Nützes Gedöns (VIII.) – Fernsehen (3/4): GEZ in alle Ewigkeit

Im dritten Teil des Weihnachtsfeatures steht der Alptraum der Schwarzseher vor der Tür und gesalzene Gesellschaftskritik flimmert am Heiligabend aus der Kiste.

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Zwei Exponate des Bremer Rundfunkmuseums. Rechts ein Nordmende Spectra Color Studio von 1968 mit drei Empfängern und zusätzlichen drei schwarz-weiß-Monitoren. Kostenpunkt 5050 D-Mark. Mike Leckebusch soll ihn in seinem Haus stehen gehabt haben

(Bild: Andreas Wilkens / heise online)

Lesezeit: 14 Min.
Inhaltsverzeichnis

Eines Tages stand ein unbekannter Mann vor meiner Tür. Durch den Spion war nicht zu erkennen, dass er mich dazu verdammen könnte, den Rest meines Lebens Rundfunkgebühren zahlen zu müssen. Das tat ich nämlich zu der Zeit mangels Geld nicht, und Geldmangel paart sich gerne mit Rebellentum, weshalb ich mein eigentlich schlechtes Gewissen mit linksversiffter Ideologie aufhübschen konnte. Er grüßte, zeigte mir den Ausweis seines ARD-Senders und fragte mich, ob ich irgendwelche Rundfunkgeräte in meiner Wohnung habe. Ich lauschte hinter mich und hörte keinen Fernseher, auch den Dudelkasten hatte ich gerade nicht eingeschaltet, sonst lief der immer. So konnte ich dem Mann ohne verräterischen Soundtrack aus dem Hintergrund mit der Aussage entlassen: "Nein." Er ging und hinterließ eine Schwefelwolke, so kam es mir zumindest vor. Ob die Geschichten, die ich früher öfters gehört habe, laut denen auch nur ein leidlich vernehmbarer Gong der Tagesschau dazu führte, auf ewig in den Fängen der Gebühreneinzugszentrale mit monatlich abzudrückenden DM 23,80 festzustecken, nur Legenden waren, weiß ich nicht. Jedenfalls wollte ich "für den ganzen Schrott, den die Sender abstrahlen", nicht zahlen.

Nützes Gedöns (VIII.) – Fernsehen

Seit 2013 hat sich das erledigt, aus der Gebühr wurde ein Beitrag, der nicht mehr an Geräte gebunden ist, weil Radio und Fernsehen in unseren modernen Zeiten überall herausquillt. Mittlerweile habe ich mir mehr Gedanken über das Thema gemacht und mich mit dem Beitrag versöhnt. Auch wenn mich vor Erfindung der Mediatheken gestört hat, dass die Öffentlich-Rechtlichen vorabends Werbung ausstrahlen oder in den Straßen Plakate für eine neue Sendung aufhängen. Wozu braucht ein öffentlich-rechtlicher Sender eine Marketing-Abteilung? Wir zahlen doch ohnehin für alles. Wie bei so vielem sind die Fragen vielleicht einfach, aber nicht die Antworten.

Wenn ich eine Zeitung kaufe, lese ich nicht komplett alles durch, was darin steht, nur weil ich alles bezahlt habe. Ich würde mich beim Verlag nicht darüber beschweren, dass seine Zeitung wegen des Sportteils, den ich nicht lese, so teuer ist. Als Vergleich zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen wäre das ohnehin nicht tauglich, denn eine Zeitung muss ich nicht kaufen und ich kann aus vielen verschiedenen, auch vielen spezialisierten Presseerzeugnissen auswählen. Die Öffentlich-Rechtlichen haben hingegen den Auftrag, alles abzudecken, deshalb bieten sie nicht nur politische Informationen, Bildungsinhalte, Dokumentationen und Kultur. Darüber wacht ein Rundfunk- beziehungsweise Fernseh- beziehungsweise Hörfunkrat, dem verschiedene gesellschaftliche Akteure angehören. Aber nicht nach Proporz zusammengesetzt, denn die schrumpfenden Kirchen sind zwar immer noch vertreten, nicht hingegen die Säkularen.

Das sind Regelungen, die nach den Erfahrungen mit der Mediengleichschaltung und der Propaganda der Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt wurden, sie basieren auf und sollen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung stützen. Mich versorgen die Öffentlich-Rechtlichen selbst dann, wenn ich kaum noch Fernsehen schaue, denn tagsüber dudelt bei mir ein öffentlich-rechtlicher Info-Radiosender, der mich ohne nerviges Gedudel jederzeit aktuell auf wichtige Ereignisse aufmerksam macht, die mir während der Arbeit sonst entgehen könnten, und ich schöpfe aus dem reichen Fundus an Podcasts, darunter einige wunderschön schimmernde Perlen.

Just in diesem Jahr hat sich das Bundesverfassungsgericht erneut zum Rundfunk geäußert und gemeint, in Zeiten "vermehrten komplexen Informationsaufkommens einerseits und von einseitigen Darstellungen, Filterblasen, Fake News, Deep Fakes andererseits" wachse die Bedeutung des beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Sender sollten die Wirklichkeit durch "authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten" unverzerrt darstellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund rücken.

Darüber lässt sich trefflich streiten. Zum Beispiel angesichts dessen, wie das ZDF mit Hilfe von Guido Knopp in seiner "History" jahrelang ganz schön viel dramatisierende Musik und andere Effekte eingesetzt hat, um seinem Bildungsauftrag pompös nachzukommen. Ich mag auch nicht den allgemeinen Trend, ein oder zwei Minuten lang "angeteasert" zu werden, bevor die eigentliche Sendung beginnt. Ich will nicht hektisch zusammengerafft bekommen, was ich ohnehin gleich sehen werde. Als müssten die Fernsehmacher gleich zu Anfang ein Feuerwerk zünden, damit keiner umschaltet – ein Phänomen, das auch in Müsikstücken für Streamingdienste zu beobachten ist. In Sachen Geschichtsdokumentationen hat sich das ZDF aber anscheinend inzwischen eingekriegt. Zum Beispiel sendete ZDF info im Mai die zehnteilige Dokumentation "Krieg und Holocaust", die aktuell noch in der Mediathek auch in einer englischsprachigen Version bereitgehalten wird. Obwohl ich angefangen von "The World at War" bis hin zur "Saat des Bösen" meine, wirklich alles zum Thema Nationalsozialismus gesehen zu haben, was deutsche Sender zu bieten haben, ja auch in schlaflosen Nächten auf N24, und auch obwohl ich aus transgenerationaler Betroffenheit viel dazu gelesen habe, hat die Doku von ZDF info einiges Neues zu bieten.

Fernsehen kann bilden, wenn es nur will. Es kann auch einiges bewegen. Das hat sich vor knapp 42 Jahren gezeigt, als in Deutschland die Fernsehserie (heute würden wir sagen sollen "Mini-Serie") "Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss" in den dritten Programmen ausgestrahlt wurde. Sie erzählt am Beispiel von drei fiktiven Familien die Geschichte der Judenverfolgung der Deutschen in Europa. Die Ausstrahlung verzeichnete eine für dritte Programme bemerkenswerte Einschaltquote von bis zu 40 Prozent. Sie erweckte viel Interesse und löste Diskussionen aus. Der Begriff "Holocaust" setzte sich in Deutschland als Bezeichnung für die Verfolgung und Ermordung der Juden mit der Fernsehserie in die Köpfe, bis ihm sechs Jahre später mit der Ausstrahlung des neunstündigen Films "Shoa" von Claude Lanzmann ein anderer Begriff zur Seite gestellt wurde. Ebenso wie bei "Holocaust" hatte der Bayerische Rundfunk dafür gesorgt, dass "Shoa" in den dritten Programmen gezeigt wurde.

Die wohl ebenfalls dem Bildungsauftrag geschuldeten, gerne sonntäglich gezeigten vielen Tiersendungen bestanden in meiner Erinnerung bei welcher Tierart auch immer aus der immer gleichen Dramaturgie: so laufen resp. schwimmen oder fliegen sie herum, das jagen und fressen sie, so pflanzen sie sich fort und das kommt dabei raus: so laufen resp. schwimmen oder fliegen sie herum, das jagen und fressen sie, so pflanzen sie sich fort und das kommt dabei raus usw. usf. Zwar engagierten sich auch Grzimek, Sielmann & Co. für den Tierschutz, doch erst der Wissenschaftsjournalist Horst Stern konterkarierte das Einerlei mit seinen "Bemerkungen", die die ARD in den 1970er Jahren zeigte. An Heiligabend 1971 sendete sie seine "Bemerkungen über den Rothirsch", in denen er der Jagdlobby vorwarf, aus Gier nach Trophäen zu viele Hirsche zu mästen und damit den Wald zu gefährden.

Die Welt zitiert folgend aus dem Sendemanuskript: "Ein Renditedenken, das selbst das Schicksal der Nation am Börsenzettel abliest, hat aus dem Wald eine baumartenarme, naturwidrige Holzfabrik gemacht. So pervertiert ist dieser Wald, dass der Rothirsch aus Mangel an natürlichem Nahrungsangebot einerseits und ungezügelter Vermehrung andererseits zum Waldzerstörer geworden ist. Ja, richtig, meine Damen und Herren: Es ist nicht dringlich zurzeit, den Hirsch zu schonen. Es ist dringlich zurzeit, ihn zu schießen." Wäre solcherlei im heutigen Fernsehen noch denkbar, zumal am Heiligen Abend?

Als Horst Stern vor 51 Jahren diesen Coup landete, war ich noch zu jung, um den Stellenwert seiner Sendung zu begreifen, ich fand mich lieber im sonntäglichen "Reich der wilden Tiere" ein. Ebenso ging die erste Mondlandung im Juli 1969 an meinem noch zu reifenden Bewusstsein vorbei, die aus dem "Apollo-Sonderstudio" der ARD unter anderem von Günter Siefarth kommentiert wurde; in einer langwierigen schwarz-weißen Ereignislosigkeit, die ebenso wohl im heutigen Fernsehen nicht mehr denkbar ist, auch nicht, dass via Satellit fast eine Stunde lang nur der leere Boxring gezeigt wird, in den irgendwann Muhammad Ali im weißen Morgenmantel steigen soll.

Computergrafiken waren noch in weiter Ferne, so behalf sich das Apollo-Sonderstudio mit Papp-Modellen. Wobei ich nicht unterstellen will, dass erst der Computer uns in die Lage versetzt, komplexe Vorgänge visuell zu veranschaulichen. Ein gerne zitiertes Beispiel ist hier jenes, das der Atomfreund und Physiker Heinz Haber in seiner Sendung verwendete, um die nukleare Kettenreaktion zu verdeutlichen: Er benutzte Pingpong-Bälle, die auf Mausefallen lagen. Ein weiterer Klassiker des Erklärfernsehens – zumindest unter Eingeweihten – ist jene Folge der "Sendung mit der Maus" von 1999, in der das Internet erklärt wurde. Netzwerkexperten im Hause Heise bescheinigten dem Beitrag seine Richtigkeit.

Horst Stern war nicht der einzige Wissenschaftsjournalist, der kritische Aspekte schon früh ins deutsche Fernsehen brachte. 1978 zum Beispiel warnte Hoimar von Ditfurth, der dieses Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, in seiner ZDF-Sendung "Querschnitte" vor dem Klimawandel. Fünf Jahre vorher rückte der Drehbuchautor und Journalist Wolfgang Menge mit dem Film "Smog" die Umweltverschmutzung in Bewusstsein der Fernsehzuschauer. Die Gier nach Einschaltquoten thematisierte Menge 1970 in dem Fernsehfilm "Das Millionenspiel" nach der Kurzgeschichte "The Prize of Peril" von Robert Sheckley. In dem Film werden freiwillige Kandidaten eine Woche lang gejagt; wenn sie überleben, winkt ihnen ein Millionengewinn. Viele Fernsehzuschauer waren von der Menschenjagd gebannt, einige gar nicht abgeschreckt, sie bewarben sich beim Sender als Kandidaten. Wolfgang Menge schuf auch die – so würden wir heute sagen sollen – Sitcom "Ein Herz und eine Seele" in den Jahren 1973 bis 1976, eine Art Familienaufstellung mit reaktionärem Oberhaupt und aufsässigen Kindern. 1974 zeigte die Fernsehserie "Unser Walter" im ZDF, mit welchen massiven Problemen eine Familie zu tun hat, in der ein Kind mit Down-Syndrom aufwächst.

Kritische Themen waren aber nicht immer allen Fernsehverantwortlichen genehm. Am 22. Mai 1986 klinkte sich der Bayerische Rundfunk aus der ARD aus und sendete nicht die Sendung "Scheibenwischer" des Kabarettisten Dieter Hildebrandt, die Zuschauer in dem Sendegebiet bekamen eine Ersatzsendung mit Musik präsentiert, während der Rest der Bundesrepublik unter anderem einen Beitrag von Lisa Fitz sehen durfte, in dem es darum ging, dass der Großvater im Rollstuhl im Regen vergessen worden war und ob er nun als Sondermüll entsorgt werden müsse – knapp einen Monat nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl. 35 Jahre später wird Lisa Fitz erneut vom Schirm genommen, diesmal aus der ARD-Mediathek depubliziert, wie es heute heißt. In der Comedy-Sendung "Spätschicht" vom 10. Dezember 2021 hatte sie von "5000 Corona-Impftoten in der EU" gesprochen und sich auf einen Entschließungsantrag er EU-Parlamentsabgeordneten Virginie Joron vom rechtsfranzösischen Rassemblement National berufen. Diese Zahlen seien nach Prüfung nicht haltbar, so könne die Behauptung nicht mehr der Meinungsfreiheit unterliegen, entschied der SWR.

Manche Sendungen wurden gar nicht erst gezeigt, sie landeten im Giftschrank. 1970 setze der SWF den Film "Bambule" ab, dessen Drehbuch von Ulrike Meinhof stammte, in dem es um die Menschenrechte missachtende Erziehung in Kinder- und Jugendheimen ging. Zehn Tage vor der geplanten Ausstrahlung hatte Meinhof an der Gefängnisbefreiung von Andreas Baader mitgewirkt. Obwohl es in dem Film nicht um Terrorismus ging, hielt es der SWF für unschicklich, ihn im Programm zu belassen. Ausgestrahlt wurde "Bambule" erst 1994, doch soll Meinhof schon Anfang der 1970er Jahre einen Beitrag zur Heimkampagne der Außerparlamentarischen Opposition geleistet haben, um die Missstände in den Heimen zu beseitigen. Klaus Wagenbach, in dessen Verlag das Buch "Bambule" erschienen war, ist übrigens diese Woche gestorben. Und noch mal übrigens: Meinhofs Stieftochter Anja Röhl ist maßgeblich daran beteiligt, dass das Schicksal der Verschickungskinder in der Bundesrepublik in die Öffentlichkeit geriet.

Mehr Nützes Gedöns

Eine ZDF-Fernsehserie von 1981 wäre nach Ansicht des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit wohl besser gar nicht erst ausgestrahlt worden: "Tod eines Schülers", in dem die Hintergründe eines Suizids aufgerollt werden. Das Institut hatte ermittelt, dass die Zahl der Selbsttötungen an Gleisen unter Jugendlichen nach der ersten und zweiten Ausstrahlung der Serie stark zugenommen hatte; hier wird ein "Werther-Effekt" vermutet, der auch nach dem Suizid des Fußballtorwarts Robert Enke im Jahr 2009 gegriffen haben soll; jedenfalls warf sich kurze Zeit später ein Mitglied meiner Familie vor einen Regionalzug.

Im weiteren Sinne um Selbsttötung ging es in diesem Jahr in dem ARD-Fernsehspiel "Gott" von Ferdinand von Schirach. Nach der Sendung, in der der Wille eines Witwers aus verschiedener Sicht erörtert wird, sein Leben mit Hilfe einer Ärztin zu beenden, meldeten sich laut ARD 546.000 Zuschauerinnen und Zuschauer zur Abstimmung und meinten per Telefon oder online zu knapp 71 Prozent, der Staat solle selbstbestimmtes Sterben ermöglichen. Die Abstimmungsprozedur wurde nicht mehr "Tele-Dialog" genannt, aber im Prinzip entstammt sie jener kurz "TED" genannten Technik, die erstmals auf der Berliner Funkausstellung 1979 vorgestellt, dann in "Wetten, dass…" eingesetzt wurde und bald darauf die Abstimmungspostkarten der "ZDF-Hitparade" ersetzte.

Dort sagte Dieter Thomas Heck, wer dreimal dabei war, darf nicht wiedergewählt werden. Für diese Betrachtungen zum Fernsehen gibt es hingegen morgen einen Zuschlag, in dem sich zum Finale Dieter Bohlen, Patrick Stewart, Neil Postman und mehr versammeln.

(anw)