Speed kills? – Verkehr, Geschwindigkeit und Energie

"Weiß doch jeder, dass die Energie quadratisch mit der Geschwindigkeit ansteigt," erklären Physiker wie Ingenieure unisono. Nur was bedeutet das ganz praktisch?

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VW ID.3

(Bild: EuroNCAP)

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Detlef Grell
Inhaltsverzeichnis

Geschwindigkeit erlegt uns ein Handlingproblem auf: Je schneller wir unterwegs sind, mit umso kräftiger wachsender Energie müssen wir bedachtsam umgehen. Denn die Energie ist es, die uns bei unsachgemäßem Umgang gefährlich werden kann.

Die ehemalige TopGear-Ikone Jeremy Clarkson liefert dazu einen ganz eigenen Diskussionsbeitrag: "Speed has never killed anybody. Suddenly becoming stationary, that's what gets you." Zu Deutsch ungefähr: Geschwindigkeit hat noch niemanden getötet. Es ist der plötzliche Stillstand, der dich erwischt. Da hat er recht, denn wie sollte man Flüge mit 900 km/h überleben, wenn die Geschwindigkeit per se tötet? Allerdings meinte Jeremy in diesem Zusammenhang durchaus was anderes: Er ärgerte sich über einige Tempolimits im Vereinigten Königreich, die er für völlig überzogen hielt.

Ich finde den Punkt mit dem plötzlichen Stillstand jedoch sehr ausführenswert. Er liefert Erkenntnisse, die fast noch mehr für den boomenden Bereich Fahrräder und E-Bikes als für Autos bedeutsam sind. Laut Jeremy stellt man sich die kinetische Energie folglich am besten als Aufprallenergie vor. Also als die Energie, die wieder aufgezehrt werden muss, wenn ich frontal irgendwo gegenfahre. Die ich oder mein Gegenpart zu spüren bekommen, wenn es mal so richtig kracht.

Aber selbst das bleibt noch reichlich diffus. Eine Tabelle indes, die die Aufprallwucht korrespondierend zur Geschwindigkeit anführt, macht es meines Erachtens deutlicher. Deren Inhalt errechnet sich sehr simpel nach der Formel

E = 1/2 mv2

E steht für Energie, m für die bewegte Masse und v für die Geschwindigkeit. Weder die Konstante 1/2 noch die Masse ist relevant, wenn man nur die Energieunterschiede bei verschiedenen Geschwindigkeiten tabelliert, denn die Konstanten 1/2 und m kürzen sich dabei weg. Übrig bleiben ganz einfache Zahlenverhältnisse. Die Tabelle zeigt die Geschwindigkeit in km/h und rechts das Ansteigen der Energie im Quadrat; ich habe dazu der Einfachheit halber den dimensionslosen Energiefaktor EF eingeführt.

v [km/h] EF
10 15 20 25 30
100 225 400 625 900
40 45 50 60 70
1600 2025 2500 3600 4900
80 90 100 110 120
6400 8100 10 000 12 100 14 400
130 140 150 200 250
16.900 19 600 22 500 40 000 62 500

Nach meinen Beobachtungen ist heute allerdings 15 km/h schon eher das Durchschnittstempo, Leichtlaufrädern mit vielen Gängen sei es gedankt. Eine Erhöhung auf 20 km/h verdoppelt auch hier die Energie, bei 25 km/h ist sie bereits gegenüber 15 km/h verdreifacht. (225 x 2 = 450, 225 x 3 = 675, wobei – zur Erinnerung – 225 der Energiefaktor EF bei 15 km/h ist).

Wer sich nun als E-Bike ein Speed-Pedelec gönnt, das den Fahrer bis 45 km/h unterstützen darf, der ist mit der neunfachen Aufprallwucht gegenüber dem gemächlichen Radfahrer mit 15 km/h unterwegs. Das gilt natürlich ebenso für Hobby-Radrennfahrer, die in solchem Tempo auf höchst zierlichen Gerätschaften unter ihrem Allerwertesten jonglieren.

Was meinen Sie, wie viele Fahrradverkäufer den Senioren, die sich das Leben mit einem Pedelec (unterstützt bis 25 km/h) oder gar E-Bike erleichtern wollen, eine adäquate Einschätzung des Gefahrenpotenzials mit auf den Weg geben? Immerhin haben etliche Kommunen das Problem insoweit erkannt, dass sie geeignete Schulungen für Radfahrer anbieten.

Inzwischen können Stürze und Kollisionen mit schnellen Fahrrädern fatale Folgen haben – und das durchaus auch ganz ohne die Mithilfe von Autofahrern. Die Unfallstatistik 2018 für Niedersachsen benennt bereits erkennbare Anstiege der Unfälle mit Todesfolge für Senioren mit E-Fahrrädern, schlüsselt allerdings die Unfallbeteiligten nicht separat auf.

Tja, und wer sich beim Spazierengehen in Wäldern die Wege mit Radfahrern teilen darf (so etwa in Hannovers schönem Stadtwald, der Eilenriede), fühlt sich nicht ganz zu Unrecht mehr und mehr von Fahrrad-Rasern bedroht: Die rauschen wirklich immer schneller an einem vorbei und man möchte ganz bestimmt nicht als Fußgänger mit denen zusammenrasseln.

Dann sind da ja noch diese für Autofahrer so nervigen 30er-Zonen, deren Verkehrszeichen in den Städten wie Pilze aus dem Boden schießen. Da hat man nun ein hochmodernes Auto, richtig gute Bremsen und viel Assistenz ... trotzdem erzählt uns die Physik unliebsame Dinge, wenn wir ihr mal zuhören.

Wer zum Beispiel mit 50 km/h durch eine 30er-Zone rauscht, ist mit fast der dreifachen kinetischen Energie unterwegs. Viele dieser Zonen sind zwar erst 2018 nach einer Verkehrsrechtsreform flächendeckend vor Schulen, Kitas und Altenheimen angelegt worden, trotzdem sollte man das nicht als Ausrede benutzen und aus alter Gewohnheit wie früher dran vorbeibrettern. Sie prallen dann schließlich mit 2,8-facher Energie auf Hindernisse – die an dieser Stelle womöglich schutzbedürftige Menschen sind, die dann richtig schlechte Karten haben. Manche Gängelei hat womöglich Sinn.

In Großstädten wie Hannover werden auf breiten Ausfallstraßen gern schon mal 70 km/h gefahren, wo eigentlich 50 vorgeschrieben sind. Gefühlt geben das die großzügig ausgebauten Straßen sicherlich her, aber man sollte sich bewusst machen, dass man "mit nur 20 Sachen mehr" bereits mit dem doppelten Wumms unterwegs ist.

Die oben weggekürzte Masse in der Rechnung behält natürlich ihre Bedeutung, wenn es um den absoluten Wert der Aufprallenergie geht. So ist es schon ein gewaltiger Unterschied, ob 100 Kilogramm Radfahrer samt Radl gegen eine Mauer fahren oder ein 2,5 Tonnen schweres SUV. Im ersten Fall leidet eher der Radfahrer, im zweiten eher die Mauer. Es lässt sich auch ausrechnen, dass ein 2,5-t-SUV mit 250 km/h etwa die Einschlagskraft eines 25 Tonnen schweren LKW mit 80 km/h entwickelt.

Man versteht nach einem Blick auf die Tabelle vielleicht auch besser, warum baumbestandene Straßen auf 70 km/h beschränkt werden – mit den auf Landstraßen sonst üblichen 100 km/h schädigt man Auto-Insassen und Bäume bereits mit der doppelten Energie. 23 Prozent der Verkehrstoten in Niedersachsen gingen 2018 übrigens immer noch auf Unfälle mit Bäumen zurück.

Tatsächlich sind die Energieunterschiede in höheren Tempobereichen weniger dramatisch. Wer 140 km/h statt 130 fährt, erhöht seine kinetische Energie gerade mal um 16 Prozent, wer 150 wagt, liegt bei 33 Prozent mehr. Hier verdoppelt und verdreifacht sich nichts dramatisch.

So gut man das Strafkonzept bei Tempo-Überschreitung im städtischen Bereich also begründen kann, auf der Autobahn (sofern man mal gerade nicht auf einer Baustelle mit 60 km/h unterwegs ist) sind die absoluten Grenzwerte als Strafmaß für Überschreitungen nicht wirklich logisch. Eine prozentuale Staffelung oberhalb 100 km/h würde einer physikalisch begründeten Bemessungsgrundlage sicherlich eher gerecht – könnte man meinen.

Das sieht indes ganz anders aus, wenn man Bremswege und Reaktionszeiten zum Beispiel für den scheinbar geringen Unterschied von 130 zu 150 km/h betrachtet, denn der Anhalteweg verlängert sich enorm. Bei konstanter Reaktionszeit des Fahrers von zum Beispiel 1 Sekunde ergibt sich zunächst ein proportional zur Geschwindigkeit ansteigender Reaktionsweg (bei 130/150 km/h sind das 5,7 Meter mehr).

(Die im Folgenden benutzten Formeln sind etwas genauer als die üblichen Faustformeln, also nicht über kleine Unterschiede wundern. Mit den Formeln für den Senkrechten Fall respektive Wurf kommt man recht genau an die Ergebnisse heran).

Der Bremsweg erhöht sich unter idealen Bedingungen, also bei trockenem, griffigem Asphalt, mindestens quadratisch. Legt man eine (sehr gute) Bremsverzögerung von 10 m/s2 zugrunde, dann ergeben sich für das Beispiel (150 km/h statt 130 km/h) Bremswege von 87 m zu 65 m, also 22 m Differenz. Schlägt man noch die knapp 6 m durch die Reaktionszeit auf, dann landet man bei einem fast 28 Meter längeren Anhalteweg.

Klingt erst mal nicht wirklich bedrohlich, aber: Wenn der Fahrer aus 130 km/h bereits steht, dann ist der andere Fahrer noch mit fast 85 km/h unterwegs. Den möchte man dann aber lieber vor als hinter sich haben. Jeremy hat schon recht: Das abrupte Stoppen, das ist das Problem!

(fpi)