Worldcoin: Tausche Kryptowährung gegen Augen-Scan

Seite 4: Datenabgriff in Afrika

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Zudem lagen Nutzungsbedingungen mitunter nur auf Englisch vor, auch wenn ein Nutzer dieser Sprache nicht mächtig war. Manchmal wurden neue Nutzer aufgefordert, zusätzliche persönliche Daten anzugeben, die Worldcoin nach eigenen Angaben nie anfordert. So sollten fast alle Personen, mit denen wir gesprochen haben, ihre E-Mail-Adressen angeben, um sich bei ihren Wallets anzumelden, manchmal auch ihre Telefonnummern.

Mtembei betonte, dass persönliche Angaben niemals optional seien und dass es keine Möglichkeit gebe, sich bei seiner Orb ohne E-Mail und Telefon anzumelden. In Nairobi berichteten mehrere Studenten, dass die Betreiber ihren Personalausweis fotografiert hätten. Worldcoin hat nach eigenen Angaben noch nie Ausweisdokumente von normalen Nutzern verlangt, lediglich von den Orb-Betreibern.

Datenschützer waren von dieser Praxis nicht überrascht. "Es gibt einen Wettlauf, wer in dieser KI-gesteuerten Wirtschaft die meisten Daten bekommt", sagt Payal Arora, digitale Anthropologin und Autorin von "The Next Billion Users: Digital Life Beyond the West". Strenge Datenschutzgesetze in Europa und den USA bedeuten, dass die dortigen Unternehmer ihre Trainingsdaten nicht von der eigenen Bevölkerung bekommen können. Es ist einfacher und billiger, Daten dort zu sammeln, wo Menschen weniger Geld und rechtlichen Schutz haben.

Pete Howson, Dozent für Kryptowährungen an der Northumbria University, bezeichnet solche Aktionen als "Krypto-Kolonialismus", bei dem "Experimente vulnerablen Gemeinschaften aufgezwungen werden, weil sie sich nicht wehren können". Dezentrale Krypto-Konstrukte seien dabei noch schädlicher als andere Formen des Datenkolonialismus, weil es bei ihnen nur eine "sehr begrenzte Rechenschaftspflicht" gebe, wenn etwas schiefgehe.

Worldcoin betont, dass es auch in europäischen Ländern aktiv ist, darunter Frankreich, Italien, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Spanien, Großbritannien und Deutschland. Damit operiert es im Geltungsbereich der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Diese verlangt, dass betroffene Personen vollständig darüber informiert werden, warum ihre Daten gesammelt werden, wie sie verwendet werden, wer sie verarbeitet, wohin sie übertragen werden und wie sie gelöscht werden können. Worldcoin erklärt, die DSGVO vollständig einzuhalten. In seinem Einwilligungsformular steht aber das Gegenteil: "Es besteht die Möglichkeit, dass unsere Richtlinien und Verfahren nicht ausreichen, um die DSGVO-Anforderungen zu erfüllen." Laut Worldcoin erscheint diese übervorsichtige Formulierung nicht mehr in der neuesten Version des Einwilligungsformulars. Zu Redaktionsschluss war sie aber immer noch online.

Zudem gibt Worldcoin an, einen Datenschutzbeauftragten zu beschäftigen und eine Datenschutz-Folgenabschätzung durchgeführt zu haben – lehnte es jedoch ab, diese öffentlich zu machen. Dies ist allerdings auch nicht vorgeschrieben, solange es für Betroffene einen Weg gibt, mit den Beauftragten in Kontakt zu treten, etwa über ein Webformular.

In Deutschland firmiert Worldcoin als Tools for Humanity GmbH. Offizielle Adresse ist ein Business Center im Osten Erlangens, daneben baut es einen Standort in Berlin auf. Eine eigene Webseite hat das Unternehmen nicht, die Adresse ist nur über das Handelsregister herauszufinden.

Das Business Center ist so neu, dass Google Maps noch die Bilder der Baustelle zeigt. Vor allem Start-ups ziehen hier ein. Es riecht nach Farbe und es fehlt an Grün, die Wände sind kahl. Noch sind hier nicht alle Büros bezogen. Die Firmenschilder bestehen aus ausgedruckten DIN-A4-Seiten, mit Tesafilm an die Tür geklebt. Hier hat Tools for Humanity mehrere übereinanderliegende Büroetagen bezogen.

Die Tür steht offen. Als der TR-Reporter eintritt und ein Gespräch mit einem Mitarbeiter beginnt, kommt Deutschland-Geschäftsführer Fabian Bodensteiner dazu. Zunächst möchte er keine Auskünfte geben und verweist auf die Pressestelle. Beim Hinausgehen lässt er sich aber doch noch auf ein Gespräch ein.

Die Prototypen-Phase der Orbs sei bereits abgeschlossen, verrät er. Nun beginne der Aufbau der Produktion. Die Geräte werden nach seinen Angaben nicht in Deutschland, sondern in einem anderen europäischen Land gefertigt – welches, sagt er nicht. In Erlangen werde die Software für die Orbs geschrieben. Dazu expandiere man stark, er führe regelmäßig Vorstellungsgespräche. Die Software soll später als Open Source veröffentlicht werden. Doch im Moment sei sie aus Sorge vor militärischem Missbrauch noch geheim. Nach Fertigstellung soll sie durch eine entsprechende Lizenzierung geschützt werden.