Vom Fahren zum Gefahrenwerden. Fahrerloser Passagiertransport – es geht los!

Der Verkehrsausschuss des Bundestages diskutiert über autonome Flotten, woanders gehören Robotaxi fast schon zum Alltag. Start der Serie zum Thema.

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(Bild: Blue Planet Studio / Shutterstock.com)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Timo Daum
  • Andreas Knie
  • Weert Canzler
Inhaltsverzeichnis

"Heute erscheint uns das alles selbstverständlich, aber ich kann mich noch an die Zeiten erinnern, als die Gesetze die alten Maschinen von den Autobahnen zwangen und nur noch Automatics zuließen. Gott, was für ein Aufruhr! Sie nannten es alles Mögliche, von Kommunismus bis Faschismus, aber es leerte die Autobahnen und beendete das Töten, bis sich die Automatics schließlich durchsetzten." (Isaac Asimov)

Im Jahre 1953 schrieb Isaac Asimov diese Zeilen in seiner Erzählung "Sally", und sechzig Jahre später zierte das Zitat bereits einen Text bei Heise, der sich mit "Maschinenethik selbstständig fahrender Autos" beschäftigte. Seitdem ist viel passiert, aus der Fiktion wird so langsam Realität.

Unter Vorsitz des möglicherweise nächsten Verkehrsministers Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) debattiert der Verkehrsausschuss am 3. Mai einen Gesetzentwurf aus dem Verkehrsministerium, der für das Autonome Fahren eine Revolution bedeutet (Die Debatte im Bundestag ist für den 20. Mai angesetzt). Und zwar überraschenderweise nicht für die Version, die uns die Autokonzerne gerne schmackhaft machen möchten, sprich die Ausweitung von Selbstfahrpotenzialen von privaten Pkw. Erstmals wird versucht, autonomes Fahren auf Stufe 4 (vollautomatisiertes Fahren) bzw. den Regelbetrieb autonomer Flotten gesetzlich zu regeln. Gelingt das, wäre Deutschland damit das erste Land der Welt mit einer solchen nationalen Regelung – weder die USA noch China verfügen bislang über eine solche.

Vom Fahren zum Gefahrenwerden. Autonome Fahrzeuge, Personentransport und die Zukunft des Verkehrs

(Bild: jamesteohart/Shutterstock.com)

Autonomes Fahren, die Auswirkungen auf den Personentransport mit Robotaxis, people movern, autonomen Bussen und die notwendigen Techniken und Regularien beschäftigen uns in einer zehnteiligen Serie, deren einzelne Artikel bis zum 14. Mai werktags erscheinen.

Mit dem "Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Pflichtversicherungsgesetzes – Gesetz zum autonomen Fahren" soll eine europäische Regulierung vorangetrieben werden. Der Vergleich zur Europäischen Datenschutz-Grundverordnung drängt sich auf, dem 2015 verabschiedeten Regelwerk für die Digitalwirtschaft, das ebenfalls weltweit Schule machte. Angesichts des weltweiten regulatorischen Vakuums besteht hier die Chance, Standards zu setzen; und wer die Standards setzt, so Robbie Diamond, Gründer und Vorsitzender von SAFE (Securing America's Future Energy), "besetzt die Kommandohöhen" in dieser Zukunftsbranche.

Neben dem Betrieb fahrerloser Flotten versucht die Novelle Shuttle-Verkehre, People-Mover und On-Demand-Verkehre in Randzeiten auf der ersten oder letzten Meile zu regulieren. "Mit diesem Gesetz ist Deutschland weltweit führend", ist der Regulierungsexperte Benedikt Wolfers überzeugt. An der Autoindustrie geht der Entwurf weitgehend vorbei. Der Lobbyverband VDA bemängelte auch prompt, der Entwurf berücksichtige autozentrierte Entwicklungspfade nicht in ausreichendem Maße. Die Autoindustrie setzt stattdessen auf Assistenzsysteme in Premiumfahrzeugen, schiebt das Erreichen der Stufe 4 auf die lange Bank und lässt sich so möglicherweise ein lukratives Geschäft entgehen.


(Bild: Michelle Lischke)

Timo Daum ist Dozent und Sachbuchautor. 2019 erschien sein Buch "Das Auto im digitalen Kapitalismus. Wenn Algorithmen und Daten den Verkehr bestimmen". Timo Daum schreibt regelmäßig für de Rubrik Missing Link" auf heise online.

(Bild: David Ausserhofer)

Andreas Knie ist Politikwissenschaftler und leitet zusammen mit Weert Canzler die Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung". Er berät Kommunen und Organisationen zu den Themen Verkehr, Mobilität, Digitalisierung & Nachhaltigkeit.

(Bild: David Ausserhofer)

Weert Canzler leitet zusammen mit Andreas Knie die Forschungsgruppe Digitale Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen sozialwissenschaftliche Verkehrs- und Mobilitätsforschung, Energiepolitik, Innovationsforschung und Technologiepolitik.

Andreas Knie und Weert Canzler sind Preisträger des Bertha-und-Carl-Benz-Preises 2021.


Das Jahr 2020 dürfte als Pandemiejahr in die Geschichte eingehen, doch fallen zwei weitere epochale Umbrüche im Verkehrssektor in diese Zeit: Der endgültige Durchbruch des batterieelektrischen Antriebs beim Pkw und ein deutlicher Entwicklungssprung beim autonomen Fahren. Insbesondere in der zweiten Jahreshälfte überschlugen sich die Nachrichten beim fahrerlosen Passagiertransport. Die Technologie steht heute kurz vor der Marktreife und der Übergang der Testläufe in Realbetriebe, die sich auch ökonomisch realisieren lassen, wird für die nächsten Jahre erwartet. Die Technik steht kurz vor der technischen Ausgereiftheit und Markteinführung. Nicht die Autoindustrie sorgte hier für Schlagzeilen, sondern IT-Unternehmen und Startups, die das Geschäftsmodell Robotaxi vorantreiben.

Robotaxi im Testbetrieb

(Bild: Waymo)

Die Erfolge des Silicon Valley sind zwar durchaus bekannt, trotzdem stehen hierzulande die Vorstellungswelt, Strategie und Technologie der heimischen Autohersteller im Vordergrund der Debatte. Sie werden nicht nur als führend bei der Technologie betrachtet, ihnen wird auch zugetraut, das Tempo einer schrittweisen Einführung bestimmen und sich mit dieser Strategie behaupten zu können. Diese Einschätzung ist durchaus fragwürdig angesichts der Tatsache, dass in den USA und China bereits seit 2018 ein testweiser Robotaxi-Betrieb in zahlreichen Städten stattfindet. Seit 2020 hat der Branchenführer Waymo gar an ausgewählten Orten den kommerziellen Betrieb aufgenommen und das – pandemiebedingt – ohne Sicherheitsfahrer an Bord.

Der Begriff "autonomes Fahren" ist hochaufgeladen, konkrete Umsetzungsszenarien werden kontrovers diskutiert. Die einen (insbesondere Elon Musk) beteuern, "es« stehe unmittelbar vor der breiten Einführung". Zwanzig bis dreißig Jahre werde es noch dauern, halten andere dagegen. Denn abgesehen von technischen Problemen seien grundsätzliche Fragen der Ethik, der Akzeptanz und der Haftung bislang ungeklärt. Oft herrscht aber auch einfach nur Konfusion. So prognostiziert Statista für 2030 ein Marktvolumen von 50 Milliarden Euro für den "weltweiten Markt autonomer Autos" und versichert bei der Gelegenheit: "85 Prozent der Erwachsenen in den USA würden sich am Steuer eines fahrerlosen Fahrzeugs sicher fühlen". Das ist ja schön und gut, es drängt sich allerdings die Frage auf, was denn die Befragten dort – also am Steuer – noch zu suchen haben, wo das Fahrzeug doch fahrerlos ist …

Die Unübersichtlichkeit wird noch dadurch erhöht, dass wir es mit konkurrierenden Zukunftsvisionen zu tun haben, die mit dem "autonomen Fahren" verknüpft sind. Da ist zum einen das erweiterte Autonomie- und Komfortversprechen, das die Autoindustrie an ihre Produkte knüpft, die stetig durch weitere Fahrassistenzsysteme aufgewertet werden. Auf der anderen Seite wird von den Digitalkonzernen das Szenario von Flotten robotischer Fahrzeuge, die den urbanen Verkehr der Zukunft prägen, skizziert und propagiert. Als dritte Zukunftsvision tritt die – man könnte sagen europäische – ökologische und soziale Vision von fahrerlosen people movern als Teil des öffentlichen Verkehrs und als Vehikel der Verkehrswende auf.

Das weitverbreitete Stufenmodell des autonomen Fahrens führt eher in die Irre. Es entsteht leicht der Eindruck, die technologische Entwicklung verlaufe von Stufe 0 bis Stufe 5 stufenweise von niedrigem zu hohem Automatisierungs- bzw. Autonomiegrad – ähnlich wie bei Mobilfunkstandards (4G, 5G) oder Softwareversionen (Windows 10, 11). Oft wird diese Darstellung ergänzt durch eine Zeitachse, die den Eindruck suggeriert, die Stufen würden zeitlich aufeinanderfolgen, bis irgendwann die höchste erreicht sei. Betrachtet man jedoch die Anwendungsfälle, die mit den einzelnen Stufen verknüpft sind, ergibt sich ein anderes Bild.

Das gängige Stufenmodell des Autonomen Fahrens

(Bild: Susann Massutte)

Statt einer stufenweisen Entwicklung hin zu generell mehr Automation zeichnen sich also zwei deutlich voneinander getrennte Entwicklungspfade ab, die sich folgendermaßen beschreiben lassen:

  • Anwendungsbereich A: Immer weiter fortschreitende Assistenzsysteme in privaten Fahrzeugen. Das entspricht den Stufen 1 bis maximal 3 im Standardmodell.
    Es stellt nach wie vor das Fahrzeug und seinen Lenker bzw. Besitzer im Vordergrund und ist das Modell, das von der Autoindustrie favorisiert und aktiv betrieben wird. Durch die Einführung neuer und verbesserter Assistenzsysteme soll der Weg zum automatisierten Fahren sukzessive erreicht werden. Am Grundkonzept des Automobils – ein Mensch bedient Lenkrad und Pedale, trifft Entscheidungen und behält letztlich die Verantwortung – ändert diese Strategie zunächst nichts.
  • Anwendungsbereich B: Der Betrieb grundsätzlich und immer fahrerloser Fahrzeuge in begrenzten Einsatzszenarien, als Robotaxi-Flotten in der Personen- oder Warenbeförderung.
    Dieses Modell wird von den Digitalkonzernen propagiert und angestrebt. Auch die öffentlich betriebene Variante mit automatische Shuttles und people movern im Linienbetrieb zählt dazu. Diese Betriebsmodelle haben Autonomie nach Stufe 4 zur Voraussetzung.

Zwei Entwicklungspfade

(Bild: Susann Massutte)

Ab Stufe 4 ändert sich das. Die Rolle des Fahrers oder der Fahrerin gibt es nicht mehr, alle Insassen werden gleichermaßen zu Passagieren. Erst hier können Kinder, Blinde, ältere Menschen, kurz: all diejenigen, die derzeit vom Standardmodell automobiler Mobilität ausgeschlossen sind, das Fahrzeug genauso benutzen wie alle anderen auch. Der Fokus verschiebt sich vom Fahrer zu den Passagieren. Es kristallisieren sich also zwei deutlich getrennte Anwendungsbereiche heraus, der "assistierte Privatfahrer" und der "fahrerlose Passagiertransport". Wir schlagen daher vor, den Begriff "autonomes Fahren" zu vermeiden und stattdessen – je nachdem, ob Anwendungsbereich A oder B gemeint ist – von "assistiertem Fahren" oder "fahrerlosem Passagiertransport" zu sprechen.

Automatischer Shuttle

(Bild: Frank Schwichtenberg, CC BY-SA 4.0)

Waymo, ein Schwesterunternehmen von Google, ist führend im Bereich Robotaxis: Das Unternehmen hat mit einem Vorsprung in allen relevanten Messgrößen – Anzahl Fahrzeuge, gefahrene Testkilometer auf öffentlichen Straßen (im Level4-Modus, also ohne Eingreifen des Fahrers im Normalfall), auf Testgelände und im Simulator, die durchschnittliche Zeit, bis ein Eingreifen erforderlich ist – die Konkurrenz weit abgehängt. Das Unternehmen produziert die Hardware (Sensorik) selbst, es erhofft sich dadurch kurzfristig Kostensenkungen und langfristig eine Verbreiterung der Wertschöpfung. Die Fahrzeuge werden dabei von etablierten Herstellern bezogen. Entscheidender Bestandteil ist die Software, bestehend aus Sensordatenverarbeitung, Kalkulation des Fahrverhaltens und die Kundenbindung.

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Der Service kann – seit Oktober 2020 erstmals ohne Einschränkungen – in ausgewählten Testorten von jedermann genutzt werden. Die Unternehmen experimentieren bereits mit ökonomischen Aspekten, kalkuliert wird mit Preisen ähnlich einer Uber-Fahrt. Die Kontrollfahrer sind aus den Fahrzeugen verschwunden – die Pandemie hat diese Entwicklung deutlich beschleunigt. Zahlreiche Konkurrenten versuchen Ähnliches. Die Pandemie hat die Entwicklung sogar beschleunigt, das Sicherheitspersonal im Fahrzeug ist vielerorts bereits durch Fernüberwachung aus einer Leitzentrale ersetzt. Die Branche ist hochdynamisch, auch andere Geschäftsmodelle neben dem Robotaxi-Modell werden intensiv verfolgt. Von der neuen US-Regierung wird zudem erwartet, dass sie nicht nur die E-Mobilität, sondern auch Mobily-as-a-service-Angebote nicht nur fördert, sondern auch auf nationaler Ebene reguliert.

In Teil 2, der am morgigen 4. Mai erscheint, geht es um das lukrative Geschäft mit autonomen Flotten.

Veranstaltungshinweis

Diskussionsveranstaltung "Autonomer ÖPNV - Teil der Mobilitätswende? Perspektiven auf fahrer:innenlosen Transport statt autonomer Autos"

Montag, 3. Mai, 19 Uhr

Literatur
  • Weert Canzler, Andreas Knie, Lisa Ruhrort: Autonome Flotten. Mehr Mobilita¨t mit weniger Fahrzeugen. München 2019.
  • Timo Daum: Das Auto im digitalen Kapitalismus. Wenn Algorithmen und Daten den Verkehr bestimmen. München 2019.

(jk)