Spritpreis-Extreme: Entkommt man mit Salatöl im Dieselmotor der Preissteigerung?

Die steil steigenden Spritpreise bringen Erinnerung an Zeiten, in denen wir mit Salatöl im Dieselmotor unterwegs waren. Sollten wir das nun wieder wagen?

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Der Motor des BMW M21 zeigt im Vordergrund des Bildes die Verteilereinspritzpumpe mit Ladedruckanreicherungsmembran. Solche Motoren mit vollkommen mechanisch-pneumatischer Steuerung eignen sich am ehesten für die Verwendung von Salatöl.

(Bild: BMW)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine beflügelt die ohnehin bereits im steilen Anstieg begriffenen Spritpreise und in der Folge die Erinnerung an die Zeiten, in denen wir lustig mit Salat- oder altem Frittenöl im Dieselmotor unterwegs waren. Denn schon vor zwanzig Jahren gab es eine Preisdifferenz zwischen Mineral- und Speiseöl, bei der sich das – vordergründig gerechnet – lohnte. Legal ist es immer noch. Es gibt allerdings einige technisch begründbare Bedenken, das stärkste Argument ist heute allerdings ein geopolitisches.

Nicht, dass Sie denken, ich möchte die Alternative Pflanzenöl im Dieselmotor jetzt ausschließlich schlechtreden. Jahrelang habe ich Alt-Speiseöl auf diese Weise einer weniger umweltschädlichen Verwendung zuführen können. Mein persönliches Fazit: Es hat störungsfrei ohne spürbare Leistungseinbußen funktioniert und die Motoren laufen (bis auf einen, den ein bereits vorher geschädigter und dann geplatzter Turbolader zerstörte) heute noch unauffällig. Dennoch folgt nun vor allem eine längere Liste berechtigter Bedenken. Ziehen Sie Ihre Schlüsse anhand dieser Argumentationshilfe am besten selbst.

Von der berechtigten "Tank-Teller-Diskussion" einmal abgesehen, ist Pflanzenöl insofern eine nachhaltige Alternative zu fossilem Dieselkraftstoff, als die Pflanzen das Kohlendioxid der Atmosphäre entnommen haben. Die Verbrennung schließt also lediglich den CO₂-Kreislauf, kein neuer gelangt in die Luft. Bei funktionierender Abgasentgiftung wird auch nicht mehr NOx ausgestoßen, die Partikelemission geht ohnehin stark zurück.

Der Zoll weist auf seiner Website darauf hin, dass der Betrieb von Motoren mit Pflanzenöl grundsätzlich erlaubt ist und bezeichnet es als "umweltfreundliche und nachhaltige Alternative zum herkömmlichen Dieselkraftstoff". Warum ausgerechnet der Zoll? Als staatlich eingesetzter Steuereintreiber erhebt er die Energiesteuer und die gilt auch für das Rapsöl für 1,39 Euro vom Lidl.

Sobald Pflanzenöl in Deutschland als Kraftstoff verwendet werden soll, unterliegt es wie fossiler Kraftstoff der Energiesteuer, und das sogar zu einem verminderten Satz: "Da nachhaltige Energieerzeugnisse steuerlich gefördert werden, ist der Steueranteil bei dem Pflanzenöl niedriger als bei Dieselkraftstoff. Das Pflanzenöl aus dem Einzelhandel hingegen ist nicht mit der Energiesteuer belastet, da es für den Lebensmittelbereich vorgesehen ist." Wenn Sie also bei Auto Motor und Sport und vielen anderen, die aktuell darüber berichten, lesen, dass Salatöl im Tank nicht erlaubt sei, ist das so nicht richtig. Sie müssen allerdings Ihre Tankfüllung bei Ihrem zuständigen Zollamt anmelden und darauf die Energiesteuer nachentrichten.

Am Ende gibt der Zoll noch den Tipp: "Zur Gewährleistung eines reibungslosen Pflanzenölbetriebs sollte der Dieselmotor auf geeignete Weise umgerüstet werden, z.B. auf ein Zweitanksystem. Hierbei erfolgt der Kaltstart zur Schonung des kalten Motors und des Einspritzsystems generell mit Dieselkraftstoff. Erst nach Erreichen der Betriebstemperatur des Motors wird automatisch auf Pflanzenölbetrieb umgeschaltet." Dem ist nichts hinzuzufügen, außer ein paar Details zur Technik und Überlegungen zur Sinnhaftigkeit von Speiseöl im Tank:

Die genannten Vorteile gelten heute nur mehr für wenige zehntausend im Verkehr befindliche Motoren, die noch das Vor- (Mercedes) oder Wirbelkammerprinzip (die anderen Hersteller) nutzen. Bereits ihre Nachfolger mit Direkteinspritzung und Einspritzpumpen sind da schon etwas kapriziöser. Der übergroße Rest der Dieselmotoren, der aus Gründen der Abgasqualität und Leistung auf Common-Rail-Einspritzung setzt, ist hingegen nicht mehr mit vertretbarem Risiko und Aufwand mit Pflanzenöl zu betreiben. Bei ihnen liegt das Druckniveau generell schon bei niedriger Drehzahl deutlich höher, zudem setzen sie eine stark vernetzte Sensorik zur Steuerung der Einspritzung ein. Allein die Druckspitzen beim Start können hier schon zu Problemen führen.

Die Erfindung der Vorkammer durch L'Orange für Daimler 1909 war die Basis für kleine, leichte Selbstzünder. Im Bild der Prospekt für den ersten Diesel-Pkw von Peugeot von 1938. Er zeigt die modernere Wirbelkammer, die 1931 für Ricardo patentiert worden ist. Das Prinzip ist ähnlich, kommt aber ohne Heizfäche oder Prallstift aus. Solche Motoren sind heute selten geworden, sie wurden nur bis 2006 nach Deutschland exportiert (von Mitsubishi).

(Bild: Peugeot)

Im Vergleich zu fossilem Kraftstoff ist reines Pflanzenöl vor allem zähflüssiger. Der Widerstand des hoch viskosen Öls zwischen Pumpe und Einspritzventil führt vor allem beim Kaltstart zu konstruktiv nicht berücksichtigten Druckspitzen, die bereits bei mechanischen Einspritzanlagen zu Schäden an den Pumpen führen können. Bei mechanischer Regelung laufen wegen der anfangs hohen Öl-Zähigkeit Förderbeginn und Einspritzzeitpunkt so weit auseinander, dass die Verbrennung erst zu früh stattfindet. Bei warmem Motor hingegen wirkt sich der Zündverzug durch die geringere Zündwilligkeit des Pflanzenöls umgekehrt aus: Die Verbrennung wird zu spät eingeleitet. Beides erhöht den Verschleiß und den Verbrauch gleichermaßen, führt zu unnötig hohen oder niedrigen Verbrennungstemperaturen und nicht zuletzt auch höheren Schadstoffemissionen.

Ein kleiner Anteil des Treibstoffs gelangt immer an den Kolben vorbei ins Schmieröl, vor allem im Kurzstreckenbetrieb. Chemische Reaktionen zwischen Pflanzen- und Motoröl führen zu einer Verdickung des Schmierstoffs, der die Schmierwirkung verschlechtert. Das erhöht den Verschleiß am Motor und kann im Extremfall sogar das Ansaugsieb verstopfen und zu einem fatalen Versagen des Ölkreislaufs mit sofortigem vollständigen Motorschaden führen. Man kann dem Problem zwar durch eine deutliche Verkürzung der Ölwechselintervalle begegnen. Angesichts der Kosten für einen Ölwechsel lässt sich ausrechnen, wie sehr die Ersparnis durch Pflanzenöl schrumpft.

Die Domäne der letzten Kammermotoren sind (in Europa: waren) Geländefahrzeuge, bei denen die Technik möglichst einfach bleiben soll, damit auch Feldreparaturen möglich bleiben. Im Bild der legendäre Toyota HZJ als "Buschtaxi".

(Bild: Toyota)

Dazu gilt es Langzeitfolgen zu bedenken und zu begegnen: Die Einspritzventile können mit Pflanzenöl recht zügig verkoken und dann nicht mehr so zerstäuben wie sie im Interesse des Motors sollten. Dann drohen neben schlechte Lauf schlimmstenfalls sogar Risse in Kolben oder Wirbelkammern. Abhilfe kann eine Umrüstung auf andere Ventile mit den nötigen Umstellungen an der Einspritzpumpe bringen. Wer das in Eigenarbeit machen kann, investiert außer der Arbeit einen höheren dreistelligen Eurobetrag, wer es bei seriösen Umrüstern in Auftrag gibt, Tausende von Euro. Abgesehen vom Restrisiko und einer danach eingeschränkten Tauglichkeit für mineralischen Kraftstoff kann man für so viel Geld eine Menge Sprit bunkern. Am ehesten amortisieren sich solche Umbauten für Nutzfahrzeuge mit hoher Fahrleistung, doch gerade von denen fährt ja heute schon längst keines mehr mit Wirbel- oder Vorkammermotor.

Doch auch Rechnungen mit dem spitzen Bleistift könnten rasch Makulatur werden, wenn die russische Aggression gegen die Ukraine noch länger anhalten sollte: Letztlich ist der Staat weltweit der weitaus größte Exporteur von Sonnenblumenöl. 2020 hat sie laut Statistischem Bundesamt zu 44 Prozent der globalen Ausfuhren beigetragen. Russland kommt mit einer weltweiten Exportmenge von 20,5 Prozent auf Platz zwei. Deutschland führt fast 95 Prozent seines Speiseöls aus dem Ausland ein. Die Öl-Preise im Aldi-Regal dürften also recht zügig die für mineralischen Kraftstoff überholen.

(fpi)