Der Preis des Nichtstuns: Warum die Wirtschaft Klimaschutz braucht

Das Megaprojekt Klimaneutralität wird die Gesellschaft verändern, liegt aber auch im Interesse der Firmen und Verbraucher. Zehn Fragen nach dem Klimagipfel.

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(Bild: nicostock/Shutterstock.com)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Jan Petermann
  • dpa
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Klimaschutz bedeutet Konsumverzicht, weniger Komfort, höhere Kosten, drohende Jobverluste. Ja – das alles kann Klimaschutz mit sich bringen. Aber wie sähe die Welt in 30, 40, 50 Jahren aus, wenn man jetzt nicht entschlossen umsteuert? Auch wirtschaftlich? Und liegt im Zwang zum Handeln nicht ebenso die Chance, neue Formen des Wirtschaftens, Arbeitens und Lebens aufzubauen?

Dass ganze Staaten und Gesellschaften nicht umhinkommen, den großen Wurf beim CO2-Einsparen zu wagen, steht für viele Experten außer Frage. Skeptiker des menschengemachten Klimawandels bemühen dennoch gern das Szenario großer Wohlstandsverluste – während manche Optimisten glauben, beim Ausstieg aus der über ein Jahrhundert alten Kohlenstoffwirtschaft müsse es vielleicht gar nicht so ruckeln.

Der bisher umfassendste Strukturwandel wird heftig, so viel ist sicher. Auch Ökonomen wissen, welche Möglichkeiten – neben Risiken – im Aufbau eines CO2-neutralen Systems stecken.

1. Kurzfristig teuer, langfristig unfinanzierbar? Die Forschung macht grundsätzlich klar: Einige bleibende Schäden durch die Erderwärmung sind schon da – die Frage ist, ob und wie sie eingegrenzt werden können. Für die Wirtschaft heißt das: Es geht nicht nur um das Ausschöpfen möglicher Vorteile, sondern auch um das Eindämmen von Nachteilen.

Was passieren könnte, wenn nicht genug getan wird, schätzt eine Studie der Beratungsfirma Deloitte ab. Fast eine Dreiviertelbillion (730 Milliarden) Euro könnten die Folgen des Klimawandels demnach allein in Deutschland bis zum Jahr 2070 kosten, sollte es keine konsequente Entkopplung von der Kohlenstoffbasis geben. Eine Summe, die mehr als ein Fünftel der heutigen Wirtschaftsleistung betrüge.

Durch Wachstumseinbrüche gehen in dieser Rechnung in den kommenden 50 Jahren zudem bis zu 470.000 Jobs verloren. Werden die CO2-Emissionen nicht deutlich beschränkt, prognostizieren die verwendeten Klima- und volkswirtschaftlichen Modelle enorme Einbuße auch durch Land- und Kapitalverluste oder Produktivitätsrückgänge.

2. Grünes Wachstum fördern? Damit es nicht so kommt, müssen aus Sicht der Energieökonomin Claudia Kemfert drei zentrale Umbauprozesse gelingen. "Wir müssen das Ausbautempo bei den Erneuerbaren verdrei-, wenn nicht versechsfachen", sagt die Abteilungsleiterin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. "Dazu gehört ein Kohleausstieg bis 2030, mit finanziellen Hilfen für die Industrie auch bei grünem Wasserstoff. Und wir brauchen zur Verkehrswende einen deutlich schnelleren Ausbau der E-Mobilität, sowohl auf der Straße als auch auf der Schiene." Entsprechende Investitionen von Staat, Haushalten und Privatwirtschaft könnten ein grünes Wachstum anregen.

Ähnliche Chancen beschreibt Thomas Schlaak von Deloitte: "Wenn wir jetzt die richtigen Entscheidungen treffen, können wir durch die Entwicklung von Schlüsseltechnologien den Fortschritt beschleunigen." Werde Klimaneutralität – eine ausgewogene Bilanz aus freigesetztem und wieder gebundenem CO2 – bis 2050 angepeilt, falle die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts erst niedriger aus. Danach werde sie jedoch umso solider. "Es gibt einen Wendepunkt, ab dem die gravierendsten Auswirkungen des Klimawandels vermieden werden und die Vorteile die Investitionen in emissionsarme Produktionsprozesse ausgleichen."

Von 2038 an könnte es so weit sein, kalkuliert Schlaak. "Die Zahl der Arbeitskräfte wird zunehmen, insbesondere in der sauberen Energiewirtschaft und im Dienstleistungssektor." Manche kritischen Ökonomen wie Niko Paech aber bezweifeln, dass Wachstum an sich – ob nun grün oder nicht – überhaupt noch das erstrebenswerte Ziel ist. Auch wegen der Erschöpfung natürlicher Ressourcen müssten Mäßigung und ein Genügsamkeitsdenken die ständige Gewinnmaximierung ablösen.