Worldcoin: Tausche Kryptowährung gegen Augen-Scan

Seite 3: Kritik aus der Kryptoszene

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Auch viele weitere Experten zweifeln am Datenschutzkonzept von Worldcoin, zumal das Unternehmen noch kein Whitepaper veröffentlicht oder seinen Code für eine externe Bewertung geöffnet hat. "Benutzt keine biometrischen Daten zur Betrugsbekämpfung. Benutzt Biometrie für gar nichts. Der menschliche Körper ist kein Fahrkartenlocher", twitterte etwa der NSA-Whistleblower Edward Snowden. "Es sieht so aus, als ob [Worldcoin] eine globale (Hash-)Datenbank der Iris-Scans erstellt und die Folgen abwiegelt, indem es sagt: ‚Wir haben die Scans gelöscht!‘ Ja, aber Sie speichern die *Hashes*, die von den Scans erzeugt werden. Hashes, die mit *künftigen* Scans übereinstimmen."

Andere bemängelten, dass ein Fünftel der Coins bereits zugeteilt worden waren – je zehn Prozent an die Vollzeitmitarbeiter von Worldcoin und an die Investoren. Viele in der Blockchain-Szene waren auch mit dem Grundgedanken von Worldcoin nicht einverstanden: die Schaffung einer zentralen Identität für das gesamte Web3. Schließlich hatten sich viele den Blockchains und dezentralen Organisationen gerade deshalb zugewandt, um anonym zu bleiben.

Für Blania geht diese Kritik an der Sache vorbei. "Große Teile unseres Teams haben einen Hintergrund in der Kryptoszene. Daher liegt uns der Datenschutz sehr am Herzen", sagte er in einem Videointerview Anfang März von Erlangen aus gegenüber TR. Er verstehe die Besorgnis vollkommen, glaube aber, dass sie eher "emotionale Bauchreaktion" als "objektive Kritik" sei. Er räumte ein, dass es zu Beginn noch einige "Reibungsverluste" gegeben habe, weil das Unternehmen noch am Anfang stehe. "Es sind hier nur ein paar Leute, die versuchen, etwas zum Laufen zu bringen. Es ist nicht wie bei Uber mit hunderten von Leuten." Die Kritiker hätten übersehen, wie gut das Worldcoin-Protokoll die Privatsphäre schützen wird, sobald es fertig ist.

Außerdem, fügte das Unternehmen hinzu, "sammeln wir Daten nicht, um daraus Profit zu schlagen oder unsere Nutzer zu überwachen, wie viele andere Tech-Unternehmen da draußen. Wir wollen die Daten ausschließlich für die Entwicklung unserer Algorithmen verwenden, um Betrug zu minimieren und die Privatsphäre der Nutzer zu schützen."

Vertreter von Worldcoin haben allerdings eine Reihe fragwürdiger Methoden eingesetzt, um neue Nutzer zu gewinnen. Im Sudan verlosten sie AirPods, in West-Java tarnten sie eine Scan-Session als Workshop über Kryptowährungen und bezahlten einige Beamte dafür, für Worldcoin zu werben. Viele Bewohner dachten daraufhin, die Veranstaltung würde von der Regierung selbst organisiert. Worldcoin bezeichnete die Beispiele als "unabhängige und isolierte Aktionen lokaler Orb-Betreiber".

Orb-Einsatz in Chile: Neben dem südamerikanischen Land kam das Gerät unter anderem auch in Sudan, Ghana und Indonesien zum Einsatz.

(Bild: Worldcoin)

Orb-Einsatz in Indonesien: Worldcoin-Vertreter mussten erstmal helfen, E-Mails einzurichten und sich im Internet anzumelden.

(Bild: Worldcoin)

Nicht immer steht böse Absicht dahinter. Die Orb-Betreiber, mit denen wir sprachen, erwähnten oft, wie wenig Informationen sie von Worldcoin-Vertretern bekamen. (Worldcoin entgegnet, dass es seinen Orb-Betreibern einen Verhaltenskodex zur Verfügung stellt, an den sich auch die Subunternehmen halten müssen, und dass es künftig von Provisionen, die allein auf der Anzahl der Scans basieren, abrückt.)

Bryan Mtembei war einer dieser Betreiber. Der Bauingenieur hat vor Kurzem sein Studium in Nakuru, der viertgrößten Stadt Kenias, abgeschlossen. Nachdem er im September auf dem Campus gescannt wurde, arbeitete er freiberuflich für Worldcoin. Er hätte sich "eine kurze Schulung über die Grundlagen von Worldcoin" gewünscht. Stattdessen war seine einzige Anweisung, "mehr Leute anzulocken, um mehr Geld zu bekommen", sagte er. "Der Rest war Sache meiner sozialen Marketingfähigkeiten."

Also tat er sein Bestes, um die Fragen der neuen Nutzer zu beantworten. Mtembei schätzt, dass etwa 40 Prozent der Angesprochenen Sorgen wegen der Weitergabe ihrer biometrischen Daten hatten. Als er anfangs ähnliche Bedenken äußerte, wurde ihm von einem Worldcoin-Vertreter versichert, dass alle seine Fragen in einem "White Paper" behandelt würden. Ein solches Dokument existiert jedoch nicht. Nach Angaben des Unternehmens könnten auch kürzere Blogbeiträge als White Paper angesehen werden. Letztlich überwog Mtembeis Geldnot seine Bedenken; er sagt, er habe zwischen 150 und 200 Personen zu umgerechnet je 44 US-Cent angemeldet.

Laut Worldcoin-Sprecherin Golovina "werden alle Nutzer, die sich während des Feldtests anmelden, umfassend darüber informiert, welche Daten gesammelt werden und wie sie verwendet werden, und sie müssen ihre Zustimmung geben, bevor sie sich anmelden dürfen. Jede Person, die ihre Zustimmung erteilt, kann diese jederzeit widerrufen, und die Daten werden dann gelöscht."

Keiner der von uns befragten Personen wurde jedoch explizit darauf hingewiesen, dass sie "Testnutzer" waren, dass ihre Fotos, Videos und 3D-Körperscans dem Training eines Algorithmus dienten oder dass sie die Löschung ihrer Daten verlangen können.