US-Zulassungsbehörde mahnt: Ketamin ist einfacher denn je zu verschreiben

Immer öfter wird Ketamin in den USA zur Therapie von Depressionen zu Hause eingesetzt. Es bleiben jedoch Fragen zur Sicherheit und Wirksamkeit.

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(Bild: Aleksandar Karanov/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Cassandra Willyard

Die US-Zulassungsbehörde für Lebens- und Arzneimittel FDA warnt davor, Ketamin zu verwenden, um psychiatrische Störungen zu behandeln. Die Warnung bezieht sich insbesondere auf die orale Einnahme, durch Präparate, die sich auflösen und somit einfach zu Hause eingenommen werden können. "Das Fehlen einer Überwachung auf unerwünschte Ereignisse wie Sedierung und Dissoziation durch einen Gesundheitsdienstleister vor Ort kann die Patienten gefährden", heißt es.

Ketamin ist von der FDA lediglich für die allgemein Anästhesie zugelassen, wobei es intravenös oder als Injektion verabreicht wird. Beides erfordert medizinisches Fachpersonal. Obwohl es nur zur Narkose zugelassen ist, heißt das aber nicht, dass Ärzte es nicht auch für andere Zwecke, also "off label" verschreiben können. Einige Studien deuten darauf hin, dass es auch zur Behandlung von Depressionen und anderen psychiatrischen Störungen geeignet ist. Deshalb verschreiben in den USA viele Ärzte das Medikament an Menschen mit Depressionen. Nach Ansicht der US-Behörde könnte Ketamin für die Anwendung zu Hause ein wenig zu leicht erhältlich sein.

Apotheken können zum Beispiel maßgeschneiderte Ketamin-Präparate herstellen, die zu Hause eingenommen werden können, darunter Nasensprays oder Lutschtabletten. Als die US-Regierung während der Pandemie die Vorschriften für den Zugang zu kontrollierten Substanzen per Telemedizin lockerte, konnten Ärzte plötzlich Ketamin verschreiben, ohne den Patienten jemals persönlich gesehen zu haben. Die Apotheken verschickten die orale Formulierung für die Einnahme nach Hause. "Fast über Nacht entstand somit eine neue Industrie", heißt es in einem Artikel auf der Plattform Medscape.

Wie alle Medikamente ist auch Ketamin nicht ohne Risiken. In hohen Dosen kann das Medikament einen tranceähnlichen Zustand herbeiführen, in dem sich der Anwender wie betäubt und von seinem Körper losgelöst fühlt. Es kann Halluzinationen auslösen, aber auch zu Sedierung, verlangsamter Atmung und erhöhtem Blutdruck führen und somit gefährlich sein.

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Boris Heifets, Anästhesist und Neurowissenschaftler in Stanford, sieht das Warnschreiben der FDA jedoch nicht in erster Linie als Ausdruck der Besorgnis über die Sicherheit von Ketamin-Präparaten. "Wenn man genau hinschaut, sind die Argumente, die für die Gefahren angeführt werden, eigentlich ziemlich fadenscheinig", sagt er. Für ihn sei das Schreiben eher ein Versuch, die wuchernde Verbreitung sogenannter "Ketamin-Kliniken" im Rahmen der Telemedizin einzudämmen. "Das Problem für die öffentliche Gesundheit besteht darin, dass den Menschen wahllos und unter minimaler Aufsicht eine Droge verschrieben wird, bei der die Gefahr des Missbrauchs besteht", sagt er.

William Dudney, ein Psychologe in Tampa, Florida, bietet seinen Patienten seit fünf Jahren Ketamin in Form wachsartiger Lutschtabletten an, die zwischen Lippe und Zahnfleisch geklemmt werden, bis sie sich aufweichen. Die Tabletten enthalten zwischen 35 und 70 Milligramm Ketamin, was vergleichsweise wenig ist.

Manche Ärzte verschreiben viel höhere Dosen. In verschiedenen Threads auf Reddit berichten Patienten, die Online-Ketamin-Kliniken in Anspruch nehmen, dass sie ihre Behandlung mit einer Dosis von 450 Milligramm begonnen und dann auf 900 oder sogar 1.200 Milligramm pro Sitzung gesteigert haben. Das sei viel zu viel und viel zu schnell, sagt Dudney: "So eine Dosis ist für Menschen, die eine halluzinatorische Erfahrung suchen, also eigentlich die Nebenwirkungen. Das ist nicht der Zweck der Behandlung. Das ist Freizeitmissbrauch."

Die jüngste Warnung der FDA ist bereits die zweite Risikowarnung, die die Behörde in Bezug auf Ketamin-Präparate ausspricht. Die erste Warnung erfolgte im vergangenen Jahr und betraf Nasensprays mit Ketamin-Zusatz. Heifets zufolge sollen diese Schreiben Druck auf die Angebotsseite ausüben. "Sie schlagen im Grunde genommen Alarm", sagt er. Menschen, die Ketamin für Off-Label-Use anbieten, sollten genau wissen, was sie tun. Ansonsten drohe Ärger mit den Behörden.

Überhaupt ist in der Wissenschaft umstritten, ob ein Ketamin-"Trip" notwendig ist, um die antidepressive Wirkung der Droge zu erfahren. Boris Heifets und seine Kollegen gehen der Sache in einer neuen Studie nach, die gerade im Fachmagazin "Nature" erschienen ist.

Eine der Schwierigkeiten bei der Bewertung der Wirksamkeit von Ketamin besteht darin, dass Blindstudien nahezu unmöglich sind; die Patienten wissen, ob sie das echte Ketamin oder ein Placebo erhalten haben, da der Stoff in jedem Fall eine körperliche Reaktion auslöst. Die Studie von Heifets nutzt einen cleveren Ausweg aus diesem Dilemma: Die Forschenden untersuchten 40 Teilnehmer mit mittelschweren bis schweren Depressionen, die sich zufällig auch einer Operation unterziehen mussten. Nur die Hälfte von ihnen erhielt Ketamin als Teil der Narkose, die andere Hälfte einen anderen Wirkstoff.

Das Studiendesign bot den Wissenschaftlern die Möglichkeit zu untersuchen, ob die Erfahrung mit Ketamin – der "Trip" – für die Wirkung des Medikaments erforderlich ist. Da die Patienten unter Narkose standen, "haben sie keine besondere bewusste Erfahrung gemacht", sagt Heiferts.

Die Ergebnisse entsprachen nicht ganz den Erwartungen der Forscher. Bei den Teilnehmern, die während der Narkose Ketamin erhielten, verbesserten sich die Symptome der Depression deutlich. Aber auch bei den Teilnehmern der Placebogruppe war dies der Fall. "Ich denke, das hängt mit der starken Erwartungshaltung zusammen", sagt Heifets. "Unsere Studie widerlegt nicht die Wirksamkeit von Ketamin. Vielmehr zeigt sie, dass es möglich war, die Wirkung von Ketamin zu simulieren, indem man der Placebogruppe dieselbe Erwartung eines Nutzens in Verbindung mit einem einschneidenden Ereignis vermittelte: der Operation." Oder anders gesagt: Allein die Erwartung, dass sich durch die Operation etwas ändern und verbessern würde, hat bei den Teilnehmern der Studie einen positiven Effekt gehabt. Das Ketamin war gar nicht nötig.

(jle)