Missing Link: Die UN und das Internet – vage Visionen und mangelnde Teilhabe

Seite 2: Blumige Worte, fehlende Konsequenzen

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Abgesehen von den drei organisatorischen Vorschlägen, zu denen weitere Maßnahmen wie die Einsetzung eines UN-„Cyber-Gesandten“ oder die Einrichtung eines „Help Desk“ für Digitalfragen für die Mitgliedsstaaten gehört, betreffen die Empfehlungen des High Level Panel Vorgaben darüber, wie die digitale Entwicklung die Ziele für nachhaltige Entwicklung befördern sollen. Ganz oben steht der Zugang zu Infrastruktur und Bildung für alle, die Umsetzung von Menschenrechten online – auch die UN solle ihre eigenen Teilorganisation einer diesbezüglichen Überprüfung unterziehen – und natürlich Dinge wie besserer Kinderschutz, KI-Monitoring und Fortschritte bei der Bewältigung der Konversion der Arbeitswelt durch die Digitalisierung. Eine lobende Erwähnung fällt zum Thema Arbeit dabei für den “Crowdworking-Leitfaden“ des Crowdsourcing Verband e.V. in Deutschland ab.

Wer könnte solchen Zielen widersprechen, fragen nun viele, die die Arbeit des Panels des UN-Generalsekretärs von Anfang kritisch beobachtet haben. Zu ihnen gehört etwa Farzaneh Badii, Forscherin am Georgia Institute of Technology und Autorin beim Blog des seit vielen Jahren das Thema beackernden Internet Governance Project. Vor allem mit der vom UN Panel vorgeschlagenen blumigen „Erklärung zur digitalen Interdependenz“ geht sie harsch ins Gericht.

„Die vorgeschlagene UNHLP-Erklärung lädt uns ein, uns einer Vision zu verschreiben, gegen die niemand etwas sagen kann, die aber zugleich vage und voller Widersprüche ist.“ Badii vergleicht die Interdependenz-Erklärung kurzerhand mit Barlows Unabhängigkeitserklärung, die freilich einen anderen Anspruch hat. Barlows Erklärung deklariert den Anspruch der Bewohner des Cyberspace auf Selbstverfassung. Tatsächlich wird aber heute entgegen seiner Ideen von der nicht-existierenden physischen Identität um die Vorzüge der ID für alle Netznutzer gestritten. Auch im High Level Panel war man sich nicht einig, ob solcher Fortschritt ein Segen oder ein Fluch wäre.

Badiis Rant trifft ein paar wunde Punkte. Eine handverlesene UN-Beratergruppe empfiehlt von oben, wie Politik von unten gemacht werden soll. „Das High Level Panel scheint zu glauben, dass die vorgeschlagenen Architekturen nur von der UN nach Multi-Stakeholder-Art zusammengebracht werden müssen und dann magischerweise kollektive Aktionen entstehen“, ätzt sie. Die vom Panel empfohlene Adoption des IGF, das bislang freischwebend – und viele Jahre geizig finanziert – war, ist aus Sicht der Wissenschaftlerin und Aktivistin alles andere als ein Vorteil. Das IGF werde dadurch nur ins multilaterale Geschacher verwickelt, die Teilhabe von Nicht-Mitgliedern und nicht-staatlichen Akteuren werde erschwert. „Denn letzten Endes bedient die UN ihre Mitglieder und ist alles andere als eine Bastion von Diversität und Inklusivität“, so Badii, und übrigens fehlt es den Mitgliedsstaaten – nicht nur in autokratischen Systemen – am Willen oder Vermögen zu Teilhabeverfahren im Politikprozess.

Für die mangelnde Bereitschaft vieler Regierungen, die seit vielen Jahren vollmundige Bekenntnisse zum Konzept von Multi-Stakeholder abgeben, auf Bürger und externen Sachverstand zu hören – abgesehen von teuer eingekauften Beratern –, gibt es viele Beispiele.

Auf UN-Ebene schlug vergangene Woche ein Bündnis von Nicht-Regierungsorganisationen Alarm. Das Bündnis moniert, dass Regierungen UN-Prozesse rund um die Nachhaltigkeitsziele (SDGs) offensichtlich nur noch als Imageshows sehen. Marie-Luise Abshagen, Referentin für nachhaltige Entwicklung beim Berliner Forum Umwelt und Entwicklung kritisierte laut einer Presseerklärung überdies einen „deutlichen Rückgang in der Offenheit von Regierungen, gesellschaftliche Akteure in die Überprüfung der SDGs einzubeziehen. Von 47 berichtenden Staaten haben 31 zivilgesellschaftliche Vertreter und Vertreterinnen kaum bis gar nicht einbezogen.“ Das High Level Policy-Forum der UN zu den SDG verkomme so langsam zur Farce, so die Kritik der NGOs, die für 27. September zu einem weltweiten Generalstreik aufrufen.

Unterhalb der weltpolitischen Bühne sieht es auch nicht anders aus. Aktivisten hierzulande verzweifeln an Überwachungsgesetzen, die in Nachtsitzungen und vor der Sommerpause durchgedrückt werden. EU-weite Urheberrechtsregeln, bei denen die Politik den massiven Aufstand von Volk und Wissenschaft ignoriert oder gar verunglimpft, sind keine Werbung für politische Teilhabe, sondern eher für Politikverdrossenheit. Selbst mit der Organisation nationaler Teilhabe bei genuinen, aus nationaler Sicht eigentlich unkritischen Multi-Stakeholder-Experimenten wie ICANN, tut sich die Regierung in Berlin sehr schwer.

Deutschland sei ein Paradebeispiel für das Arbeiten in Silos, meint Wolfgang Kleinwächter, emeritierter Völkerrechtler und so etwas wie der deutsche „Mister Internet Governance“. Der jährliche deutsche IT-Gipfel etwa könnte eigentlich als eine Plattform für einen Dialog zwischen den verschiedenen Gruppen genutzt werden. „Das passiert aber leider nicht,“ sagt Kleinwächter gegenüber heise online. Vielmehr fehlten Entwickler und technische Fachleute bei solchen Gelegenheiten ebenso wie die Zivilgesellschaft. „Die haben ihre CCC-Konferenz,“ so Kleinwächter, fügt aber nicht ohne Selbstkritik hinzu, dass auch das deutsche IGF, das er selbst vor Jahren als eines von 114 nationalen Foren mit ins Leben gerufen hat, mit grade mal 150 Teilnehmern ein Witz sei verglichen etwa mit der großen re:publica. „Der Diskurs um die Digitalisierung ist kaputt“, kommentierte gerade eben c‘t Redakteur Jan Mahn und forderte ein „Ende der stillen Empörung im Serverraum“.

Vint Cerf, der die Technikerseite im High Level Panel vertrat, bestätigte die Kluft zwischen Multi-Stakeholder-Schwüren und einer Gesetzgebung, die aus Sicht der Praktiker viele Bugs hat. „Ich glaube, die Administrationen haben die Geduld verloren mit Multi-Stakeholder-Prozessen“, schrieb Cerf an heise online. „Ich hoffe, dass wir eine Lösung finden, die es erlaubt, dass künftig die relevanten Stimmen gehört werden, bevor Regulierung entworfen, angenommen und durchgesetzt werden.“ Cerf ist nicht Barlow, er anerkennt die Notwendigkeit zu regulieren.

„Es gibt eine wachsende Notwendigkeit kooperativer Strafverfolgung zum Schutz der Bürger vor verschiedenen Arten von Schaden in der Onlinewelt“, so Cerf. Gut wären seiner Meinung nach Normen für Software Updates, gemeinsam verabredete Praktiken für starke ID Authentifizierungsmöglichkeiten, und die Annahme entsprechender internationaler Standards. Beim Thema Desinformation, das die Regulierer gerne mit Gesetzen erschlagen würden, rät er dagegen: „Diesen Kampf nehmen wir wohl am besten dadurch auf, dass wir als Nutzer unser kritisches Denken anschalten.“