Résumé-Driven Development: Wie IT-Trends den Jobmarkt beeinflussen

Seite 2: Eine wissenschaftliche Studie

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Wissenschaftliche Forschungen zu diesem Thema gab es bislang nicht. Auch existiert für den Begriff Résumé-Driven Development (auch Curriculum Vitae-Driven Development, kurz CDD) keine eindeutige Definition. Er ist sporadisch in Blogs und Diskussionsforen zu dieser Thematik zu finden und führt dort interessanterweise meist zu kontroversen Debatten oder auch Polemik, wie der O'Reilly-Radar und die Blogbeiträge "How resumé-driven development shapes our industry" und "Why we at $FAMOUS_COMPANY Switched to $HYPED_TECHNOLOGY" zeigen. Ein Forscherteam vom Institut für Software Engineering der Universität Stuttgart hat 2020 eine Studie gestartet, die das Phänomen mit wissenschaftlichen Methoden erklären und dessen Einflussfaktoren bestimmen sollte. Ziel der Arbeit war es, den Begriff Résumé-Driven Development auf Basis empirischer Untersuchungen in den wissenschaftlichen Diskurs einzubringen.

In einer breit angelegten Umfrage wurden dazu Softwareentwickler auf der einen und Personalverantwortliche auf der anderen Seite befragt. Entwickler in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen, wozu auch Studierende von Informatik-Studiengängen zählen, wurden zur Gruppe der Bewerber zusammengefasst. Die Gruppe der Personaler setzte sich aus Angestellten der Personalabteilungen, Manager mit Personalverantwortung sowie spezialisierten Job-Vermittlern im IT-Bereich zusammen. Teilnehmer konnten auch aus beiden Perspektiven nacheinander antworten.

Eine Fokussierung auf diese beiden Gruppen war Grundlage des Studiendesigns. Betrachtet wurde der Rekrutierungsprozess mit Fokus auf die Lebensläufe der Bewerber und die Stellenausschreibungen der Personaler. Auf Basis einer ausreichend großen Stichprobe plante das Forscherteam gezielt Intentionen und Motivation beider Seiten zu erfassen sowie weitere Einflussfaktoren auf das Phänomen zu ermitteln. Im Zeitraum von Mai bis Juli 2020 hat die Universität Stuttgart eine Onlinebefragung durchgeführt, die auch dank der Unterstützung von heise Developer eine überregionale Verbreitung erreichte. Über Entwicklerforen, Karrierenetzwerke sowie Industriekontakte der Forscher wurde die Reichweite zudem international erweitert. Am Ende konnten insgesamt 591 Teilnehmer gezählt werden, von denen jedoch der überwiegende Anteil in Deutschland ansässig war.

Aufgeteilt nach den beiden Perspektiven Personaler und Bewerber ergab sich bei den Antworten ein Verhältnis von 130 zu 558. Die demografischen Daten zeigten eine realistische Streuung hinsichtlich Berufserfahrung und Unternehmensgröße: Einsteiger mit weniger als zwei Jahren Erfahrung und Experten mit mehr als 20 Jahren machten jeweils etwa ein Fünftel aus, der Rest lag dazwischen. Es dominierten Softwareingenieure gefolgt von Managern, Studenten und Architekten (siehe Tabelle). Die Branchenzugehörigkeit wurde klar vom Software- und IT-Services-Umfeld angeführt, zweithäufigste Domäne war der Automotive-Bereich.

Professionelle Rolle Personalverantwortliche Bewerber
Software Engineer   193
Manager / Team Lead 115 27
Informatik-Student   102
Architekt   76
Consultant   36
Forscher / Dozent   33
Systemadministrator   29
DevOps Engineer   27
Projektmanager   20
Personalvermittler 8  
Test / Quality Engineer   8
Requirements Engineer   7
Personaler 7  
Gesamt 130 558

Tabelle: Anzahl der Antworten in den beiden Gruppen "Personalverantwortliche" und "Bewerber", geordnet nach Berufsbezeichnung

Die Personalverantwortlichen wurden zu Beginn nach ihren Präferenzen hinsichtlich der Kenntnisse und Fähigkeiten der Bewerberinnen und Bewerber gefragt. Hier ging es zunächst um die bevorzugte technologiebezogene Ausprägung "Breite" vs. "Tiefe". Rund zwei Drittel aller Befragten erachteten beide Ausprägungen als wichtig. Jedoch vor die Wahl gestellt, würden 22 Prozent der Teilnehmer einen Kandidaten mit tiefem Wissen in spezifischen Technologien bevorzugen, während für 42 Prozent der Kandidat mit breitem Wissen attraktiver erscheint (s. Abb. 1). Das zeigt eine Tendenz hin zum Generalisten, wobei rund ein Drittel keine generelle Aussage dazu machen konnte oder wollte. Bei der Gegenüberstellung der Technologie-bezogenen Ausprägung "Etabliert" vs. "Aktuell/Trend" sahen 59 Prozent Letztere als wichtig an, während etablierte Technologien mit 85 Prozent noch wichtiger angesehen wurden. Wieder in der direkten Gegenüberstellung ergab sich dann auch ein deutlicher Vorteil bei den etablierten Technologien (39 %) gegenüber Kenntnissen in aktuellen Technologietrends (20 %). Wiederum 41 Prozent konnten oder wollten hier keine generelle Aussage machen.

Präferenzen der Personalverantwortlichen hinsichtlich Technologie-bezogener Kenntnisse der Bewerber (Abb. 1).

Es zeigt sich, dass breites Wissen in etablierten Technologien tendenziell eher den Bedürfnissen der Personalverantwortlichen beziehungsweise Unternehmen entspricht. Ein weiterer wichtiger Aspekt im Zusammenspiel beider Gruppen ist die Erwartungshaltung beziehungsweise Einschätzung der Gegenseite (s. Abb. 2). In Bezug auf Bewerber waren sich 71 Prozent der Personalverantwortlichen einig, dass Softwareentwicklerinnen und -entwickler generell Spaß an der Arbeit mit den neuesten Technologien haben. Dazu passend nahm etwa die Hälfte der Befragten an, Bewerber würden durch die Aussicht auf Arbeit mit etablierten Technologien (“Legacy”) eher abgeschreckt. Interessanterweise stimmten die Personaler ebenfalls mehrheitlich (59 %) zu, dass Technologietrends einen Einfluss auf die Inhalte ihrer Stellenausschreibungen haben. Konkret danach gefragt, ob die dort beworbenen Technologien von den Erwartungen potenzieller Bewerber beeinflusst werden, bejahte immerhin noch eine knappe Hälfte von 46 Prozent.

Antworten der Personalverantwortlichen: Einflüsse auf Stellenausschreibungen und Annahmen über Bewerber (Abb. 2).

Indizien für RDD lassen sich hier also durchaus erkennen. Schwieriger war es jedoch, konkrete Gründe dafür auszumachen. Einen möglichen Faktor könnte der Arbeitsmarkt darstellen: 59 Prozent der Befragten gaben an, dass sie Schwierigkeiten haben, passende Kandidaten für ihre offenen Stellen zu finden. Hingegen gaben nur 15 Prozent an, dass es für sie kein Problem darstellt. Seitens der Unternehmen ist demnach also ein Werben, um die besten Bewerber zu erwarten. Dass dies die Unternehmen aber tatsächlich dazu veranlasst, Zugeständnisse zu machen, konnte mittels einer durchgeführten linearen Regressionsanalyse nicht nachgewiesen werden.