Typisch deutsches Digitaldesaster: Die Online-Autozulassung i-Kfz

Seite 3: Software beschaffen

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Zunächst entfacht die neue Fahrzeug-Zulassungsverordnung aber Streit zwischen dem Bund und den Kommunen. Vorgesehen ist ein zentraler i-Kfz-Onlinedienst des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) für alle Bundesbürger. Dieser soll die Antragsdaten an die Kommunen weiterleiten, die laut Grundgesetz für den Vollzug der Kfz-Zulassung zuständig sind.

Gegen den zentralen Onlinedienst laufen Vertreter der Kommunen – der Landkreistag und der Städtetag – Sturm. Da die Software der eigentlich zuständigen Kommunen im Hintergrund bleibe, sei für den Antragsteller "nicht mehr zweifelsfrei erkennbar", mit welcher staatlichen Ebene er es eigentlich zu tun habe, schreibt der Landkreistag an Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU). Das sei mit dem vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten "Grundsatz der Verantwortungsklarheit" kaum zu vereinen.

Das vereinfachte Schema zeigt, welche Akteure bei der Zulassung von Fahrzeugen miteinander kommunizieren. Die i-Kfz-Portale der Kommunen sind mit dem Kraftfahrt-Bundesamt vernetzt, das wiederum Daten mit dem Gesamtverband der Versicherer und mit dem Zoll austauscht.

Darüber hinaus beeinträchtige der zentrale Onlinedienst des KBA die "Auslastung und Wirtschaftlichkeit" der E-Government-Angebote der Kommunen, schreibt der Landkreistag. Ein weiteres Argument lautet, dass Wartungsarbeiten und technische Probleme beim KBA alle Zulassungsbehörden bundesweit treffen würden.

Ramsauers Nachfolger Alexander Dobrindt (CSU) rudert daraufhin zurück: Er entscheidet, das KBA-Portal zum Start der zweiten Stufe von i-Kfz im Jahr 2017 wieder abzuschalten. Fortan soll es nur noch kommunale i-Kfz-Portale geben. Das bedeutet: Über 400 Landkreise und kreisfreie Städte müssen sich selbst kümmern. Jeder einzelne Kreis und jede einzelne Stadt muss Software beschaffen, Datenschutzfragen klären, Mitarbeiter schulen und die Anwendungen hosten oder Dienstleister damit beauftragen.

Die Dezentralisierung bremst i-Kfz noch weiter aus. Das Bundesverkehrsministerium legt mit seinen Verordnungen zwar nur ein geringes Tempo vor, doch die Kommunen kommen trotzdem nicht hinterher. 2017 startet das Ministerium die zweite i-Kfz-Stufe mit der Wiederzulassung, aber viele Städte und Kreise haben ihre Portale nicht rechtzeitig am Start.

2019 wiederholt sich das Spiel. Dobrindts Nachfolger Andreas Scheuer (CSU) feiert den Start der dritten i-Kfz-Stufe mit den Verfahren Neuzulassung, Umschreibung und Adressänderung. Doch zum Stichtag 1. Oktober laufen die Onlinedienste nur in wenigen Kommunen. Die Mehrheit braucht Wochen, Monate oder gar Jahre länger. Die Schuld gibt der Städtetag dem Bund: Dieser habe "im laufenden Verfahren" die Sicherheitsanforderungen für Stufe 3 geändert, was natürlich zu Verzögerungen führe. "In einigen Fällen mussten sogar die laufenden Ausschreibungen eingestellt werden", schreibt der Städtetag.

Schuld hin, Schuld her: Fest steht, dass manche Kommunen bis heute kein i-Kfz-Portal haben, darunter auch Großstädte wie Essen. Wer dort wohnt, muss nach wie vor persönlich zur Zulassungsstelle. Die Essener Stadtverwaltung erklärt die Verspätung mit einem Wechsel der internen Software der Behörde (Fachanwendung), die mit dem Portal zusammenspielen muss. Dieser Wechsel habe aus "aus technischen und vergaberechtlichen Gründen" länger gedauert als geplant. Im zweiten Quartal 2023 soll i-Kfz in Essen online gehen – knapp sechs Jahre nach dem eigentlich für Oktober 2017 vorgesehenen Start der dezentralen Portale.

Die i-Kfz-Portale mancher Kommunen – hier Leipzig – sehen angestaubt aus.

Einige Städte können sich inzwischen sogar wieder ein zentrales Bundesportal vorstellen. "Heute würden sich sicherlich viele Kommunen stärker dafür einsetzen, dass ein solcher zentraler Zugang genutzt würde, wenn er denn über Schnittstellen eine medienbruchfreie Ende-zu-Ende-Bearbeitung zulässt", schreibt die Stadt Essen in ihrer Stellungnahme. Dass ein solches Portal zeitweise sogar schon existierte, sei "besonders verrückt".

Doch das scheint bislang eine Minderheitsmeinung. Viele Städte und Landkreise plädieren nach wie vor für dezentrale Portale, nicht nur aus rechtlichen Gründen. Die Kommunen seien die Hauptansprechpartner der Bürger und für Rückfragen vor Ort erreichbar, argumentiert zum Beispiel der Landkreistag. "Wir brauchen daher das digitale Landratsamt/Bürgeramt, keine Insellösung des Bundes für Kfz."

Die dezentrale Struktur lähmt neben i-Kfz auch Hunderte andere Digitalprojekte. Selbst wenn der Bund die Gesetze erlässt, sind laut Grundgesetz dennoch die Länder und die Kommunen für die Ausführung zuständig. Deshalb werden viele Onlinedienste hundert- oder gar tausendfach angeschafft und gewartet, obwohl technisch gesehen Länderdienste oder ein zentrales Bundesportal ausreichen würde.