Résumé-Driven Development: Wie IT-Trends den Jobmarkt beeinflussen

Welchen Einfluss haben IT-Trends auf die Jobsuche? Die Universität Stuttgart hat die Auswirkungen von RDD auf die Praxis der Softwareentwicklung untersucht.

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(Bild: baranq/Shutterstock.com)

Lesezeit: 19 Min.
Von
  • Jonas Fritzsch
Inhaltsverzeichnis

Technologietrends spielen für Softwareentwickler bei der Jobsuche eine wichtige Rolle. Unlängst deuten verschiedene Quellen auf Missverständnisse und schlechte Praktiken in diesem Bereich hin. Der anekdotisch geprägte Begriff Résumé-Driven Development (RDD) beschreibt dabei ein Phänomen der Überbetonung von Technologietrends im Bewerbungsprozess. Die Universität Stuttgart hat dieses Phänomen empirisch durch die Befragung von 591 Software-Profis und Personalverantwortlichen untersucht.

Die Ergebnisse konnten RDD-Facetten in wesentlichen Teilen der Stichprobe nachweisen: 60 Prozent der Personaler waren sich einig, dass Trends ihre Stellenausschreibungen beeinflussen. Auf Bewerberseite glaubten 82 Prozent, die Verwendung von Trend-Technologien in ihrer täglichen Arbeit mache sie für potenzielle zukünftige Arbeitgeber attraktiver. Der Artikel fasst die Ergebnisse der Studie zusammen und diskutiert Einflussfaktoren sowie Konsequenzen für die Praxis der Softwareentwicklung.

"Neueste Technologien über funktionierende Lösungen, imposante Buzzwords über erfolgreich abgeschlossene Projekte, kreative Berufsbezeichnungen über technische Fachkenntnis und Setzen auf Trends statt pragmatischer Lösungen" – dieses Zukunftsbild der Softwareentwicklung zeichnet ein satirisches Manifest über Résumé-Driven Development.

Tatsächlich mehren sich die Anzeichen, dass diese zugegebenermaßen düstere Zukunftsvision schon heute in der Praxis anzutreffen ist. In Zeiten sozialer Netzwerke, Communities, Jobportalen und insbesondere Karriereplattformen avanciert das eigene Profil samt professionellem Werdegang mehr denn je zum Aushängeschild. Solche Informationen zählten vor wenigen Jahren noch zu vertraulichen Details, die man nur zum Zwecke der Bewerbung auf eine neue Arbeitsstelle preisgab. Inzwischen hat sich ein zunehmend freizügiger Umgang damit etabliert. Ein aktuelles Profil auf Xing oder LinkedIn mit vollständiger Historie, erlangten Abschlüssen und Zertifikaten sowie von Kollegen bestätigten Kenntnissen und Fähigkeiten ("Endorsements") ist bereits eher die Regel als die Ausnahme und komplettiert einen professionellen Auftritt. Ein hoher Vernetzungsgrad erhöht dabei die Glaubwürdigkeit und lässt auch potenzielle Hochstapler leichter entlarven.

Dank ausgefeilter Suchfunktionen wird dort aber nur gefunden, wer sich auch entsprechend präsentiert. Dass es eine wahre Fundgrube für Personalvermittler und Unternehmen ist, können sicher viele bestätigen. Was auf den ersten Blick wie ein äußerst nützliches Hilfsmittel für Bewerber und Personaler aussieht, hat aber auch Schattenseiten. Neben generellen Bedenken zu digitaler Enthaltsamkeit oder Datenschutz kann die hohe Bedeutung der ständig und für nahezu jedermann verfügbaren Profile und Lebensläufe vor allem zu steigendem Drang nach Perfektionierung des eigenen Erscheinungsbildes führen. Hier spielen bei Softwareentwicklerinnen und -entwicklern vor allem Kenntnisse und Fähigkeiten hinsichtlich verschiedener Technologien eine Rolle.

Eine aktuelle Studie unter 65.000 Softwareentwicklern ergab, dass technologische Kompetenzen im Bewerbungsprozess als wichtigster Faktor für eine neue Stelle angesehen werden. Zugleich wurde in einer Studie mittels Eye-Tracking festgestellt, dass Personaler im Schnitt 7 Sekunden für den Blick auf den Lebenslauf eines Bewerbers investieren. Somit bleibt nicht viel Zeit, die kritischen Augen der Rekrutierer zu überzeugen. Es liegt nahe, dass das am ehesten mit Breite und Aktualität der präsentierten Technologien gelingt (zynische Zeitgenossen mögen hier von Buzzwords sprechen). Zudem erhöhen diese unter anderem bei Suchanfragen die Wahrscheinlichkeit, überhaupt gefunden zu werden.

Eine Strategie, mit der sich ein solch eindrucksvolles Profil aufbauen lässt, scheint klar: Man gibt der Technologieauswahl im aktuellen Tätigkeitsfeld eine entsprechende Priorität oder wählt zukünftige Arbeitgeber und Jobs konkret nach diesen Kriterien aus. Häufige Wechsel sind immanent, damit man nicht in einem Themengebiet stecken bleibt. Die tatsächlichen Anforderungen des aktuellen Projekts oder Kunden treten damit in den Hintergrund. In Entwicklerkreisen hat sich unlängst RDD als satirischer Begriff etabliert. Der Kern liegt hierbei in einer Fokussierung auf aktuelle Technologietrends, die Lücken im eigenen Profil füllen, dieses damit aufwerten und eindrucksvoller erscheinen lassen. Die Attraktivität des eigenen Profils steht also im Mittelpunkt und verdrängt damit produkt- beziehungsweise projektspezifische Anforderungen, aus denen sich primär die Wahl der zu nutzenden Technologien ergeben sollte.

Fehlt es einer Entwicklerin oder einem Entwickler beispielsweise an Praxis bei der Frontend-Entwicklung in Angular oder React, dann wird sie/er vermutlich eines dieser Frameworks im aktuellen Projekt priorisieren. Steht in einem Lebenslauf noch zu wenig über Microservices, bietet es sich an, die aktuell anstehende simple Web App in Spring Boot zu implementieren und als Containeranwendung in einem Kubernetes-Cluster zu deployen. Die Präferenz orientiert sich dabei an aktuellen Trends oder auch Hypes, die nicht selten nach wenigen Jahren wieder vom Markt verschwinden. Hierfür ist neben Medien, Entwickler-Communities und Foren der regelmäßig für verschiedene Disziplinen erscheinende Gartner Hype Cycle ein guter Indikator. Dieser ordnet zugleich jeden Technologietrend einer von fünf Phasen zu, die er typischerweise durchläuft. Ein noch genauerer Indikator für derartige Technologie-Bewegungen ist das quartals-aktuelle Technology Radar der Firma ThoughtWorks.

Entwickler beziehungsweise Bewerberinnen repräsentieren jedoch nur eine Seite von RDD. Auf der anderen stehen die Unternehmen sowie deren Personalverantwortliche, die dementsprechend agieren und reagieren. Richten Entwickler das Hauptaugenmerk auf das eigene Profil, wollen Unternehmen jedoch das bestmögliche Produkt mithilfe des passenden Werkzeugs erstellen, dann können diese divergierenden Interessen leicht zu Konflikten bei der Technologieauswahl führen. Unternehmen befinden sich hier in einer Zwickmühle. Die tatsächlich begehrten Technologien sind möglicherweise oftmals die, mit denen Entwickler nicht so gern arbeiten möchten.

Da erfahrene Softwareentwickler auf dem Arbeitsmarkt offenbar eher rar sind, ist man unter Umständen zu Zugeständnissen bereit. RDD auf Seite der Unternehmen und Personalverantwortlichen impliziert nun, dass sie ihre Stellenausschreibungen mittels aktueller, bei Entwicklern beliebten Technologietrends aufwerten. So könnten sie eine größere Zahl von Bewerbern ansprechen und im Endeffekt vielleicht einen besser geeigneten Kandidaten finden. Im Gegenzug wiederum können Bewerber schließlich davon ausgehen, dass die Stellenausschreibungen auch den tatsächlichen Bedarf eines Arbeitgebers widerspiegeln. Sie sehen sich also sicherlich darin bestärkt, ihre Profile hinsichtlich einer großen Breite aktueller Technologietrends zu optimieren.

Es zeigt sich, dass Résumé-Driven Development eine Wechselwirkung zwischen Bewerber- und Rekrutiererseite beschreibt, bei der Technologietrends im Mittelpunkt stehen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird eine solche Praxis früher oder später negative Auswirkungen haben. Das trifft zum einen die Bewerber, deren Erwartungen nicht erfüllt werden (siehe Kapitel "Why Software Development Hiring Is Broken" in [1]). Noch gravierender können die langfristigen Folgen für das Unternehmen sein, wenn mangelnde Qualität und Wartbarkeit der Software hohe Kosten verursachen.

Es stellt sich die berechtigte Frage, ob die skizzierten Zusammenhänge tatsächlich auf diese Weise existieren und ob sich sogar eine Kausalität nachweisen lässt. Interessant wäre zudem, in welchem Ausmaß dieses Phänomen vorhanden ist und welche Auswirkungen es auf die Softwareentwicklung in der Praxis hat.