Klartext: Mehr Autos, weniger Optionen
Seite 2: Schlechtwetteröffis
Dass Fahrradanhänger und Lastenfahrrad je die Beliebtheit des Autos erreichen, halte ich für unwahrscheinlich, weil diese Vehikel einschneidende Kompromisse bei den grundsätzlichen Vorteilen der Effizienzerfindung Fahrrad eingehen. Das Fahrrad kann das Auto als Ein-Personen-Transportmaschine jederzeit überholen. Das Lastenfahrrad wird eine Nische bleiben, und der Schwung neuer Fahrradpendler aus 2020 stellte im vorigen Winterhalbjahr zudem die Existenz von Wetter fest.
Schönwetterfahrradfahrer
Es war ein bisschen tragisch: Die Popup-Radwege des Sommers 2020 wurden im Winter 2020 recht leer. Den Neuradlern fiel auf, dass es drauĂźen im Schneeregen auf den Fahrradsattel ja gar nicht so angenehm ist wie drinnen im Benz auf der Sitzheizung. Man mĂĽsste sich warm anziehen, wozu wir Wohlstandsverwahrlosten uns oft nicht imstande sehen oder nicht einsehen, warum man die Zwiebel machen soll wie Opa damals an der Ostfront. Diese Tage sind doch vorbei, oder? Oder? Gut, dass noch mein Auto am Ende der StraĂźe steht!
Flatterfahrräder
Betrachten wir auch hier die Alternativen: Warme Kleidung habe ich schon genannt. Ich kann jedoch meine Frau verstehen, die vorigen Winter nach langen Jahren Kawa-Pendeln keine Lust mehr hatte, jeden Tag vor der Arbeit aus dem Michelinmännchenzeug zu steigen und zur Rückfahrt da wieder hineinzuwackeln. Die Umkleide verlängert den Pendelweg zeitlich ungemein. Vermehrt tauchen Konzepte für Mehrspurfahrräder mit Folienkabinen auf, die aufgrund fehlender Isolation nicht wirklich dazu taugen, die warme Kleidung daheim zu lassen. Ihre einzige Funktion für viel Geld: Die warme Kleidung muss nicht wasserdicht sein. Teure, breite, windineffizente Flatterfahrräder werden sich trotz Hilfsmotor nicht breit durchsetzen, für diese Vorhersage muss man kein Prophet sein.
Ă–ffis als Winteralternative
Und schließlich gäbe es noch die Öffis als Winteralternative zum Fahrrad. Die waren eins der Themen im Wahlkampfjahr 2021. Das waren sie aber im vorigen Wahlkampf auch schon. Der ÖPNV taugt schon immer dazu. Seit ich im Bus zur Innenstadtschule fuhr, verspricht mir die Politik bessere Öffis, während sie in der Tendenz gleichzeitig dazu übergeht, schlechtere Öffis immer umständlicher zu vermarkten.
Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach Tokio und sollen ein Ticket nach Shibuya kaufen, ohne die Schrift lesen zu können. In etwa so muss es Senioren oder Migranten in Stuttgart gehen. Komplizierter kann man es selbst mit dediziertem Sadismus kaum gestalten. Und verzeihen Sie, wenn ich auf diesem Punkt herumreite, aber solange man mit Öffis keinen Familieneinkauf mit vergleichbarem Aufwand erledigen kann, sind sie kein Ersatz für ein Auto, sondern nur ein Zusatz, wie die Mehrzahl der Fahrräder.
Das Bessere, des Guten Feind
Wir landen hier also bei einem Grundproblem: Das Auto als Technologie funktioniert gar nicht so schlecht, während die Alternativen meistens gar nicht so gut funktionieren. Damit nicht der Eindruck entstehe, es gäbe keine Alternativen, habe ich an den jeweiligen Punkten welche genannt, die sich anderswo bereits bewährt haben. Wir können Fußgänger-Megacities bauen, das zeigt Japan. Wir können Autostädte zu Fahrradstädten umbauen, das zeigen die Niederlande ab etwa den Siebzigerjahren, als es dort ähnlich aussah wie in Deutschland.
Wir könnten viel und taten wenig, weil die echte Not fehlte. Also blieb es beim Auto, das einfach gut genug den Alltag vieler Menschen abdeckt. Als Fußganglobbyist hoffe ich auf Veränderungen der Städte, wie sie längst angefangen haben. Aber weder als Aktienhalter noch als Endnutzer sollten Sie mit dem baldigen Ende des Autos als Technologie rechnen. Die fahrende, beheizte Kleinkabine wird uns noch lange begleiten.
(cgl)