50 Jahre Notruf: So ortet die Leitstelle Ihr Mobiltelefon

Seite 5: Androids Fused Location Provider

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Android bietet Zugriff auf verschiedene Technologien zur Positionsbestimmung. Je nach Standort können verschiedene Systeme dafür zur Verfügung stehen. Diese werden miteinander kombiniert, um Schwächen einzelner Systeme auszugleichen. Je mehr Systeme und unterschiedliche Messverfahren zur Verfügung stehen, desto genauer kann der Standort des Mobilgeräts bestimmt werden. Diese Kombination von Positionierungssystemen und Sensoren, die bei der Positionsbestimmung helfen, trägt die Bezeichnung Fused Location Provider (FLP).

Kombiniert werden nicht nur Daten aus Funkzelle, GPS und WLAN – dazu kommt bei Smartphones noch eine Kombination aus den im Gerät verbauten Sensoren. Sensoren im Smartphone, die bei der Positionsbestimmung eine Rolle spielen, sind etwa das Barometer (Höhenbestimmung – in welchem Stockwerk des Gebäudes befindet sich das Mobilgerät vermutlich?), der Beschleunigungssensor (Bewegt sich das Mobilgerät? Wie schnell bewegt es sich?), Gyroskop (Rotationssensor) und Magnetometer (digitaler Kompass). Mithilfe der Sensordaten lässt sich die Bewegungsart/Aktivität (zu Fuß, fahrend) feststellen.

Da die Position bei den verschiedenen Messtechniken nicht fortlaufend bestimmt wird (schon aufgrund der begrenzten Akkukapazität), nutzt Google zur Positionsbestimmung eines sich bewegendes Mobilgeräts Algorithmen, die Vorhersagen zum wahrscheinlichen Standort in der Bewegung treffen. Dieser wahrscheinliche Standort wird dann beim Abgleich mit der nächsten exakten Positionsbestimmung (nächster Messzeitpunkt oder zur Verfügung stehende Messtechnik) korrigiert. Solche Korrekturen können Sie in Google Maps als plötzliches Hüpfen des blauen Punkts auf der Karte wahrnehmen.

In den Google Play Services ist FLP als Komponente integriert. Verschiedene Anwendungen und Dienste können FLP in standardisierter Weise ansprechen, um Standortdaten abzurufen.

FLP legt anhand der verfügbaren Quellen und des Nutzungszwecks des Geräts auf intelligente Weise fest, wie der Standort am besten abgerufen wird. Wenn Sie im Freien unterwegs sind und einen guten Satellitenempfang haben, funktioniert GPS am zuverlässigstem. Gehen Sie nun in ein Gebäude, kann der FLP automatisch von dem dort nicht mehr oder nur noch schlecht funktionierendem GPS auf WLAN wechseln. Wenn Sie nun mehrere Stockwerke im Gebäude hochsteigen, wird dies durch die Sensoren ebenfalls registriert. ELS ermöglicht die Bestimmung einer Position inklusive der Z-Achse (XYZ-Lokalisation) als Annäherungswert. Google kann bei mehrstöckigen Gebäuden einen vertikalen Radius als Schätzwert für mehrere zusammenhängende Stockwerke liefern. Aufgrund unterschiedlicher Raum-/Stockwerkhöhen und möglicher Störfaktoren (Wetter hat Einfluss auf Barometer) handelt es sich um einen vertikalen Schätzwert. Die Funktion befindet sich noch in der Entwicklung und benötigt laut Google noch weitere (weltweite) Forschung und nötige Datenerhebungen. Es gibt beispielsweise Gebäude, die das 13. Stockwerk einfach nicht auszeichnen und direkt nach 12 mit 14 weitermachen.

Auch per FLP ermittelte Positionen sollten in 2D oder 3D Darstellung immer im Kontext von der angenommenen Genauigkeit und dem Vertrauen in den ermittelten Wert interpretiert werden. Im Idealfall entspricht der blaue Punkt dem Standort, in der Realität sollte man in einem nach vorhandenen Daten einigermaßen sicher einzuschätzenden begrenzten horizontalen und vertikalen Radius um den blauen Punkt fündig werden.

Sollte FLP einmal nicht zur Verfügung stehen, wird auf die Rückfallebene der älteren Standortdienst-API von Android zurückgegriffen.

Fused Location Provider können Sie selbst testen und sich mittels GnssLogger-App anschauen, wie Android Ihren Standort mit und ohne FLP ermittelt und wie genau sich Ihre Position an unterschiedlichen Orten mit unterschiedlichen Systemen darstellen lässt.

GnssLogger-App

(Bild: Google)

Das Android-Gerät aktiviert bei einem Notruf automatisch den Notfall-Standortdienst ELS. Der Dienst berechnet lokal auf dem Smartphone den eigenen Standort und nutzt dafür die kombinierte Standortbestimmung (Fused Location Provider), um die Standortsignale von Mobilfunkmasten, GPS, WLAN sowie den Smartphone-Sensoren zusammenzufassen. Somit kann ELS präzisere Standortdaten berechnen und auch Standorte an sonst nur schwer zu lokalisierenden Orten (Innenräume, unterirdische Orte, Stadtzentren mit hohen Gebäuden) bestimmen. Das Ergebnis wird dann vom Mobilgerät direkt an den Endpunkt übermittelt, ohne vorher über einen Google Server zu laufen.

Ablauf eines Notrufs unter Android

(Bild: Google)

Google betont, dass sie selbst überhaupt keinen Einblick in die (gesendeten) Notfall-Daten bekommen. Aus diesem Grund sei das Troubleshooting in den Ländern mit den verschiedenen Anbietern auch eine Herausforderung für das Google ELS Team. Die ELS-Daten werden laut Google direkt vom Endpunktpartner an den Rettungsdienst gesendet, basierend auf der vom Partner eingerichteten Konfiguration (zum Beispiel Mobile Country Code oder Mobilfunknetzkennzahl). Die Rettungsleitstelle muss also im Gegensatz zu AML nicht selbst beim Endpunkt die Daten aktiv anfordern.

Weiterhin soll in einigen Regionen der Welt auch die Übermittlung von weiteren Informationen zur Verfügung stehen. Dies kann zum Beispiel die eingestellte Gerätesprache sein, oder ob das Mobiltelefon einen Verkehrsunfall erkannt hat. Aktuell ist ELS in mehr als 40 Ländern aktiv und hilft Android-Nutzern bei Hunderttausenden von Notfall-Anrufen pro Tag, schnell Hilfe zu erhalten, teilte Google auf Nachfrage mit.

Der Zugang zur Notrufkommunikation unter der 112 soll überall in der EU allen Menschen zur Verfügung stehen. Die 112 soll digitaler werden. In der Zukunft soll eine Ortungsfunktion wie AML nicht nur bei Anrufen über die 112 zur Verfügung stehen, sondern auch bei IP basierten Diensten. Notfallhilfe über die 112 soll für jegliche Art von Sprach-, Video-, Text- oder sozialer Echtzeit- oder Fast-Echtzeit-Kommunikation möglich werden, die im täglichen Leben schon genutzt wird oder im Rahmen des Ausbaus von 5G und der Verbreitung von IoT eine Rolle spielen wird. Also für alle Dienste und Applikationen, die Daten per Internet Protocol übermitteln.

Dazu wird eine neue einheitliche Architektur benötigt, die von der EENA unter dem Titel Next Generation 112 Architecture (NG112) vorangetrieben wird. Angestrebt wird letztendlich eine internationale Interoperabilität. Der technische Standard wurde schon beschrieben und erste Tests wurden in verschiedenen Ländern durchgeführt. Was mit eCall in Fahrzeugen und AML in Mobiltelefonen begann, soll mit der Next Generation 112 Architecture (NG112) auf ein neues Technologie-Level gehoben werden.

Die Europäische Kommission veröffentlichte bezüglich der Notrufnummer 112 am 16. Dezember 2022 eine sogenannte deligierte Verordnung: Innerhalb eines Jahres sollen die Mitgliedstaaten den kombinierten Effekt der technisch machbaren Lösungen zur Bestimmung des Anruferstandorts bewerten und die Mindestkriterien für die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Angaben zum Anruferstandort festlegen, die den Notdiensten eine wirksame Hilfe ermöglichen.

Der Notruf soll zur am besten geeigneten Notrufabfragestelle weitergeleitet werden. Neben Angaben zum Anruferstandort sollen auch Kontextinformationen zur Beschreibung des Notfalls übermittelt werden. Dies können etwa die physische Umgebung, der Zustand und die Fähigkeiten der betroffenen Personen und andere relevante Informationen sein. Sollte der Anrufer nicht fähig sein, diese Informationen selbst zu übermitteln, könnten diese automatisch aus dem Gerät des Anrufers oder dem Netz gewonnen werden. Um einen europäischen Flickenteppich zu vermeiden, hat die EENA die Initiative ergriffen und eine Empfehlung für die Mitgliedsstaaten zu Genauigkeits- und Zuverlässigkeitskriterien bei der Standortbestimmung von Mobilgeräten ausgearbeitet. Erste Ergebnisse sollen bei der EENA Conference im April 2023 veröffentlicht werden.

Das Tracking von Geräten, auch in Form der Echtzeit-Lokalisierung (RTLS = Real Time Locating System) wird weiter vorangetrieben. In Innenräumen können neben WLAN auch RFID (Radio Frequency Identification), BLE (Bluetooth Low Energy), UWB (Ultra Wideband) und andere Nahbereichskommunikationsdaten bei der Positionsbestimmung als Hilfe zur Navigation genutzt werden. Verschiedene Hersteller arbeiten an Lösungen für Indoor-Positionierungssysteme (IPS). Es bleibt abzuwarten, inwieweit Google, Apple und andere Hersteller diese und andere Technologien weiterentwickeln und miteinander kombinieren, um noch genauere Standortbestimmungen und weitere Kontextinformationen im Notfall automatisch an Rettungsdienste übermitteln zu können.

(mack)