Tarifstruktur an öffentlichen Ladesäulen für Elektroautos: Die große Ladehemmung

Wer öffentlich sein Elektroauto laden will, muss sich durch allerlei Fallstricke arbeiten. Was ist da los und warum greift niemand ein?

vorlesen Druckansicht 522 Kommentare lesen
Mini an Ladesäule

Wenn Supermärkte und andere Unternehmen mit großen Parkplätzen die Ladepunkte selbst bewirtschaften, statt nur die Flächen zu vermieten, und zugleich per Bezahlterminal direkt abrechnen, ist das Geschäftsmodell sehr attraktiv. Wegen der höheren Marge kann ALDI Süd einen günstigeren Preis anbieten: Es sind 29 bis 47 Cent pro Kilowattstunde.

(Bild: Aldi Süd)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis
close notice

This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Die Tarifstruktur an öffentlichen Ladesäulen ist seit geraumer Zeit ein Ärgernis: Niedrige Strompreise sind häufig an einen Vertrag mit monatlicher Grundgebühr und an die Nutzung der Standorte des jeweiligen Betreibers gebunden. Die Großen werden so noch größer, weil sie die eigene Auslastung steigern. Im Ergebnis wächst das Risiko einer Oligopolbildung, also einer Marktdominanz durch wenige Unternehmen. Eine extreme Spanne der Strompreise stößt auch die Wohlwollenden ab, die eigentlich ein Elektroauto kaufen wollen. Die Gesetzgeber in Brüssel und Berlin handeln nicht. Die Politik überlässt den Markt weitgehend sich selbst.

Das bekannteste Beispiel ist die Energie Baden-Württemberg AG, abgekürzt EnBW. Die EnBW bewirtschaftet über 1000 bundesweite Standorte. Ein besonderer Fokus liegt auf Ladeparks mit schnellen DC-Ladepunkten. Die Kilowattstunde kostet 39 Cent – aber nur im "Tarif L" mit 17,99 Euro Monatsbeitrag. Bei anderen Betreibern stellt die EnBW bis zu 89 Cent pro Kilowattstunde in Rechnung, und das auch für das gemächliche Laden mit Wechselstrom. Wer den Tarif L bucht, wird logischerweise versuchen, ausschließlich an Standorten der EnBW zu laden.

Dieses Prinzip ist exemplarisch und bedeutet nichts weniger als die Rückabwicklung der Idee des Roamings. Roaming bedeutet ursprünglich, dass es mit einem Vertrag möglich ist, an sehr vielen Standorten von beliebigen Betreibern in ganz Europa den Strom freischalten zu können. Das funktioniert fast überall. Wenn die Kunden aber genötigt werden, wegen der hohen Kosten – in der Spitze sind es zurzeit 1,21 Euro pro kWh – bei einem bestimmten Betreiber statt bei einem Fremdanbieter zu laden, ist das Roaming trotzdem dysfunktional.

Die Tarifstruktur an öffentlichen Ladesäulen ist ein Ärgernis. Beispiel EnBW: Der Strom kostet 39 Cent pro Kilowattstunde - aber nur an EnBW-eigenen Standorten und in Verbindung mit einer monatlichen Grundgebühr von17,99 Euro. Kunden mit diesem Vertrag lasten logischerweise die Infrastruktur der EnBW besser aus und meiden Fremdanbieter. Die Großen werden so noch größer, und das Risiko der Oligopolbildung steigt.

Eigentlich könnte an dieser Stelle der Gesetzgeber tätig werden. heise Autos hat bei der Europäischen Wettbewerbskommission (Directorate-General for Competition oder DG COMP) nachgefragt. Nach der Wahl im Sommer 2024 hat sich dieses europäische Ministerium neu formiert. Die Antwort der DG COMP sind Allgemeinplätze. Man beobachte "mögliche wettbewerbsfeindliche Praktiken" und "missbräuchliches Verhalten in allen Wirtschaftsbereichen", heißt es. Die nationalen und europäischen Behörden würden "eng zusammenarbeiten" und sich "gegenseitig informieren".

Andere Brüsseler Kreise berichten darüber hinaus, dass das Problem erkannt worden ist und keineswegs nur in Deutschland existiert. Die Angst, die Unternehmen zu verschrecken, die in den Aufbau der Ladeinfrastruktur investieren, ist jedoch größer als jene vor den Besitzern der Elektroautos. Immerhin hat die Europäische Union durch die AFIR (Alternative Fuel Infrastructure Regulation) einen Rahmen geschaffen, der indirekt für eine Verbesserung sorgen könnte. Die Stichworte: Verpflichtende Bezahlterminals und Preistransparenz. So müssen an neu errichteten DC-Standorten Payment-Terminals installiert sein, die eine Direktzahlung mit einer Kreditkarte oder einem Smartphone möglich machen. Der Bestand muss an vielen Stellen mittelfristig nachgerüstet werden.

Mit Payment-Terminals könnte genau die Option zu sinkenden Preisen führen, die heute benachteiligt ist: Das sogenannte Ad hoc-Payment, also die Bezahlung ohne einen Vertrag und folglich ohne monatliche Grundgebühr. Aldi Süd macht das bereits. Der Discounter ist klug genug, die eigenen Parkplätze nicht an fremde Betreiber zur Bewirtschaftung zu vermieten. Vielmehr ist Aldi Süd selbst der Betreiber, und die Kilowattstunde Strom ist in der Abrechnung nur eine weitere Position mehr neben Milch und Obst. Die Zwischenverdiener fallen weg, und einen Teil dieses Profits gibt der Konzern an die Kunden weiter. AC-seitig sind 29 Cent pro kWh fällig, mit DC bis 50 kW Ladeleistung sind es 44 und über 50 kW 47 Cent pro kWh.

Eine bessere Preistransparenz könnte die Fahrer der Elektroautos dazu bewegen, Standorte mit niedrigen Preisen anzusteuern. Anzeigetafeln wie hier bei Tesla auf dem Gelände von Rausch Schokolade an der Autobahn A2 in Peine sind die seltene Ausnahme. Auch hier ist übrigens der Unterschied zwischen Tesla-Fahrern (links) und Fremdkunden (rechts) deutlich.

Implementiert hat dieses System bei Aldi Süd die Firma Wallbe. Die Macher von Wallbe wiederum haben inzwischen ev-pay gegründet. ev-pay steht mit einem neuen Direktbezahlsystem kurz vor der Zertifizierung der Eichrechtskonformität durch die PTB in Braunschweig. Etliche Branchenteilnehmer aus ganz Europa sind mit ev-pay im Dialog. Der Vorteil einer direkten Abrechnung ist für viele Betreiber offensichtlich: Bau- und Supermärkte haben vielfach begriffen, dass sie Kunden von den Tankstellen zu sich lotsen und zusätzlich Geld verdienen können – vorausgesetzt, sie bewirtschaften die Ladeinfrastruktur selbst und bieten die Direktzahlung ohne Registrierung und Zwischenverdiener an.

Der nächste Schritt zum Besseren: Preistafeln wie an Tankstellen könnten für Preistransparenz sorgen. Solche Projekte wurden bisher selten umgesetzt. Ein Praxisbeispiel ist an der Autobahn A2 Abfahrt Peine auf dem Gelände von "Rausch Schokolade" zu finden. An der Einfahrt zum Ladepark hat Tesla eine Anzeigetafel aufgestellt. Für die Säulen der EnBW, die auf demselben Gelände installiert sind, beginnt aber wieder das Raten.

Videos by heise

Abhilfe schafft unter anderem die Community-App Ladefuchs. Es gibt keine so niederschwellige und simple Anwendung, die an jedem Standort für Preistransparenz sorgt. Der Nutzer wählt den lokalen Betreiber aus und bekommt eine Übersicht der Preise von den unterschiedlichen Anbietern. So bemerken Endverbraucher auch schnell, wenn sie einen teuren Vertrag haben. Der Ladefuchs ist praktisch die auf Strom übertragene und staatlich initiierte Anwendung Clever Tanken, die Preistransparenz für Dieselkraftstoff und Superbenzin schafft. Malik Aziz von Ladefuchs macht aber klar, dass die App ehrenamtlich aus der Community der Elektroautofahrer geschaffen wurde: "Wir finanzieren den Betrieb durch Spenden und über den Merchandising Shop", so Aziz.

Für Privatkunden sind günstige Preise und Transparenz wichtiger als für jene Dienstwagenberechtigen, die einfach eine Ladekarte bekommen. Bei denen wiederum sind die Flottenmanager im Hintergrund zunehmend darauf bedacht, nicht abgezockt zu werden. Der Staat überlässt den Markt der Ladeinfrastruktur weitgehend sich selbst. Immerhin können Regulierungen wie die AFIR zu einem Fortschritt beitragen. Das Tohuwabohu erinnert an die Frühphase des Mobilfunks, und sicher ist nur: So wie es ist, wird es nicht bleiben.

(mfz)