Vom Fahren zum Gefahrenwerden. Fahrerloser Passagiertransport – es geht los!

Seite 2: Autonomes Fahren - ein schwieriger Begriff

Inhaltsverzeichnis

Der Begriff "autonomes Fahren" ist hochaufgeladen, konkrete Umsetzungsszenarien werden kontrovers diskutiert. Die einen (insbesondere Elon Musk) beteuern, "es« stehe unmittelbar vor der breiten Einführung". Zwanzig bis dreißig Jahre werde es noch dauern, halten andere dagegen. Denn abgesehen von technischen Problemen seien grundsätzliche Fragen der Ethik, der Akzeptanz und der Haftung bislang ungeklärt. Oft herrscht aber auch einfach nur Konfusion. So prognostiziert Statista für 2030 ein Marktvolumen von 50 Milliarden Euro für den "weltweiten Markt autonomer Autos" und versichert bei der Gelegenheit: "85 Prozent der Erwachsenen in den USA würden sich am Steuer eines fahrerlosen Fahrzeugs sicher fühlen". Das ist ja schön und gut, es drängt sich allerdings die Frage auf, was denn die Befragten dort – also am Steuer – noch zu suchen haben, wo das Fahrzeug doch fahrerlos ist …

Die Unübersichtlichkeit wird noch dadurch erhöht, dass wir es mit konkurrierenden Zukunftsvisionen zu tun haben, die mit dem "autonomen Fahren" verknüpft sind. Da ist zum einen das erweiterte Autonomie- und Komfortversprechen, das die Autoindustrie an ihre Produkte knüpft, die stetig durch weitere Fahrassistenzsysteme aufgewertet werden. Auf der anderen Seite wird von den Digitalkonzernen das Szenario von Flotten robotischer Fahrzeuge, die den urbanen Verkehr der Zukunft prägen, skizziert und propagiert. Als dritte Zukunftsvision tritt die – man könnte sagen europäische – ökologische und soziale Vision von fahrerlosen people movern als Teil des öffentlichen Verkehrs und als Vehikel der Verkehrswende auf.

Das weitverbreitete Stufenmodell des autonomen Fahrens führt eher in die Irre. Es entsteht leicht der Eindruck, die technologische Entwicklung verlaufe von Stufe 0 bis Stufe 5 stufenweise von niedrigem zu hohem Automatisierungs- bzw. Autonomiegrad – ähnlich wie bei Mobilfunkstandards (4G, 5G) oder Softwareversionen (Windows 10, 11). Oft wird diese Darstellung ergänzt durch eine Zeitachse, die den Eindruck suggeriert, die Stufen würden zeitlich aufeinanderfolgen, bis irgendwann die höchste erreicht sei. Betrachtet man jedoch die Anwendungsfälle, die mit den einzelnen Stufen verknüpft sind, ergibt sich ein anderes Bild.

Das gängige Stufenmodell des Autonomen Fahrens

(Bild: Susann Massutte)

Statt einer stufenweisen Entwicklung hin zu generell mehr Automation zeichnen sich also zwei deutlich voneinander getrennte Entwicklungspfade ab, die sich folgendermaßen beschreiben lassen:

  • Anwendungsbereich A: Immer weiter fortschreitende Assistenzsysteme in privaten Fahrzeugen. Das entspricht den Stufen 1 bis maximal 3 im Standardmodell.
    Es stellt nach wie vor das Fahrzeug und seinen Lenker bzw. Besitzer im Vordergrund und ist das Modell, das von der Autoindustrie favorisiert und aktiv betrieben wird. Durch die Einführung neuer und verbesserter Assistenzsysteme soll der Weg zum automatisierten Fahren sukzessive erreicht werden. Am Grundkonzept des Automobils – ein Mensch bedient Lenkrad und Pedale, trifft Entscheidungen und behält letztlich die Verantwortung – ändert diese Strategie zunächst nichts.
  • Anwendungsbereich B: Der Betrieb grundsätzlich und immer fahrerloser Fahrzeuge in begrenzten Einsatzszenarien, als Robotaxi-Flotten in der Personen- oder Warenbeförderung.
    Dieses Modell wird von den Digitalkonzernen propagiert und angestrebt. Auch die öffentlich betriebene Variante mit automatische Shuttles und people movern im Linienbetrieb zählt dazu. Diese Betriebsmodelle haben Autonomie nach Stufe 4 zur Voraussetzung.

Zwei Entwicklungspfade

(Bild: Susann Massutte)

Ab Stufe 4 ändert sich das. Die Rolle des Fahrers oder der Fahrerin gibt es nicht mehr, alle Insassen werden gleichermaßen zu Passagieren. Erst hier können Kinder, Blinde, ältere Menschen, kurz: all diejenigen, die derzeit vom Standardmodell automobiler Mobilität ausgeschlossen sind, das Fahrzeug genauso benutzen wie alle anderen auch. Der Fokus verschiebt sich vom Fahrer zu den Passagieren. Es kristallisieren sich also zwei deutlich getrennte Anwendungsbereiche heraus, der "assistierte Privatfahrer" und der "fahrerlose Passagiertransport". Wir schlagen daher vor, den Begriff "autonomes Fahren" zu vermeiden und stattdessen – je nachdem, ob Anwendungsbereich A oder B gemeint ist – von "assistiertem Fahren" oder "fahrerlosem Passagiertransport" zu sprechen.

Automatischer Shuttle

(Bild: Frank Schwichtenberg, CC BY-SA 4.0)

Waymo, ein Schwesterunternehmen von Google, ist führend im Bereich Robotaxis: Das Unternehmen hat mit einem Vorsprung in allen relevanten Messgrößen – Anzahl Fahrzeuge, gefahrene Testkilometer auf öffentlichen Straßen (im Level4-Modus, also ohne Eingreifen des Fahrers im Normalfall), auf Testgelände und im Simulator, die durchschnittliche Zeit, bis ein Eingreifen erforderlich ist – die Konkurrenz weit abgehängt. Das Unternehmen produziert die Hardware (Sensorik) selbst, es erhofft sich dadurch kurzfristig Kostensenkungen und langfristig eine Verbreiterung der Wertschöpfung. Die Fahrzeuge werden dabei von etablierten Herstellern bezogen. Entscheidender Bestandteil ist die Software, bestehend aus Sensordatenverarbeitung, Kalkulation des Fahrverhaltens und die Kundenbindung.

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Der Service kann – seit Oktober 2020 erstmals ohne Einschränkungen – in ausgewählten Testorten von jedermann genutzt werden. Die Unternehmen experimentieren bereits mit ökonomischen Aspekten, kalkuliert wird mit Preisen ähnlich einer Uber-Fahrt. Die Kontrollfahrer sind aus den Fahrzeugen verschwunden – die Pandemie hat diese Entwicklung deutlich beschleunigt. Zahlreiche Konkurrenten versuchen Ähnliches. Die Pandemie hat die Entwicklung sogar beschleunigt, das Sicherheitspersonal im Fahrzeug ist vielerorts bereits durch Fernüberwachung aus einer Leitzentrale ersetzt. Die Branche ist hochdynamisch, auch andere Geschäftsmodelle neben dem Robotaxi-Modell werden intensiv verfolgt. Von der neuen US-Regierung wird zudem erwartet, dass sie nicht nur die E-Mobilität, sondern auch Mobily-as-a-service-Angebote nicht nur fördert, sondern auch auf nationaler Ebene reguliert.

In Teil 2, der am morgigen 4. Mai erscheint, geht es um das lukrative Geschäft mit autonomen Flotten.

Veranstaltungshinweis

Diskussionsveranstaltung "Autonomer ÖPNV - Teil der Mobilitätswende? Perspektiven auf fahrer:innenlosen Transport statt autonomer Autos"

Montag, 3. Mai, 19 Uhr

Literatur
  • Weert Canzler, Andreas Knie, Lisa Ruhrort: Autonome Flotten. Mehr Mobilita¨t mit weniger Fahrzeugen. München 2019.
  • Timo Daum: Das Auto im digitalen Kapitalismus. Wenn Algorithmen und Daten den Verkehr bestimmen. München 2019.

(jk)