Kostenlose Corona-Tests in den USA vergrößern eher noch soziale Kluft

In den USA hat der Staat mit der Verteilung von Antigen-Schnelltests begonnen. Allerdings zeigt das Programm nur, wo es überall noch hakt in der Versorgung.

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Mensch beim Öffnen eines Corona-Schnelltests.

(Bild: Photo by Mika Baumeister on Unsplash)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Tanya Basu
  • Eileen Guo
Inhaltsverzeichnis

Das Columbus House in New Haven, Connecticut, ist ein Ort, an dem Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen, die gleichzeitig drogensüchtig sind, betreut werden. Alle von ihnen waren früher obdachlos. "Sie gehören zu den am stärksten gefährdeten Menschen", sagt Fallmanagerin Lisa Levy, "und meine Aufgabe ist es, ihnen zu helfen, dass sie in ihren Wohnungen bleiben können".

Die Sozialarbeiterin hat darum gekämpft, Tests auf COVID-19 für ihre Klienten zu besorgen – und zwar schon seit längerem. Jetzt, da sich die Omikron-Variante in den USA schnell verbreitet hat und viele Menschen erkranken, ist das umso wichtiger. Das Weiße Haus hat dazu nun eine eigene Ausgabestelle im Web eingerichtet. Unter COVIDtests.gov werden vier kostenlose Antigen-Schnelltests pro Haushalt offeriert. Levy glaubte also, dass jeder ihrer Klienten besagte vier Gratisuntersuchungen erhalten werde – ein Geschenk des Himmels für eine Gruppe von Menschen, die dringend Tests benötigten, sich diese aber nicht leisten können oder schlicht zu krank sind, sie sich selbst in der Apotheke zu besorgen.

Levy rief also sofort die Website auf und gab die Daten für die erste Wohnung, Apartment 101, ein. Als sie dann versuchte, Tests für die nächste Wohnung im Komplex zu bestellen, wurde ihr mitgeteilt, dass sie bereits die maximale Anzahl für ihre Adresse bestellt hatte. In den nächsten Tagen versuchte die Betreuerin immer wieder, das Problem zu lösen: Sie rief bei der Hotline und bei der amerikanischen Post an, die für die Zustellung der Tests zuständig ist. Sie suchte auf Facebook nach Tipps und versuchte, die Angaben in den Adress- und Wohnungszeilen des Online-Formulars auf COVIDtests.gov zu ändern – alles ohne Erfolg.

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Levy ist nicht die einzige Person, die Schwierigkeiten damit hat, die kostenlosen Corona-Tests zu erhalten. Menschen, die nicht in Einfamilienhäusern leben, haben wiederholt über Probleme mit der Website berichtet, deren Formular oft einzelne Wohnungen mit Gebäuden verwechselt. Bewohner eines bestimmten Wohnblocks werden dann plötzlich für die Bestellung gesperrt – und das betrifft insbesondere ärmere Personen.

Zusätzlich zu den Pannen im Web scheint die Initiative nach Angaben der University of North Carolina in Chapel Hill unterdessen einige benachteiligte Gruppen völlig unberücksichtigt gelassen zu haben. Dazu gehören Menschen ohne festen Wohnsitz. Oder jene 11,8 Millionen US-Haushalte mit mehr als vier Mitgliedern, die oft nicht weißer Hautfarbe sind. Weiterhin fehlt laut Statistik 7,5 Millionen Haushalten ein Internetzugang, ohne den die Tests nicht bestellt werden können. Und dann wären da noch die 3,5 Millionen, die weder Englisch noch Spanisch sprechen – die beiden einzigen Sprachen, in denen die Website derzeit verfügbar ist.

Die Initiative der Biden-Regierung ist damit weit davon entfernt, Ungleichheit beim Zugang zu COVID-19-Tests zu verringern. Im Gegenteil, sagen Experten: Sie hat eher noch dazu beigetragen, diese zu vergrößern. Denn: Viele der schwächsten und ärmsten Menschen in den USA sind immer noch nicht in der Lage, sich zu testen, während Personen, die sowieso genügend Mittel haben, jetzt auch noch vier Tests geschenkt bekommen.

Das Weiße Haus hat die Kritik an den Problemen zunächst zurückgewiesen. Der stellvertretende Pressesprecher Kevin Munoz erklärte gegenüber dem IT-Blog The Verge, dass die Fehler "nur einen kleinen Prozentsatz" aller Nutzungsvorgänge ausmachten. Munoz' Chefin Jen Psaki fügte hinzu: "Jede Website birgt unserer Meinung nach solche technischen Risiken. Wir können nicht garantieren, dass es nicht den ein oder anderen Fehler gibt."

Aber wie schon so oft in dieser Pandemie: Da, wo die US-Regierung immer wieder zu versagen scheint, springen Bürger ein – auch per Internet. Fast unmittelbar nach dem Start der Bestell-Website für Corona-Tests tauchten auf Twitter Beiträge von Menschen auf, die ihre eigenen Testkits spenden wollten. Und einige Gruppen, die im vergangenen Jahr Menschen bei der schwierigen Suche nach Impfterminen geholfen hatten, gingen dazu über, andere bei der Beschaffung von Tests zu unterstützen. Die Facebook-Gruppe "Maryland Vaccine Hunters" zum Beispiel, die zuvor Informationen über Impftermine sammelte, postet jetzt aktuelle Informationen darüber, wo man Schnelltests, die in den USA fast kaum zu kriegen sind, kaufen kann. Zudem macht man es einfach, anderen seine Testkits zu spenden.

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Gruppen für die gegenseitige Hilfe – etwa NGOs, die Waren und Dienstleistungen für Menschen in Not anbieten – haben sich während der Pandemie in den USA als äußerst wichtig erwiesen. Überall da, wo der Staat nicht einspringt, sind sie vor Ort – sei es bei der Verteilung von Masken, dem Auffinden von Impfterminen oder nun bei den so wichtigen Schnelltests.

Eine dieser Gruppen ist "Serve Your City", eine gemeinnützige Organisation aus Washington, DC, die mit Obdachlosen in der Stadt arbeitet. Um herauszufinden, wer Tests benötigt, griff die Gruppe auf Daten zurück, die von einer Hotline gesammelt wurden, die sie eingerichtet hatte, um armen Menschen zu helfen, Impftermine zu bekommen.

Diese Crowdsourcing-Maßnahmen haben jedoch einen Haken: Sie erfordern abermals einen zuverlässigen Internetzugang, den die Armen in den USA oft nicht haben. "Maryland Vaccine Hunters" hat eine gut funktionierende Facebook-Gruppe mit Menschen, die bereit sind, Tests zu spenden. Aber wie können sie Personen helfen, die nicht online gehen können?

Die aktuell vorhandenen alternativen Möglichkeiten, kostenlose Tests zu erhalten, sind ebenfalls nicht ideal. Nach den Schwierigkeiten mit dem Online-Formular richtete das Weiße Haus erst einige Tage später eine Hotline ein. Die ist nun häufig besetzt. Es ist außerdem unklar, wer genau die gerechte Verteilung der Tests überwacht. Vertreter der Hotline verwiesen MIT Technology Review an die US-Seuchenschutzbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC), die wiederum an das Weiße Haus verwies, das auf Bitten um eine Stellungnahme nicht reagierte. Auch das US-Gesundheitsministerium und die amerikanische Post antworteten nicht.

Das deutet darauf hin, dass Menschen, die diese Tests dringend benötigen, weiterhin Schwierigkeiten haben werden, sie zu erhalten. "COVID-19 trifft diese Bevölkerungsgruppe am härtesten", sagt Levy über ihre Kunden. "Sie sind arbeitsunfähig, haben nur begrenzte Mittel, viele von ihnen sind schwarzer Hautfarbe oder lateinamerikanischer Herkunft."

Das seien Menschen, die besonderen Schutz benötigten. Und der kommt einfach nicht. Am 24. Januar rief Levy zum x-ten Mal bei der Hotline an, um eine Test-Bestellung für die Bewohner ihres Hauses aufzugeben. Es half nichts. Bei Redaktionsschluss dieses Beitrags hatte sie immer noch keinen Erfolg.

(bsc)