Deutschland und das Digitale – ein ewiges Jammertal

Andere Länder machen uns vor, wie Digitalisierung geht. Es wird Zeit, dass hierzulande Druck auf das Thema kommt, findet iX-Chefredakteur Oliver Diedrich.

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(Bild: Rawpixel.com / Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.

Digitalisierung in Deutschland, speziell in Behörden ... man mag schon gar nicht mehr drüber lesen, geschweige denn schreiben. Aber es wird ja immer neues Wasser auf die Mühlen der Meckerer gegossen: Jetzt hat eine (wirklich gut durchdachte und kompetent ausgeführte) Studie der EU den Stand der Digitalisierung von Behördenleistungen aus Nutzerperspektive untersucht – und platziert Deutschland auf Platz 21 unter 35 europäischen Ländern. Unteres Mittelfeld also. Unser Anspruch ist da doch ein anderer?

Ein Kommentar von Oliver Diedrich

Dr. Oliver Diedrich ist seit 2016 stellvertretender Chefredakteur bei iX, dem Heise-Magazin für professionelle IT. Davor schrieb er bei c't und leitete heise open, das Open-Source-Portal auf heise online.

Dazu passt, dass fast drei Viertel der Bundesbürger finden, mit der Digitalisierung gehe es nicht schnell genug voran. Zur jüngst vorgestellten Digitalstrategie der Bundesregierung hört man (zumindest außerhalb der Regierungskoalition) mehr Kritik als Lob. Ob das Gewurschtel rund um das E-Rezept oder die zähe Digitalisierung in den Schulen: Deutschland kommt mit seinen Digitalisierungsprojekten einfach nicht so recht voran.

Da sind andere Länder deutlich weiter: Luxemburg (Platz 3) beispielsweise betreibt auf guichet.public.lu ein übersichtliches Portal, das alle Behördenangebote sammelt. Unterteilt in Services für Bürger und Unternehmen und sortiert nicht etwa nach dem zuständigen Amt, sondern nach Themenbereichen wie Arbeit, Wohnen, Gesundheit, Unternehmensgründung oder Finanzierung und Beihilfen.

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Kennen Sie das deutsche Pendant verwaltung.bund.de, das alle Verwaltungsleistungen von Bund, Ländern und Kommunen auflistet? Ich auch nicht, bevor ich diesen Artikel geschrieben habe. Dort sollen "künftig möglichst viele Online-Leistungen des Bundes" nutzbar sein. "Bundesbehörden sind eingeladen, ihre Online-Leistungen in das Bundesportal zu integrieren", heißt es auf der Seite. Heißt das, dass man die digitalen Services der Länder und Kommunen dann per Google-Suche aufspüren muss? Und was ist mit Bundesbehörden, die die Einladung nicht annehmen möchten?

Nun ist Luxemburg mit seinen gut 600.000 Einwohnern kleiner als jedes deutsche Bundesland. Der deutsche Föderalismus, das Kompetenzgerangel und die fehlende Zusammenarbeit zwischen Kommunen, Ländern und Bund sind sicher nicht hilfreich, ein so großes und wichtiges Projekt wie die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung voranzubringen.

Selbst auf Bundesebene sind die Zuständigkeiten nicht klar: Die Digitalstrategie hat das Verkehrsministerium, oops, Bundesministerium für Digitales und Verkehr erarbeitet. Die Umsetzung des wichtigsten Digitalisierungsprojekts – das Onlinezugangsgesetz (OZG) soll 575 digitale Verwaltungsdienstleistungen bis Ende des Jahres ins Netz bringen – liegt hingegen beim Innenministerium. Dort ist auch der CIO Bund angesiedelt, der sich mit Fragen der Digitalisierung beschäftigt und Ansprechpartner für die Länder ist. Aber offenbar nicht für die Digitalstrategie zuständig.

Solange es keine klaren Verantwortlichkeiten gibt und jede Behörde, jedes Land, jede Kommune nach Gusto vor sich hin werkelt, wird die Digitalisierung in Deutschland ein Flickwerk bleiben. Wo es vom Wohnort abhängt, ob man sich online ummelden oder eine Geburtsurkunde beantragen kann. Wenn man den zuständigen Onlinedienst überhaupt findet.

(odi)