernetzt und mit Mit-Initiator vieler lateinamerikanischer Internet-Organisationen verteidigte er seine Unabhängigkeit auch, als das große Geld lockte.

Jose Soriano

Heute lebt Soriano sehr zurückgezogen in den französischen Pyrenäen. Ein Gespräch mit einem Verteidiger der Demokratie, in den Netzen und darüber hinaus.

Unsere Serie deutscher und ausländischer Internetpioniere:

heise online: Jose, was waren Ihre ersten Erfahrungen mit dem Internet?

Jose Soriano: Bevor ich an der Entwicklung des Internets mitgewirkt habe, habe ich als Journalist in Argentinien über Politik und Internationales berichtet. Ich habe für die überregionale Presse gearbeitet. Es war die Zeit der Militärdiktatur. Einige Artikel konnten daher nur geheim erscheinen. Die entsprechenden Publikationen waren verboten. Man könnte sagen, ich gehörte zur Opposition gegen den Diktator, und das brachte mir, wie 30.000 anderen Bürgerinnen und Bürgern einen Todesbefehl ein.

Das klingt nach einer ziemlich gefährlichen Arbeit …

Naja. Es war normal, es war mein Alltag.

Wie alt waren Sie?

Ich war in meinen 20ern, arbeitete etwa sieben Jahre, bevor ich emigrieren musste. Ich wurde verschleppt und sollte hingerichtet werden. Überlebt habe ich, weil mein Vater über das Außenministerium in Peru interveniert hatte. Er hatte einen Freund dort. Peru hatte zu der Zeit auch eine Militärregierung, allerdings war diese progressiv. Sie hat verschiedene Reformen angestoßen, eine Landreform, eine Bildungsreform. Erstmals wurde Quechua Amtssprache neben Spanisch.

Sie sind dann aus Argentinien geflohen?

Ich kam in einer gekaperten argentinischen Maschine nach Kuba. Danach wurde mir die Rückkehr nach Argentinien verwehrt. Es war mein erstes Exil, 1973. Ich ging daraufhin nach Peru und arbeitete von dort aus weiter als Journalist, unter anderem für La Cronica und auch für Diario Expreso. Ich konnte erst nach einem zweiten Exil, 1976 bis 1982, wieder nach Argentinien zurückkehren. Allerdings traute ich mich nicht, zurückzufliegen. Stattdessen packte ich meine Frau und meine drei Kinder und begann von Peru aus die Rückreise, quer durch die Anden. Ich suchte mir eine sehr ruhige Grenzstation aus.

Ihre ersten Erfahrungen mit dem Netz brachten Sie demnach aus Frankreich mit, richtig?

Ja, 1976 war ich im Exil in Frankreich. Wie viele Kolleginnen und Kollegen, die gezwungen waren, aus ihren Heimatländern zu fliehen, habe ich hier die Nutzung der Netze in Europa beobachtet. Es war die Zeit der großen Maschinen von Digital oder IBM und das Protokoll war X25. Wir konnten da immerhin schon E-Mails an Leute auf demselben Server schicken. Für uns wurde die Bedeutsamkeit, miteinander im Kontakt zu bleiben und zu kommunizieren, greifbar. Auch die Kommunikation mit den in Europa Gebliebenen war wichtig. Wir begannen also Listserver zu nutzen, etwa die, die von Uunet in den USA angeboten wurde. Ungefähr 1987 arbeitete ich fürs argentinische Radio und ich wollte ein Netzwerk von Radiostationen in ganz Lateinamerika aufbauen. Zu der Zeit hob die Nutzung des Netzes in den USA gerade ab, etwa mit Bitnet, einem kooperativen Netz, das die großen Unis mit ihren IBM Servermaschinen gestartet hatten.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Das Because It#s there NETwork, richtig ...

Genau. Das Pendant im Europa war EARN. Ich habe in dieser Zeit eng mit der DG13 der Europäischen Kommission zusammen gearbeitet, und mit Unis in Buenos Aires und La Plata. Wir fingen an, Unix basierte Mailserver an den Unis aufzubauen und nutzten dafür Unix to Unix Copy Protocol (UUCP). Das Problem war natürlich, dass wir in den verschiedenen Unis sehr unterschiedliche Computertypen hatten. Ich selbst hatte aus Frankreich im übrigen Minitel mitgebracht. Minitel war eine Emulation eines VT100-Terminals von Digital Equipment. Damit ließ sich intern an den Unis kommunizieren oder sich über X.25or zu verbinden. Es gab noch keinen Konsens, welches Protokoll man für die Zukunft nutzen wollte. Europa tendierte mehr zu X.25 beziehungsweise X.400. In den USA arbeitete man aber an anderen Protokollen. Wir saßen praktisch zwischen den Welten, weil wir in beiden Richtungen ‘sahen’ nach Europa und in die USA. Mehrmals täglich verband ich mich mit einem Server an der Universität von Montpellier, RMOP11 und die Typen in Europa verstanden nicht so ganz, wie jemand aus Lateinamerika sich zu der Zeit überhaupt übers Netz verbinden konnte (lacht).

Wie hat sich das Netz in den verschiedenen Ländern der Region denn entwickelt?

Ich wurde Mitglied von RENALC (Ed de America latina y el Caribe, später Fundredes). Das war ein Projekt der Latin Union (eine internationale Organisation der spanisch sprechenden Länder), die später sehr von der UNESCO unterstützt wurde. Ich begann, die Entwicklung der Netze in Lateinamerika zu erforschen und habe in der Zeit auch meine eigenen Ideen weiter entwickelt. Zum Beispiel war mir bald klar, dass mein kleines Minitel-Netz nicht ausreichte. Wir brauchten mehr. Mit einigen Kollegen aus der Region begann ich also, ein UUCP-Netz für Lateinamerika aufzubauen.