Power to Liquid: Das Potenzial an "überschüssigem" Strom
Regelmäßig geht Strom verloren, weil Windräder abgeschaltet werden. Würde er zur Synthese chemischer Brennstoffe genutzt – wie weit käme man damit?
Da in letzter Zeit immer wieder eine Debatte über Synthetik-Treibstoffe („Power to Liquid“, PtL) als Alternative zu batterieelektrischen Autos aufkommt, hier eine kleine Rechnung.
Unstrittig ist zunächst einmal, dass die direkte Verwendung von Strom zum Fahren um ein Vielfaches energieeffizienter ist als der Umweg über chemische Stoffe. Muss der Strom dafür zusätzlich erzeugt werden, handelt es sich bei PtL also um eine ziemliche Energieverschwendung.
Aber man könne, argumentieren PtL-Befürworter, dafür ja auch „überschüssigen“ Öko-Strom nehmen. Schließlich würden bei viel Wind und wenig Nachfrage immer wieder Windräder abgeschaltet. Das bedeutet, die Betreiber müssen ihre Anlagen vom Netz nehmen, bekommen den nicht erzeugten Strom aber trotzdem vergütet. Da sei es doch sinnvoller, ihn zur Erzeugung brennbarer Kohlenwasserstoffe zu verwenden.
Das ist prinzipiell richtig. Doch wieviel „überschüssigen“ Strom gibt es überhaupt? Über welche Größenordnung reden wir hier?
Ausfallarbeit
Laut Bundesnetzagentur fielen im Jahr 2019 rund 6482 GWh an „Ausfallarbeit“ an, überwiegend bei der Windkraft. Ursache dafür war aber nicht mangelnde Nachfrage, sondern ein Engpass im Netz – und zwar „zu rund 83 Prozent im Übertragungsnetz bzw. in der Netzebene zwischen Übertragungs- und Verteilernetz“.
Nun ist das allein kein Argument gegen SynFuels. Man muss sich allerdings klar machen, dass man die Fabriken dann in der unmittelbaren Nähe der Windräder aufbauen und das fertige Produkt per Pipeline oder Tanklaster im Rest der Republik verteilen müsste – was die Energiebilanz entsprechend belastet.
Ob das wirklich effizienter ist als Netzausbau oder lokale Stromspeicher? Und ließe sich mit dem Strom nicht durch Sektorkopplung etwas Klügeres anstellen? Lassen wir dies mal dahingestellt und wenden uns der Frage zu, wieviel E-Sprit man mit der vorhandenen Ausfallarbeit herstellen kann.
Die Basis dafür bietet eine Studie der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik für das Umweltbundesamt. 2016 hat sie am Beispiel einer Fabrik mit einer Jahreskapazität von 100.000 Tonnen durchgerechnet, wieviel Strom man mit welchen Methoden zur Erzeugung von synthetischem Kerosin benötigt. Für Diesel und Benzin dürften die Zahlen vergleichbar sein.
Effizienz
Der effizienteste Pfad ist danach die Hochtemperatur-Elektrolyse im Verbindung mit der Fischer-Tropsch-Synthese. Einen entscheidenden Einfluss hat auch, woher das benötigte Kohlendioxid stammt. Liegt bereits in konzentrierter Form vor – etwa aus der Aufbereitung von Biogas, aus der Abscheidung von fossilen Kraftwerken oder aus der Zement-Produktion – kommt die Studie im besten Fall auf einen Wirkungsgrad von 64 Prozent. Konkret: 613 MWh für 32,8 Tonnen Kerosin, also 53,5 kg/MWh. Muss das CO2 erst aus der Luft gefiltert werden, sind es nur 39 kg/MWh.
(Für eine Well-to-Wheel-Bilanz muss man davon natürlich noch den Wirkungsgrad des Verbrennungsmotors berücksichtigen, ca. 35 bis 45 Prozent. Schon ohne die Aufwendungen für den Transport des Treibstoffs käme also auch im optimistischsten Szenario maximal ein Drittel der eingesetzten elektrischen Energie an der Achse einen Autos an. In der Literatur findet man deutlich niedrigere Werte. Bei einem E-Auto dürfte der Wirkungsgrad Well-to-Wheel im 80-Prozent-Bereich liegen.)
Steckt man den gesamten 2019 abgeregelten Ökostrom in eine optimale PtL-Produktion (und hat man genug konzentriertes CO2 zur Verfügung), kommt man bestenfalls auf knapp 350.000 Tonnen Kerosin. Der Kerosinverbrauch allein der deutschen Luftfahrtgesellschaften betrug im selben Jahr rund 9,1 Millionen Tonnen (11,4 Milliarden Liter). Mit PtL könnte man also etwas mehr als 3,8 Prozent des Bedarfs decken.
Noch niedriger ist die Quote, wenn man sich den Straßenverkehr ansieht: 2019 wurden in Deutschland rund 38 Millionen Tonnen Diesel und 28 Millionen Tonnen Benzin verbraucht. Mit PtL aus der Ausfallarbeit ließen sich folglich gerade einmal 0,6 Prozent davon erzeugen. Kann man natürlich machen, ist aber kein nennenswerter Beitrag zur Dekarbonisierung des Verkehrs. (grh)