Ohne App geht nix: Ein rechtlicher Blick auf den Digitalzwang

Seite 3: Grundrechtswidrig?

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Selbst da, wo keine bestimmte Mobil-App zum Erreichen eines Ziels verlangt wird, sondern lediglich allgemein ein digitaler Weg, stellt sich, wenn es um behördliches Handeln geht, prinzipiell dieselbe Frage: Ist die geübte Praxis im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz von Artikel 3 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes (GG) nicht bedenklich? Stellt der Digitalzwang nicht sogar eine unzulässige Diskriminierung nach § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) in Verbindung mit Art. 3 GG dar?

In diesem Licht ist etwa die vielfach bei Führerschein- und Zulassungsstellen geübte Praxis, Vorgänge nur mit online vereinbarten Terminen durchzuführen, kritikwürdig. Dasselbe gilt für den Umstand, dass etwa Selbstständige normalerweise keine Steuererklärung gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie keine Umsatzsteuervoranmeldung nach § 18 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) abgeben können, ohne dazu einen Computer oder ein mobiles internetfähiges Gerät zu nutzen.

Wer im Einzelfall gegen öffentlichen Digitalzwang vorgehen will, hat rechtlich oft einen schweren Stand. So wollte ein Bürger aus Baden-Württemberg 2018 gegen den Beschluss eines Gemeinderates klagen. Dieser sah vor, dass künftig die ortsübliche Bekanntgabe der Sitzungen dieses Gremiums ausschließlich digital über die städtische Internetseite erfolgte. Darüber hinaus sollten als "freiwilliges Serviceangebot" die Tagesordnungen der öffentlichen Ausschuss- und Gemeinderatssitzungen am Montag der Sitzungswoche im Rathausschaukasten ausgehängt werden. Der Mann sah durch ein solches Vorgehen § 34 Abs. 1 Satz 7 der baden-württembergischen Gemeindeordnung (GemO) verletzt: Diese Bestimmung schreibt vor, dass Zeit, Ort und Tagesordnung der öffentlichen Sitzungen rechtzeitig ortsüblich bekannt zu geben sind. Eine Bekanntgabe über die städtische Internetseite reiche nicht, so das Argument des Bürgers, denn er habe so keine hinreichende Möglichkeit der Kenntnisnahme. Das Verwaltungsgericht (VG) Freiburg wies jedoch bereits seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage ab; der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg wies die Beschwerde dagegen zurück.

Den Richtern zufolge bestand eine hinreichende Möglichkeit der Kenntnisnahme ohne digitale Benutzung bereits dadurch, dass der Gemeinderat sich verpflichtet habe, seine Beschlüsse am Montag der Sitzungswoche auszuhängen. Dass dies als "freiwilliges Serviceangebot" deklariert sei, spiele keine Rolle. Sofern eine Bekanntgabe allein im Internet erfolge, könne eine zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme auch dadurch hergestellt werden, dass die Gemeinde für ihre Bürger die Möglichkeit der Nutzung eines Computers mit Internetzugang im Rathaus oder der Bibliothek der Gemeinde schaffe. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde wies der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Baden-Württemberg als unzulässig ab.