Ohne App geht nix: Ein rechtlicher Blick auf den Digitalzwang

Viele Anliegen, die früher analog liefen, erfordern heute einen Internetzugriff – oft muss man sogar spezielle Mobil-Apps nutzen. Ist das rechtlich in Ordnung?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 94 Kommentare lesen
, Albert Hulm

(Bild: Albert Hulm)

Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Harald Büring
Inhaltsverzeichnis

Die deutschen Big Brother Awards, die die Datenschutz- und Bürgerrechtsinitiative Digitalcourage e.V. alljährlich verleiht, gehören nicht zu den Preisen, die ein Ausgezeichneter gern entgegennimmt: Es sind Negativpreise, die beklagenswerte Verdienste in puncto digitaler Privatsphärenignoranz, Datensorglosigkeit und Verbraucherfeindlichkeit widerspiegeln. 2023 erwischte es in der Kategorie Verbraucherschutz die Deutsche Post DHL Group. Einer der Gründe: Das Unternehmen bindet die Abholung von Paketen bei Packstationen neuerer Art an die Nutzung der Post- und DHL-App auf dem Smartphone. Dieses muss sich per Bluetooth LE mit der Packstation verbinden und dann selbst per Internet Kontakt mit dem DHL-Server aufnehmen.

Damit spart der Logistikriese sich nicht nur Bildschirm nebst Scanner zum Auslesen herkömmlicher Zustellbenachrichtigungen, sondern auch eine direkte Internetanbindung der Packstationen. Zugleich zwingt er seine Kunden, die im Hinblick auf Datenschutzbedenken durchaus problematische Mobil-App zu nutzen – auch diejenigen Paketempfänger, deren hausadressiertes Paket zu einer jener Packstationen umgeleitet worden ist.

Mehr zu Recht und Digitalisierung:

Der IT-Sicherheitsexperte Mike Kuketz und der Rechtsanwalt Peter Hense von der Leipziger Sozietät Spirit Legal haben eine umfangreiche Analyse vorgelegt, die das Datensendeverhalten gerade dieser App unter Android und iOS in ausgesprochen zweifelhaftem Licht erscheinen lässt. Als Reaktion darauf behauptete die Deutsche Post, indem sie sich mit einzelnen kritisierten Details befasste, die App sei insgesamt datenschutzkonform. Die Praxis des für den Authentifizierungsvorgang eigentlich unnötigen App-Zwangs findet das Unternehmen nicht problematisch. Im Gegenteil preist DHL das eigene Vorgehen noch als kundenfreundlichen Service an. Durch die Preisverleihung an die Deutsche Post DHL Group ist mancher überhaupt erst auf das Phänomen des grassierenden Digitalzwangs aufmerksam geworden.

c't kompakt​
  • Persönlicher Kunden- und Bürgerkontakt bedeutet hohe Personalkosten – Anbieter fahren dergleichen zurück und organisieren Dienste lieber über Webformulare oder Apps, die auch noch wertvolle Daten einsammeln.
  • Wer kein Smartphone nutzen kann, bleibt von Angeboten ausgeschlossen. Sogar an Supermarktkassen zahlt er für viele Produkte mehr als Kunden mit App.
  • Gerade bei behördlichen Diensten und in Bereichen, die der Daseinsvorsorge dienen, kann der Digitalzwang mit Grundrechten kollidieren.

Ein weiteres Beispiel: Da Banken ihre Filialnetze drastisch ausdünnen, sind Bankkunden in zunehmendem Maß auf Online-Banking angewiesen. Bei vielen Geldinstituten funktionieren Online-Transaktionen allerdings nur noch, wenn Kunden eine Authentifizierungs-App verwenden, für deren Nutzung ein Smartphone oder Tablet zwingend erforderlich ist. Das ergibt sich aus einer Studie des Verbraucherzentrale-Bundesverbands (VZBV). Die Institute berufen sich darauf, dass das zur obligatorischen Zwei-Faktor-Authentifizierung (2FA) notwendig sei – was so nicht stimmt: Eine Authentifizierung wäre technisch auch ohne Mobilgerät über ein photoTAN-Verfahren möglich, das mit einem Musterscanner am PC-Bildschirm arbeitet. Dieses bieten jedoch nur wenige Banken an.

Wer die Bank-App nicht verwenden möchte oder kann, für den wird es schwierig. Um Bankgeschäfte wieder in einer Filiale durchzuführen – sofern überhaupt eine erreichbar ist –, bedarf es häufig einer Vertragsänderung, der das Geldinstitut erst zustimmen muss. Manche Filialen, die noch nicht komplett eingespart wurden, haben inzwischen zudem nur noch an einem einzigen Wochentag geöffnet – wie etwa das "Privatkundencenter" der Stadtsparkasse Düsseldorf am Staufenplatz.

Die Initiative Digitalcourage e.V., die die deutschen Big Brother Awards verleiht, betreibt einen "Digitalzwangmelder", um Beispiele aus dem Alltag zu sammeln. Passend zum Anliegen ermöglicht er es, Zwangsfälle nicht nur übers Web zu melden, sondern auch per Briefpost.