Worldcoin: Tausche Kryptowährung gegen Augen-Scan

Seite 2: Versprechungen und Erfahrungen

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Aus den Augen-Scans erzeugt ein Algorithmus einen "Hashwert", indem er die unverwechselbaren Merkmale der Iris mathematisch auf eine einzigartige Zeichenkette eindampft. Dieser Wert wird laut Worldcoin lokal in der Orb gespeichert und niemals weitergegeben. Er soll verhindern, dass sich jemand mehrfach bei Worldcoin anmeldet. Dazu verwendet das Unternehmen nach eigenen Angaben eine neuartige kryptografische Methode namens "Zero-Knowledge-Proof": Das System liefert nur die Information, ob eine Person bereits angemeldet ist oder nicht – ohne Übermittlung persönlicher Daten.

Worldcoin soll auch wichtige technische Probleme für das "Web3" lösen. In dieser viel gehypten dritten Generation des Webs sollen Daten und Inhalte dank Blockchains von Einzelpersonen und Gruppen kontrolliert werden statt von einer Handvoll Technologieunternehmen. Allerdings leidet das Web3 unter einem Mangel an Benutzern und einem Übermaß an gefälschten Konten. Worldcoin will beide Probleme lösen. Es sei "eine offene Plattform" für jedermann und könne dadurch zu einer universellen Authentifizierungsmethode für Kryptowährungen und das Web3 werden, sagte Blania gegenüber TR.

Die "Orb" ist ein Iris-Scanner, der bald in Serie gehen soll.

(Bild: Worldcoin)

Wenn das geschieht, könnte auch die dahinterstehende Währung wertvoller werden. Dies dürfte der Grund sein, warum neben Altman auch einige der größten Namen des Silicon Valley eingestiegen sind. Andreessen Horowitz etwa investierte kürzlich über 100 Millionen Dollar, wodurch sich die Bewertung des Start-ups auf drei Milliarden Dollar verdreifachte.

Als wir im März mit Blania sprachen, hatte Worldcoin bereits 450.000 Menschen in 24 Ländern gescannt, 14 davon sind Entwicklungsländer. Bis 2023 will das Start-up eine Milliarde Anmeldungen sammeln.

Die bisher gesammelten biometrischen Daten sollen ein neuronales Netz zur Erkennung der Iris trainieren. Danach, verspricht Worldcoin, werden sie gelöscht. Bei der künftigen öffentlichen Version ihres Systems sollen neue Nutzer keine biometrischen Daten mehr abgeben müssen. Allerdings erklärt das Unternehmen nicht, wie dies funktionieren soll.

Aber wir wissen, wie die Nutzergewinnung derzeit funktioniert: Worldcoin schließt Verträge mit lokalen "Orb-Betreibern" für bestimmte Länder oder Regionen ab, die wiederum Subunternehmen zu eigenen Bedingungen beschäftigen können. Die Betreiber werden zwar vom Worldcoin-Team interviewt und ausgewählt, Unternehmenssprecherin Anastasia Golovina betont aber, dass sie "unabhängige Vertragspartner und keine Angestellten" seien – und selbst dafür verantwortlich, "lokale Gesetze und Vorschriften einzuhalten". Für jede gescannte Person erhalten sie eine Provision in Form des "Stablecoins" Tether, dessen Wert an eine traditionelle Währung gekoppelt ist.

Neue Nutzer bekommen derzeit Worldcoin im Wert von 25 US-Dollar, wenn sie sich scannen lassen und in ihre Worldcoin-Wallets einloggen. Einige Nutzer erhalten die Summe auf einmal, andere in wöchentlichen Raten. Laut Blania will man auf diese Weise herausfinden, was die effektivsten Anreize sind. Da es noch keinen Markt für die Worldcoins gibt, weiß allerdings niemand, welchen Wert sie wirklich haben. Sie sind also vorerst so etwas wie ein Schuldschein des Unternehmens und können schlimmstenfalls wertlos sein.

Viele Nutzer haben sich nach eigenen Angaben "aus Neugier" angemeldet. Andere kamen über Freunde, Bekannte oder Verwandte hinzu. Einige hofften, frühzeitig bei etwas einzusteigen, was der nächste Bitcoin werden könnte. Andere brauchten einfach das Geld. Viele vermuteten, dass es sich um einen Betrug handeln könnte, aber nur wenige konnten es sich leisten, sich die Summe entgehen zu lassen, wenn doch etwas dahintersteht.

Ruswandi fiel in mehrere dieser Kategorien. Er hatte während der Pandemie einen Großteil seiner Aufträge verloren und handelte in seiner Freizeit viel mit Aktien und Kryptowährungen. "Ich war neugierig und dachte, es könnte nicht schaden", erinnert er sich. Aber ihm kamen schnell Zweifel. Weder die Unternehmensvertreter vor Ort noch die Beamten des Dorfes konnten auch nur grundlegende Fragen zu Worldcoin beantworten. Nachdem er im Internet weiter recherchiert hatte, kam er zu dem Schluss, dass es sich um einen Betrug handelte – um eine massenhafte Datenerfassung, getarnt als "Offline-Airdrop", eine Taktik, bei der neue Kryptowährungen massenhaft kostenlose Token verteilen, um sich zu etablieren.

Schließlich beschränkten sich die Internetkenntnisse vieler seiner Nachbarn auf die vorinstallierte Facebook-App auf ihren Smartphones. Bevor sie mit der neuen Währung überhaupt etwas anfangen konnten, mussten die Vertreter von Worldcoin "ihnen erst einmal helfen, E-Mails einzurichten und sich im Internet anzumelden", erzählt Ruswandi. Wenn es darum ging, Nutzer für eine neue Kryptowährung zu gewinnen, fragte er sich, "warum hat Worldcoin dann in erster Linie einkommensschwache Dörfer ins Visier genommen statt Krypto-Enthusiasten?".