Schule Digital: Lernplattformen und die zu geringen Bandbreiten der Politik

Seite 5: Gefördert vom BMBF: HPI Schul-Cloud behindert Digitalisierung der Schulen

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Chefsache im Bund: Parallel zu den konkreten Bemühungen und Rückschlägen verschiedener Kultusministerien zu Aufbau und Betrieb von landesweiten Lernplattformen und Lernmanagementsystemen genießt ein Projekt des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam, die bereits erwähnte HPI-Schul-Cloud, die besondere Aufmerksamkeit des Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF. Eindeutig profitiert das Projekt von Ruf und Namen des Instituts und seines Stifters und SAP-Gründers. Die als studentisches Projekt am HPI entwickelte Software ist zunächst ein webbasiertes Lernmanagementsystem. Das, was bei GitHub herunterladbar ist, bietet nach Auskunft von Moodle-Insidern in etwa den Funktionsumfang, den Moodle ohne Plugins vor knapp 20 Jahren hatte. Darüber hinaus stellt sich – ebenso wie bei anderen Softwareprodukten – das muss fairerweise gesagt werden – die Frage, inwieweit die HPI-Schul-Cloud wirklich cloudfähig, das heißt skalierbar ist.

Prof. Dr. Christoph Meinel, der Leiter des Instituts, äußerte sich wiederholt kommentierend zu Lernplattformen, dass es nur teure Pilotprojekte gebe, aber keine praktikablen Lösungen. Dabei lobt er sein Projekt, das die Förderung durch das BMBF genießt, über den grünen Klee. Schon zuvor am 17. April 2020 reichte es offensichtlich den mittelständischen Unternehmen AixConcept, DigiOnline, H+H Software, IServ, Itslearning und SBE network solutions. Die sechs Unternehmen, die schon vor der Pandemie in der Summe für den Betrieb mehrerer Tausend Schulserverlösungen und Lernplattformen in Deutschland verantwortlich zeichneten, wandten sich in einem offenen Brief an die Bundesministerin für Bildung und Forschung Anja Karliczek, in dem sie gegen die Entwicklung der HPI-Schul-Cloud protestierten. Bereits bewährte, praxiserprobte Schul-Cloud-Lösungen auf dem Markt würden ausgebremst und behindert, so die Unternehmen.

In der Tat bieten mittlerweile drei Bundesländer, Thüringen, Brandenburg und Niedersachsen, den Schulen die HPI-Schul-Cloud kostenlos an. Dann wird so ein Angebot natürlich genutzt, aktuell von etwa 3.500 Schulen. Die HPI-Software ist in Niedersachsen sogar integraler Bestandteil der Niedersächsischen Bildungscloud.

Dies ist aber nicht einfach nur ein Streit zwischen Unternehmen um öffentliche Fördertöpfe. Es geht dabei einerseits um eine Frage der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern – wer kümmert sich um den Aufbau von Schul-Clouds? – und andererseits um einen Konflikt zwischen mittelständischen deutschen Unternehmen und einem mit dem Status der Gemeinnützigkeit versehenen Aninstitut einer Universität.

Am 10. Juni 2020 erklärt das gemeinnützige HPI in einer Pressemitteilung, dass es "bei der Weiterentwicklung der HPI Schul-Cloud auf starke Partner" setze. Im Rahmen einer Ausschreibung wurde Dataport als Generalunternehmer mit dem Betrieb und der Unterstützung bei der Weiterentwicklung der HPI Schul-Cloud beauftragt. Der IT-Dienstleister der öffentlichen Hand übernimmt diese Aufgaben gemeinsam mit Partnern: Capgemini, Bechtle und Ionos (Hosting). Dabei soll Capgemini gemeinsam mit Dataport das HPI bei der Weiterentwicklung unterstützen. Ein gemeinnütziges Institut, das HPI, entwickelt ein konkretes mit öffentlichen Mitteln gefördertes Produkt, die Software weiter, im Verbund mit einem privatwirtschaftlichen Unternehmen, Capgemini. Jedem Konkurrenten auf dem Markt muss dort der Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung auf der Zunge liegen.

Als zu Beginn der Pandemie die Bedarfe an Nutzerkonten und Werkzeugen zum Distanzlernen schlagartig anstiegen, – die Lernmanagementsysteme sind hier ja die Schaltzentralen – entschied man in beiden Bundesländern, kurzfristig für mehrere tausend Schulen Moodle-Instanzen zur Verfügung zu stellen. In NRW wurde dies einem erfahrenen kommerziellen Moodle-Dienstleister übertragen, in Baden Württemberg sprang das Landeshochschulnetz BelWü in die Bresche und stellte in einer Nacht-und-Nebel-Aktion im März 2020 tausende Moodle-Instanzen für Schulen bereit. Mittlerweile hat BelWü im noch laufenden Lockdown mit nach wie vor erhöhten Bedarfen nach technischen Lösungen für das Distanzlernen angekündigt, dass sich die Baden-Württemberger Schulen einen neuen Dienstleister suchen sollen. Man vermutet, dass hinter den Kulissen in den zuständigen Ministerien heftig gestritten wird. Daher darf ruhig angenommen werden, dass es dabei in erster Linie um finanzielle Mittel und in zweiter um Zuständigkeiten geht.

Lediglich der Charakter der Fehler ist in Bayern ein anderer. Gegenüber Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg ist man in der glücklichen Lage, bereits vor der Pandemie ein Landessystem zu besitzen. MeBiS (Medien, Bildung, Service) ist schon länger in Betrieb, es bietet neben einigen Werkzeugen ein komplettes Moodle als Lernplattform und eine Distributionsplattform für digitale Bildungsmedien. Allerdings kommen bayrische Schulen, die eine Alternative zu Moodle als LMS nutzen wollen, an die Medienplattform per Schnittstelle nicht heran, es gibt nur einen Gesamtzugang.

Und das Moodlesystem war zu Beginn der ersten Lockdownphase im März 2020 als eine einzige große Instanz ausgelegt. Die Vorteile, die Moodle bietet, nämlich seine große Flexibilität, seine Anpassbarkeit an didaktische Bedürfnisse und die Möglichkeiten, weitere Anwendungen und Plugins je nach Bedarf der einzelnen Schule per LTI-Schnittstelle in das System einzubinden, waren zugunsten der Handhabbarkeit und des Managements als Einzelinstanz von vornherein aufgegeben.

Moodle ist erstens nicht dazu gedacht, die schulischen Bedürfnisse eines ganzen Landes als große Einzelinstanz abzubilden und zweitens ist es nicht so konzipiert, dass es sich für den Betrieb in einer Cloud so einfach horizontal und proportional zu den Nutzerzugriffen skalieren lässt. In der Konsequenz brach das System aufgrund der zahlreichen Zugriffe schlicht zusammen. Lokale dezentrale Installationen wären hier leistungsfähiger und besser gewesen. Zahlreiche Bayrische Schulen griffen in der Not zu anderen, stabiler laufenden Werkzeugen. Die Konsequenz: Auch in Bayern gibt es nun einen Flickenteppich an unterschiedlichen Tools. Damit ist keinesfalls gesagt, dass Moodle überhaupt nicht geeignet ist, skaliert zu werden, es muss nur jemand tun!

Instabilitäten und Crashs, die gab es auch bei der sächsischen Landesplattform LernSax. Der Kern des Systems ist hier die Software WebWeaver. [Update, 09.06.2021, 8:15 Uhr] Allerdings kam nicht sie in Sachsen an ihre Grenzen, sondern ihr Unterbau, teils aufgrund massiver DDoS-Angriffe während der Lockdown-Phasen. [/Update] Offensichtlich hatte man vergessen, in den Rechenzentren entsprechende Ressourcen bereitzustellen.