Ohne App geht nix: Ein rechtlicher Blick auf den Digitalzwang

Seite 5: Was tun?

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Rechtlich gegen Digitalzwang vorzugehen, ist nicht einfach. Der deutsche Gesetzgeber schreibt weder Privatunternehmen noch Behörden vor, dass ihre Angebote auch ohne digitale Technik nutzbar sein müssen. Nach dem in § 311 BGB normierten Grundsatz der Privatautonomie dürfen Unternehmen normalerweise selbst bestimmen, gegenüber wem und zu welchen Konditionen sie ihre Angebote machen.

Sich auf Grundrechte wie das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 GG zu berufen, führt gegenüber privaten Anbietern meistens nicht weit: Grundrechte sind als Rechte gegenüber den staatlichen Gewalten konzipiert, nicht gegenüber privaten Adressaten. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn Bürger auf Leistungen der Daseinsvorsorge dringend angewiesen sind. Typische Beispiele sind Stromversorgung, Post, Telefon, Verkehrsunternehmen und die Müllabfuhr. Insbesondere hier können sich betroffene Kunden ohne Smartphone oder Rechner unter Umständen darauf berufen, dass ihnen diese Leistungen auch analog angeboten werden müssen, weil sich aus dem Grundgesetz ein Anspruch auf Teilhabe ergebe.

Das Themenportal bei Digitalcourage e.V. bringt das Problem des Digitalzwangs auf den Punkt, beschreibt ausführlich viele Spielarten des Phänomens und beleuchtet auch grundrechtliche Aspekte.

Da es hierzu noch keine Gerichtsentscheidung gibt, ist umso spannender, dass sich Dr. Bernd Lorenz, Fachanwalt für IT-Recht und zertifizierter Datenschutzbeauftragter, 2022 im Rahmen eines Fachzeitschriftenaufsatzes mit der Frage beschäftigt hat (Lorenz, Das Recht auf ein analoges Leben, Multimedia & Recht 2022, 935). Er vertritt die Auffassung, dass Bürger ein Recht auf analoges Leben ohne Internet und Smartphone haben. Das ergebe sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG. Nach seiner Auffassung ist die Voraussetzung für einen solchen Anspruch lediglich, dass sich ein Unternehmen ohne Ansehen der Person an ein großes Publikum wendet. Das Gleiche gilt für eine Behörde.

Lorenz’ Sichtweise ist aus Sicht von Verbrauchern und Bürgern ausgesprochen erfrischend und willkommen. Ob sie sich in gerichtlicher Praxis durchsetzt, ist jedoch zweifelhaft. Es bleibt letztlich nur, an den Gesetzgeber zu appellieren, dass er klare Regelungen trifft, um speziell jene Auswüchse des Digitalzwangs einzudämmen, die technisch für Betroffene nutzlos und in puncto Datenschutz obendrein bedenklich sind. (psz)