Die Woche: Microsoft und Linux
"Spielzeug", "Krebsgeschwür", Halloween-Papiere, Mindcraft-Studie und juristische Drohungen: Die Attacken von Microsoft auf Linux sind fester Bestandteil des kollektiven Internet-Bewusstseins. Die Realität ist nicht ganz so platt.
Da erstellt Linux Weekly News eine Liste der aktivsten Unternehmen und Entwickler, die an der kommenden Version 3.0 des Linux-Kernels mitgearbeitet haben – und auf den vorderen Plätzen findet sich Microsoft. Das bringt lang gepflegte Feindbilder ins Wanken: War es nicht der Microsoft-CEO Steve Ballmer, der Linux als Spielzeug und Krebsgeschwür bezeichnete? Hieß es nicht aus Redmond, Open Source zerstöre das geistige Eigentum, sei unamerikanisch und verhindere Innovation?
Die markigen Sprüche sind freilich zehn Jahre her. Gegen Ende der 90er-Jahre scheint das freie Betriebssystem Microsoft gehörig in die Knochen gefahren zu sein. Kein Wunder: Linux konkurriert direkt mit Windows, dem Fundament des ganzen Microsoft-Imperiums (damals noch mehr als heute). Und freie Software und offene Quelltexte stellen das Geschäftsmodell der Redmonder, das ganz auf Lizenzeinnahmen aus proprietärer Software ausgelegt ist, grundsätzlich in Frage.
Was Microsoft aber am meisten erschreckt haben dürfte: Die Linux-Attacke kam "von unten" – eine Position, in der sich Microsoft damals selbst sah. Mit dem Windows NT Server auf billigen x86-PCs versuchten die Redmonder ab 1995, den Unix-Servern und Mainframes in den Rechenzentren Marktanteile abzugraben. Und dann Linux: genau wie Windows gut genug für viele Server-Aufgaben, als Open Source noch billiger als Windows und zudem Unix-kompatibel. In den so genannten Halloween-Papieren setzte sich Microsoft schon 1998 mit der neuen Konkurrenz und deren Qualitäten auseinander und versuchte, eine Strategie als Antwort auf Linux zu finden.
Dass pauschale Diffamierung alleine nicht reicht, wurde schnell klar. Mit der berüchtigen Mindcraft-Studie wollte Microsoft 1999 die technische Unterlegenheit von Linux belegen; 2002 argumentierte man mit geringerer TCO und leichterer Administration. 2004 – SCO hatte inzwischen seinen juristischen Feldzug gegen Linux eröffnet – spielte Microsoft die Karte Rechtsschutz gegen Ansprüche Dritter aus; zwei Jahre später drohte man mit Patentklagen.
Aber 2006 fand Microsoft auch schon eine andere Antwort auf die Linux-Konkurrenz: Die Kooperation mit Novell erlaubte es den Redmondern, selbst Linux anzubieten – was von Microsoft-Kunden offensichtlich gerne angenommen wurde: Mittlerweile gehört Microsoft zu den wichtigsten Linux-Distributoren. Mit Codeplex startete das Unternehmen eine Hosting-Site für Open-Source-Software und legte dort eigenen Code unter diversen Shared-Source-Lizenzen offen, von denen zwei sogar von der Open Source Iitiative als Open-Source-Lizenzen anerkannt wurden. 2008 trat Microsoft Deutschland der Open Source Business Foundation bei.
Selbst mit der Idee freier Software (im Sinne der Free Software Foundation) hat man sich arrangiert: 2009 veröffentlichte Microsoft erstmals Code unter der GPL – bislang hatte man die GNU-Lizenz wegen ihres viralen Effekts als Teufelszeug verdammt. Und nun tragen die Redmonder sogar substanziell Code zum Linux-Kernel bei – auch wenn es sich zum allergrößten Teil "nur" um den HyperV-Treiber handelt, mit dem Linux besser unter dem Microsoft-Hypervisor HyperV läuft. Aber Microsoft steht damit in einer Reihe mit Red Hat, Intel, Novell und IBM.
Und so endet das Microsoft-Video zum 20. Geburtstag von Linux durchaus nicht unangemessen mit dem Satz "Microsoft and Linux" – wobei das "and" das durchgestriche "vs." der Vergangenheit ersetzen soll. (odi) (odi)