Wie ein besseres Facebook funktionieren könnte

Seite 2: Kleine Schritte statt Zerschlagung

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Interessanterweise sind zumindest in den USA die Stimmen leiser geworden, die noch vor weniger als einem Jahr den Konzern Facebook aufbrechen wollten – so wie Standard Oil Anfang des 20. Jahrhunderts, oder den Telco-Anbieter AT&T in den 80ern. Auch Whistleblowerin Frances Haugen forderte keine Zerschlagung des Konzerns – sie fürchte, dass sonst dieselben Probleme in den kleineren Nachfolgeunternehmen wieder auftauchen würden. Auch die berühmte "Section 230" – das Gesetz, dass soziale Netzwerke in den USA von der Haftung für die Posts von Nutzern befreit, möchte Haugen nicht komplett kippen.

Was die ehemalige Facebook-Mitarbeiterin Haugen ins Gespräch bringt, sind vor allem kleine Schritte: Wie wäre es, den Newsfeed nicht mehr von Algorithmen auf "engagement" und damit auf Wut optimieren zu lassen, sondern einfach in umgekehrter chronologischer Reihenfolge anzuzeigen – also schlicht für jeden Nutzer die neusten Posts zuerst? Wie wäre es, wenn Facebook-Nutzer Artikel erst lesen müssten, bevor sie sie teilen? Und wie wäre es, wenn Facebook enger mit Wissenschaftlern zusammenarbeitete?

Hegelich, der Professor für 'Political Data Science', ist von den amerikanischen Ideen für ein besseres Facebook wenig beeindruckt. "Ich war mit Zuckerberg in Diskussionsrunden, ich habe alle wissenschaftlichen Kooperationen mit Facebook abgebrochen – da kommt schlicht nichts bei herum. Das Datenset, was Facebook zur Verfügung stellt, ist mehr oder weniger nutzlos", schildert Hegelich die (mittlerweile eingestellte) Zusammenarbeit mit Facebooks Initiative "Social Science One" in einem Blogpost. "Egal was wir in Studien herausgefunden haben, man stellt fest, dass die (Facebook) das schon lange wissen, und sich nur treffen, um PR zu machen. Man kann denen nicht trauen."

Die kleinen Reform-Schritte, die in den USA debattiert werden, so Forscher Hegelich "werden substanziell definitiv nichts verändern. Dieser Konzern gehört zerschlagen."

Wenn man Prof. Hegelich nach fünf Schritten fragt, wie es jetzt realistisch mit Facebook weitergehen könnte, fordert er:

    1. "Facebook muss ökomisch und politisch beschränkt werden. Weil es längst selbst politischer Akteur ist und das ist gefährlich. Was wäre denn, wenn Zuckerberg plötzlich beschließt, in Deutschland eine bestimmte Partei zu unterstützen?"
    2. "Gefährliche Mechanismen wie die Optimierungsprogramme 'Time Well Spent' oder 'Meaningful Social Interaction' müssen reguliert werden. Algorithmen, an denen es ein berechtigtes wissenschaftliches Interesse gibt, müssen Open Source sein."
    3. "Große Forschungsprojekte müssen wirklich Zugriff auf Facebooks Daten haben.
    4. "Politiker müssen lernen, dass Facebook nicht für den politischen Diskurs gemacht ist – und sie da nichts zu suchen haben. Facebook funktioniert gut, um Menschen zu vernetzen, die sich sonst nicht sehen. Aber Politik macht es nur dumm und populistisch."
    5. "Wir müssen eine Alternative entwickeln, auf der ein herrschaftsfreier Diskurs stattfinden kann."

Ein neues soziales Netzwerk, so Hegelich, könne er sich gut als öffentlich-rechtliches Netzwerk vorstellen. "Ein Netzwerk, auf dem Themen vernetzt werden, nicht nur Leute. Es gibt mittlerweile unglaublich viel Forschung dazu, was Facebook falsch macht. Wir könnten diese Forschung gewissermaßen rumdrehen – und daraus lernen."

Ein öffentlich-rechtliches soziales Netzwerk wird in der deutschen und europäischen Politik bisher noch nicht – zumindest nicht lautstark – gefordert. Dabei wächst aber vor allem in Brüssel der Widerstand gegen Facebook, so wie es jetzt ist: "Das Netz-DG ist ein Anti-Facebook-Gesetz", sagt Professor Hegelich. Auch EU-Kommissar Thierry Breton hat schon mit Whistleblowerin Haugen gesprochen – und sagte, er fühle sich dadurch in seiner Arbeit an dem neuen Digitalgesetz "Digital Services Act" (DSA) bestätigt.

Alexandra Geese, eine EU-Abgeordnete der Grünen, konzentriert sich dabei vor allem auf das Tracking, dass Facebook ermöglicht, die Posts im Newsfeed so genau darauf zuzuschneiden, was starke Reaktionen von den jeweiligen Nutzern hervorruft: "Durch diese Profile von jedem Menschen ist es einfach, uns alle dort abzuholen, wo wir gerade stehen. Das ist gefährlich. Das Werbemodell ist der Nährboden für Hass, Hetze und gezielte Desinformation," so Geese in einer Erklärung. Mit dem neuen Digitalgesetz möchte Geese daher das Tracking in Europa verbieten lassen.

Wie effektiv neue Gesetze sind, hängt aber auch davon ab, wie sie angewandt werden: "Mein Eindruck ist, dass nicht nur die Gesetze das Problem sind, sondern oft auch die Umsetzung", schreibt die Forscherin Pia Lamberty in einer E-Mail. "Allein der Fall Hildmann zeigt, wie viel Veränderungsbedarf da noch besteht. Hier gab es ja genug Gesetze, die gegriffen hätten. Trotzdem konnte er monatelang seine antisemitischen Vernichtungsfantasien und offenen Gewaltaufrufe verbreiten, ohne dass etwas passierte."

Whistleblowerin Frances Haugen fordert einen anderen ersten Schritt: Erst mal müsse der Konzern Facebook den eigenen "moralischen Bankrott" erklären.

(jle)