50 Jahre Notruf: So ortet die Leitstelle Ihr Mobiltelefon

Seite 3: Was beim Notruf passiert

Inhaltsverzeichnis

Je nach Smartphone und Standort werden bei einem Notruf maximal vier Standort-Datensätze übermittelt. Die ersten Standortdaten werden gesendet, sobald sie vorliegen. Danach werden aktualisierte Standortdaten (im Idealfall mit genaueren Daten als der vorherige Datensatz) im Abstand von ca. 10 bis 30 Sekunden nach Kommunikationsbeginn übermittelt.

Bei der Rettungsleitstelle lassen sich die Standortdaten beispielsweise so darstellen:

Beispiel für eine Ortung mit AML

(Bild: Leitstelle Lausitz)

Der so ermittelte Standort wird als Angabe von Breiten- und Längengrad mit einem Radius und der Höhe (Altitude) übermittelt. Dazu kommen Zeitstempel (Anrufzeit und Lokalisationszeiten), die Angabe der Positionsmethode (G, W, C oder N für nicht ermittelbar) und das Vertrauen zur Präzision dieser Standorteinschätzung (LOC – Level of Confidence) in Prozent. Um Datensätze zuordnen zu können, werden der MMC (Mobilie Country Code), der MNC (Mobile Network Code), Teile der IMSI (International Mobile Subscriber Identity – SIM-Kartenidentifikation) und die IMEI (International Mobile Equipment Identity – Gerätenummer) übermittelt.

Beispiel für eine AML-Nachricht

(Bild: ETSI)

Bei der Übertragung von AML mittels HTTPS können weitere Daten, wie die Geschwindigkeit des Anrufers übermittelt werden. Wenn ein Standort nicht ermittelt werden kann, wird dies als Ergebnis ebenfalls per AML übermittelt. AML-Daten lassen sich abseits eines Abrufs über eine Webseite auch direkt in Systeme der Einsatzleitstellen integrieren.

Während der Disponent der Leitstelle mit dem Anrufer spricht, kann so im Idealfall im Hintergrund parallel bereits der Standort des Anrufers automatisch in das System der Einsatzleitstelle übertragen und weiterverarbeitet werden. Abseits von einer Visualisierung im GIS (Geo-Informations-System) kann auch eine GPS-gestützte Disposition bei der Leitstelle stattfinden. Das heißt, es können die freien Rettungskräfte zum Einsatzort geschickt werden, die am nächsten dran sind und den kürzesten Anfahrtsweg haben.

Kurz: das geeignete Rettungsmittel soll schnellstmöglich an den richtigen Einsatzort gesendet werden. Einsatzdaten inklusive des genauen Standorts können per Digitalfunk an die Rettungskräfte oder den Rettungswagen (RTW) übertragen werden. Abseits von der verbalen Kommunikation zwischen Leitstelle und eingesetzten Kräfte sind diese Informationen dadurch sofort bei den Empfängern auf deren Funkgerät oder im RTW direkt im dortigen Navigationssystem verfügbar. Verwechslungen durch missverständliche Kommunikation oder falsche händische Eingaben sind so ausgeschlossen. Und eine Zeitersparnis ist die automatische Übertragung auch.

Nicht alle Mobiltelefone unterstützen AML. Sie müssen mit der Standard-Telefon-App den Notruf wählen. Über Telefonanwendung von Dritten wie Skype, WhatsApp und ähnliche funktioniert AML nicht. Bei Dual-SIM-Smartphones besteht die Gefahr, dass die anrufende Nummer von der Rufnummer abweicht, die per AML übermittelt wird. Wenn keine Netzverbindung über Mobilfunk oder WLAN besteht, können keine Standortdaten per AML übertragen werden. Die Ortung über WLAN kann fehlerhaft sein, wenn der WLAN-Router kurz zuvor noch an einem anderen Standort aufgestellt war.

Ob AML im Notfall funktioniert, hängt nicht also nur von dem genutzten Gerät und dessen Betriebssystem, sondern auch von den Einsatzleitstellen im Land ab: Diese müssen technisch und operationell in der Lage sein, die Standortinformationen vom Endpunkt zu empfangen und weiterzuverarbeiten.

Nicht jede AML-Nachricht kommt bei dem Endpunkt und von dort bei der für den Anrufer zuständigen Rettungsleitstelle an. Probleme können schon bei der Positionsbestimmung im Mobilgerät oder beim Senden der Nachricht vom Mobilgerät an den Endpunkt auftreten. Wichtig zu wissen: es gibt keine Garantie, dass AML überall und immer funktioniert. Auch sonst funktionierende Technik kann mal versagen, wenn es darauf ankommt. Deshalb sollten Sie beim Notruf immer die Frage der Leitstelle nach dem genauen Ort des Notfalls auch beantworten, wenn Sie es können.

Grundlage für die Feststellung und Übermittlung von Standortdaten bei der Herstellung einer Notrufverbindung unter der einheitlichen europäischen Notrufnummer 112 sind Richtlinien des Europäischen Parlaments und Rates, die in den Mitgliedsländern umzusetzen sind. Das ist zum einen die Richtlinie 2018/1972 vom 11. Dezember 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (Artikel 109, Absatz 6) und zum anderen die Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten vom 7. März 2002 (Artikel 26 Absatz 5). Ab dem 21. Dezember 2020 müssen der am besten geeigneten Notrufabfragestelle neben netzgestützten Informationen zum Standort des Anrufers auch die genaueren vom Mobilgerät gewonnenen Angaben zum Standort bereitgestellt werden, sobald ein Notruf über 112 eingeht.

In Deutschland ist der Notruf über § 108 Absatz Telekommunikationsgesetz (TKG) in Verbindung mit der Verordnung über Notrufverbindungen (NotrufV) geregelt. Die Umsetzung dieser rechtlichen Vorschriften in einer Technische Richtlinie Notrufverbindungen (TR Notruf) verantwortet die Bundesnetzagentur. Die Richtlinie gibt den Diensteanbietern und Betreibern von Kommunikationsdiensten/-netzen die Einzelheiten zur Herstellung von Notrufverbindungen zur örtlich zuständigen Notrufabfragestelle und zur Übermittlung von Standortdaten vor.

Im Jahr 2020 wurde der Entwurf für ein bundesweites Gesetz zur Reform der Notfallversorgung veröffentlicht. Ziel des Gesetzes war es, die Notfallversorgung in Deutschland effektiver und effizienter zu gestalten. Konkret wurde die Einrichtung eines gemeinsamen Notfallleitsystems (GNL) angestrebt. Alle an der medizinischen Notfallversorgung Beteiligten und deren Ressourcen sollten digital erfasst und vernetzt werden. Die zentrale Steuerung der Hilfe unter 112 würde dann durch das GNL erfolgen. Über einen Referentenentwurf ist das Gesetz nicht hinausgekommen. Die Gesetzgebung zu den Rettungsleitstellen ist Ländersache. Die Ausgestaltung vor Ort und der Betrieb der Leitstellen der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben ist örtlich unterschiedlich per Gesetz oder Verordnung geregelt. Entsprechend kommt auch unterschiedliche Leitstellentechnik zum Einsatz.

In Deutschland gibt es verschiedene Formen von Einsatzleitstellen, von getrennten Feuerwehr- und Rettungsleitstellen, über Integrierte Feuer- und Rettungsleitstellen (ILS) hin zu integrierten Regionalleitstellen (IRLS), die für Feuerwehren, den Rettungsdienst und den Katastrophenschutz in mehreren Gebietskörperschaften zuständig sind. Dann gibt es kooperative Regionalleitstellen, also Leistellen, bei denen die IRLS und die Polizei gemeinsam in einem Gebäude sind - wobei betont werden muss, dass es grundsätzlich keine Vermischung der Rettungsleitstellenaufgaben mit den Polizeileitstellenaufgaben gibt. Die Rettung ist für 112 zuständig und die Polizei für 110.