Résumé-Driven Development: Wie IT-Trends den Jobmarkt beeinflussen

Seite 4: Folgen und Ausblick

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Es stellt sich nun die Frage, welche potenziellen Auswirkungen Résumé-Driven Development auf die Praxis der Softwareentwicklung hat. Hier ist eine Unterscheidung in zwei Hauptbereiche möglich: Zunächst sind langfristige Auswirkungen auf die Softwarequalität möglich. Die Teilnehmer auf Bewerberseite stimmten mehrheitlich zu, dass permanent aufkommende Technologietrends die Diversität der genutzten Sprachen, Frameworks und Werkzeuge im Unternehmen vergrößern. Das erhöht die Komplexität und verschlechtert die Wartbarkeit der entwickelten Software, sei es durch das Management von Abhängigkeiten und Updates oder auch des Wissenstransfers im Team. Mängel an Zuverlässigkeit werden zudem oft unausgereiften Technologien zugeschrieben. Da sich Trends oftmals nicht langfristig durchsetzen, kann sich der Aufwand schnell als Fehlinvestition herausstellen. Für Unternehmen kann RDD demnach Qualität und Zuverlässigkeit negativ beeinflussen und zudem die Wartungskosten in die Höhe treiben. Die Folgen zeigen sich in der Regel nicht sofort, sondern eher mittel- bis langfristig. Eine aktuelle Einschätzung im IEEE Software Journal zum Thema "Zukunft der Softwareentwicklung" will schon gegenwärtig sichtbare Folgen von "overwhelming complexity, combined with insufficient development competences" ausmachen, beispielsweise in "public’s decreasing acceptance of [...] self-driving cars".

Der zweite Bereich an Auswirkungen umfasst den Rekrutierungsprozess selbst. Hier kann RDD auf beiden Seiten falsche Erwartungen wecken. Bewerberinnen und Bewerber sehen es generell nicht gern, wenn ihre zukünftige Rolle im Unternehmen nicht klar umrissen wird. Mangelhaft kommunizierte Kriterien seitens der Personalverantwortlichen wurde als einer der Hauptmängel bei der Analyse von über 10.000 Reviews des Karriereportals Glassdoor identifiziert. Eine sich im Nachgang ergebende hohe Fluktuation ist für beide Seiten kostspielig, insbesondere aber für das Unternehmen. Die kostenintensive Einarbeitung war vergebens und im schlimmsten Falle hinterlässt der Neuling unverwertbaren Code, da keiner der anderen Teammitglieder die eingesetzte Technologie beherrscht.

Ein weiterer Punkt, der vielfach in den Freitextantworten der Stuttgarter Studie genannt wurde, ist die einhergehende Vernachlässigung von Soft Skills. Hier sind soziale Kompetenzen wie Kommunikation, Selbstmotivation und Lernfähigkeit zu nennen, sowie ein Grundverständnis der Prinzipien, die sich hinter all den Technologien verbergen. Auch hier sei nochmals auf die Einblicke des bereits oben zitierten Autors verwiesen, der beide Seiten aus Erfahrung kennt [1].

Getreu dem Motto "wo Schatten ist, da ist auch Licht", fällt es nicht schwer, dieser Dynamik auch positive Aspekte abzugewinnen. Schließlich ist die Softwareentwicklung geprägt von einem permanenten Wandel. Die sich immer schneller vergrößernde Technologielandschaft erfordert ein permanent hohes Maß an Lernfähigkeit und -willen. Entwickler, die sich gern mit Technologietrends beschäftigen und diese nutzen, bringen solche Fähigkeiten meist automatisch mit und stellen damit ihre Ambitionen unter Beweis. Für Unternehmen kann es daher langfristig lukrativer sein, einem besonders lernwilligen Bewerber den Vorzug zu geben, auch wenn dieser hinsichtlich seiner aktuellen Kenntnisse die Anforderungen nicht optimal erfüllt. Zudem kann der wissbegierige Neuling als Bereicherung für erfahrene Teammitglieder dienen, indem er frischen Wind und neue Ideen einbringt.

Abschließend sei der berühmte Informatiker Donald Knuth zitiert: “computer programming is an art [...] especially because it produces objects of beauty. A programmer who subconsciously views himself as an artist will enjoy what he does and will do it better”. Es spricht in gewisser Weise dafür, Softwareentwicklern die Freiheit zu geben, ihre bevorzugten Tools und Technologien selbst zu wählen. Jedoch erfordert die heutige Omnipräsenz von Algorithmen und Software in vielen sicherheitskritischen Systemen besondere Qualitätsstandards und ingenieurmäßige Methoden. Das sollte jedoch keinen entmutigen, Trends zu verfolgen und sich regelmäßig neues Wissen anzueignen. Das kann man dann beispielsweise bei Coding Challenges oder Hackathons unter Beweis stellen.

Die besprochene wissenschaftliche Studie wird auf der diesjährigen International Conference on Software Engineering (ICSE, 25. - 28 Mai 2021) präsentiert. Für weitere Details zum Thema empfehlen die Autoren zudem die Lektüre der Vorabveröffentlichung.

Jonas Fritzsch, M.Sc.
forscht im Bereich Software Engineering und Architekturen an der Universität Stuttgart. Dabei profitiert er von über zehn Jahren Erfahrung in der Enterprise Softwareentwicklung bei seinem vorherigen Arbeitgeber HPE (ehemals HP). Als Universitätsdozent lehrt er Programmierung und Algorithmen in Informatik-Studiengängen.

Literatur

[1] W. Gant, "Surviving the Whiteboard Interview", Apress, 2019, ISBN: 978-1484250068

(mdo)