Wie die mächtige SpaceX-Rakete das Sonnensystem erobern könnte

Seite 2: Auf zum Neptun!

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Eine Idee, die von einer internationalen Gruppe von Wissenschaftlern namens Conex ("Conceptual Exploration Research") stammt, ist ein Raumgefährt namens Arcanum, das die Schwerlastfähigkeit von Starship nutzen würde, um den Neptun und seinen größten Mond Triton zu erkunden. Der Neptun wurde bisher nur einmal besucht, und zwar von der NASA-Raumsonde Voyager 2 im Jahr 1989 – und es gibt so vieles, was wir noch nicht über ihn wissen. "Niemand denkt wirklich darüber nach, was Starship ermöglichen könnte", sagt James McKevitt, Forscher an der Universität Wien und Co-Leiter von Conex. "Das ist es, was Arcanum zeigen soll."

Mit einem Gewicht von etwa 21 Tonnen wäre das Raumschiff viermal schwerer als die bisher größte Sonde für die Tiefen des Alls: die Cassini-Huygens-Mission von NASA und ESA, die von 2004 bis 2017 den Saturn erkundete. Derzeit könnte keine existierende Rakete ein solches Raumschiff starten, aber Starship würde es möglich machen. Arcanum würde aus zahlreichen Komponenten bestehen, darunter ein Orbiter zur Erforschung des Neptun, ein Lander zur Erforschung des Triton und ein "Penetrator", der auf die Oberfläche des Triton aufschlägt und "ein seismisches Experiment" durchführt, um die Geologie und die Struktur des Triton zu verstehen, so McKevitt. Die Mission könnte auch mit einem Teleskop ausgestattet werden, um das äußere Sonnensystem zu durchforsten und die Suche nach bewohnbaren Planeten um andere Sterne zu unterstützen.

Andere Ideen sind noch spekulativer. Philip Lubin, Physiker an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara, hat berechnet, dass eine ausreichend große Rakete wie Starship eingesetzt werden könnte, um den Einschlag eines Asteroiden auf der Erde zu verhindern. Eine solche Mission könnte genügend Sprengstoff an Bord haben, um einen Asteroiden von der Größe des 10 km breiten Felsens, der einst die Dinosaurier ausgelöscht haben soll, zu zerreißen. Die Fragmente würden in der Atmosphäre verglühen, bevor sie unseren Planeten erreichen könnten.

Das Raumschiff könnte auch eine bessere Möglichkeit sein, riesige Weltraumteleskope zu starten, die das Universum beobachten. Derzeit müssen Geräte wie das kommende James-Webb-Weltraumteleskop der NASA und der ESA zusammengefaltet gestartet werden – ein teures, komplexes und heikles Verfahren, das fehleranfällig sein kann. Die NASA hat angedeutet, dass ein geplantes Super-Teleskop namens LUVOIR, das erdähnliche Planeten um andere Sterne abbilden soll, mit Starship starten könnte. Und Musk zufolge arbeitet SpaceX bereits an einem interessanten Projekt, bei dem es darum geht, ein wirklich großes Teleskop ins All zu bringen, indem man eine Optik nimmt, die eigentlich für ein bodengestütztes Teleskop gedacht ist. Weitere Einzelheiten wurden noch nicht bekannt gegeben.

Andere Wissenschaftler träumen davon, sich mit Starship auf den Besuch anderer Sterne vorzubereiten. René Heller vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung und seine Kollegen sagen, dass Starship eine kostengünstige Möglichkeit bieten könnte, Technologien für ein Raumschiff zu testen, das mehrere Lichtjahre zu benachbarten Sternensystemen reisen kann. Starship könnte ein mit Spezialantrieb ausgestattetes Raumschiff auf den Weg zum Mars schicken, das mit Hilfe eines Lasers an Bord ein dünnes Segel beschießt und so bislang unglaubliche Geschwindigkeiten erreicht. Eine Demonstration außerhalb der Erdumlaufbahn wäre drin. "Wenn SpaceX so freundlich wäre, eines unserer Segel an Bord zu nehmen und es auf halbem Weg zum Mars freizulassen, könnten wir seine Beschleunigung und seinen Weg durch das Sonnensystem für einige Tage und fast bis zur Umlaufbahn des Jupiters verfolgen", sagt Heller.

Andere Ideen sehen vor, Starship zu nutzen, um eine Sonde in die Umlaufbahn des Jupitermondes Io zu schicken – eine schwierige Aufgabe ohne eine umfangreiche Mechanik. "Es ist eine große Herausforderung, in die Umlaufbahn zu gelangen und sich vor der starken Strahlung des Jupiters zu schützen", sagt Alfred McEwen, Planetengeologe an der Universität von Arizona. "Aber die Kapazität hilft bei diesen Dingen. Man könnte viel Treibstoff und einen guten Strahlungsschutz dabei haben."

Musk hat angedeutet, dass SpaceX im Jahr 2022 bis zu einem Dutzend Starship-Testflüge starten könnte, wobei sowohl Mond- als auch Marsmissionen in Rede stehen – und dazu noch jede Menge wissenschaftliches Potenzial. "Wenn Starship erst einmal fliegt, wird die Entwicklung sehr schnell voranschreiten", glaubt Margarita Marinova, einst leitende Entwicklungsingenieurin für Mars-Missionen bei SpaceX. "Es wird viel mehr Menschen geben, die in der Lage sein werden, Dinge ins All zu fliegen." Das könne alles sein, von eigenständigen Missionen mit Starship bis hin zu Mitflugmissionen im Rahmen des bestehenden Flugprogramms. "Wenn man eine 100-Tonnen-Kapazität hat, ist das Hinzufügen weiterer wissenschaftlicher Hardware ziemlich einfach", sagt Marinova. "Wenn jemand Raum für Nutzlasten kaufen möchte, kann er das einfach tun. Das wird die Art und Weise, wie wir Wissenschaft im All betreiben, drastisch verändern."

Allerdings: Es gibt auch sehr gute Gründe, zunächst vorsichtig zu sein. Starship hat zwar schon Testflüge ohne den Super Heavy Booster absolviert, aber zunächst muss der Start der kompletten Rakete abgewartet werden. Es handelt sich um eine extrem große und komplexe Maschine, bei deren Weiterentwicklung noch Probleme auftreten könnten. Auch SpaceX und Musk waren in der Vergangenheit notorisch optimistisch (um es höflich auszudrücken) bei ihren Zeitplänen und Zielen (eine geplante Marsmission, "Red Dragon", sollte bereits 2018 starten). Und die für das Starship-Projekt vorgeschlagene Methode zum Erreichen von Mond und Mars, die auf mehreren Auftankmissionen in der Erdumlaufbahn beruht, ist nach wie vor unerprobt.

Doch es gibt auch viel Grund zur Vorfreude auf das, was Starship im Erfolgsfall erreichen könnte. Vom inneren zum äußeren Sonnensystem und möglicherweise darüber hinaus könnte das Projekt eine ganz neue Ära der Weltraumforschung einleiten. "Ich bin sicher, dass einige sehr kluge Leute nun anfangen, über wissenschaftliche Missionen mit Starship nachzudenken", sagt Abhishek Tripathi, ein Raumforscher an der University of California, Berkeley. Oder wie Musk es ausdrückte: "Es wird wirklich alles möglich, was man sich vorstellen kann."

(bsc)