50 Jahre Intel: Rückblick auf 50 Jahre große Erfolge und große Misserfolge

Seite 4: Die große Verlade

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Mit dem 486 (1989) wurden Cache und Coprozessor integriert, Es gab aber auch eine urige Konstruktion namens 486SX, bei dem optional ein 487-Coprozessor als Zubehör hinzusteckbar war. Beides waren intern jedoch vollständige 486DX-Prozessoren, bei denen man das jeweilige Gegenstück einfach abgeschaltet hatte. Einen Pin beim 487 anders beschaltet, und schon war er ein vollständiger DX. Dieser Marketing-Trick war dann doch etwas zu plump und Intel handelte sich viel Spott und Kritik ein, etwa unter „die große Verlade“ in c't 7/91.

1993 kam der Pentium mit zwei Pipelines, die aber nur synchronisiert und nicht out-of-order arbeiten konnten. Die zweite Pentium-Generation besaß die erste SIMD-Implementierung (Single Instruction Multiple Data) namens MMX. Im Laufe der Jahre sollen dann etliche SIMD-Erweiterungen folgen (SSE, SSE2, SSE3, SSSE3, SSE4, SSE4.1, SSE4.2, AVX, AVX2, AVX512 ...

Der Pentium war noch ausgesprochen gut dokumentiert (ganz im Unterschied zu heutigen Intel-Prozessoren) – bis auf einen geheimen Appendix H. Doch dessen geheime Befehle und Strukturen hatte c't-Autor Christian Ludloff (damals Finanzbeamter in Chemnitz, später x-86-Validator bei Transmeta, inzwischen wie fast alle guten Leute bei Google) auch ohne ihn weitgehend entschlüsselt und nach der Veröffentlichung in c't 11/94 trudelte dann netterweise ein kompletter Appendix H anonym bei uns ein. Wir meldeten das erfreut bei Intel in München, doch dort freuten sie sich eher weniger, aktivierten sofort die Rechtsabteilung, die empört bei uns aufschlug.

Mit Intels Rechtsabteilung hatten wir hinfort noch mehrfach zu tun, etwa nach Tests mit nicht von Intel autorisierten Prototypen. Das schlug zuweilen Wogen bis hin zum Wall Street Journal ("Intel setzt deutsche Presse unter Druck"). Auch zu Dr. Thomas Pabst, der 1997 noch seine Website Tom's Hardware Page als Krankenhausarzt allein von einer Dachstube in England pflegte, schickte Intel die Rechts-Kavallerie, um ihn unter Druck zu setzen. Der internationale Protest half, der Konzern knickte ein und zog sogar personelle Konsequenzen bei Intel Deutschland.

Intel-Bilanz über die gesamten 50 Jahre in ungewohnter logarithmischer Darstellung (sonst sieht man die ersten 20 Jahre nicht). Sie deutet auch die EU-Strafe und die Steuernachzahlung gemäß der Trumpschen Steuerreform an - die war teuer für Intel.

Mit dem Pentium kam noch was anderes Neues auf Intel zu, nämlich der öffentliche Umgang mit Prozessor-Bugs. Der berühmt gewordene FDIV-Bug machte die Runde, nachdem im Oktober 1994 ein Mathematiker auf ihn aufmerksam gemacht hatte und jeder konnte ihn sofort nachvollziehen (das ist heutzutage nur sehr selten der Fall). Zunächst versuchte Intel, den Verrechner beim Dividieren herunterzuspielen ("nur selten und wenn, nur ein bisschen"), aber IBM sah das anders und stellte den Pentium-Vertrieb ein. Das eigentlich Perfide aber war, dass Intel schon länger von dem Bug wusste, ohne es öffentlich mitzuteilen.

Grove zeigte sich geknickt, entschuldigte sich bei der Weltöffentlichkeit, gelobte Besserung und lebenslanges Umtauschrecht und seitdem gibt es die öffentlichen Fehler-Reports "specification updates". Ältere heise-online- oder c't-Leser wissen vielleicht, dass ich als einer von ganz wenigen von diesem lebenslangen Umtauschrecht mehrfach Gebrauch gemacht habe, aber nach dem Tod von Andrew Grove im Jahre 2016 diesen Spaß einstellte (zwei falsch rechnende Pentiums hat c't noch im Museum).

Während der Pentium noch ein paar Jahre weiterentwickelt wurde, stand seine Ablösung zumindest für den Serverbereich schon 1995 bereit, und zwar mit der komplett neuen Prozessor-Mikroarchitektur P6 und dem damit ausgestatteten Pentium Pro. Unter der Projektleitung von Bob Colwell – die er in seinem Buch "The Pentium Cronicles" spannend und humorvoll beschrieben hat, entstand ein moderner Out-Of-Order-Prozessor mit spekulativer Exekution – die 23 Jahre später mit gewissen grundsätzlichen und zum Teil noch ungelösten Sicherheitsproblemen namens Spectre viel Aufmerksamkeit erregt hat. In Gestalt des Pentium II kam die Architektur einige Zeit später als großes, unhandliches Slot-Modul in die Desktop-PCs.

Doch hier war Konkurrent AMD inzwischen mit dem Athlon sehr erfolgreich. Der Konkurrenzkampf wurde erbittert ausgeführt und der Prozessortakt stieg immer höher. Später verstieg sich Intel sogar zu unfairen Wettbewerbsmethoden gegenüber AMD. Die EU verhängte jedenfalls im Jahre 2009 über eine Milliarde Euro Strafe, doch darüber wird auch heute noch gestritten. Mit AMD hat sich Intel aber inzwischen geeinigt und ein weitreichendes Patentaustausch-Abkommen geschlossen – allerdings nur für Patente bis November 2014.

1999 folgte der Pentium III, der vor allem mit seiner individuellen Seriennummer Aufsehen bei allen Datenschützern der Welt erregte. Die sollte per BIOS-Setup abschaltbar sein, doch dann kam ich ins Spiel, indem ich zeigte, dass man sie per ACPI auf den damaligen Boards austricksen und wieder einschalten konnte. "Das musste ja kommen", kommentierte Pat Gelsinger auf dem IDF 1999 gegenüber unserer US-Korresponentin Dr. Sabine Cianciollo.

Die Takterhöhungen beim Pentium III gipfelten dann im Jahre 2000 in der 1,13-GHz-Version. Eine Handvoll Testexemplare wurden weltweit an ausgesuchte Tester verschickt, an c't, Anandtech, an Kyle Benneth von HardOCP und an Thomas Pabst von Tom's Hardware. Die Versionen für c't und Anandtech war offenbar gut vorab gecheckt, denn sie liefen weitgehend problemlos. Die von Thomas und Kyle indes stürzten laufend bei Sysmark 2000 und der Linux-Kompilation ab. Beide mokierten sich in ihren Artikeln darüber kräftig, Intel reagierte und schloss die Kritikaster von Informationen über die nächste Prozessorgeneration Pentium 4 aus – um sich ein paar Wochen später dafür zu entschuldigen und die Probleme zuzugeben.

Intel stoppte die Produktion und schickte den Chef der Mikroprozessorabteilung Albert Yu, der 30 Jahre zuvor ebenfalls von Fairchild zu Intel gekommen war, in die Wüste. Das war dann schon der Job von CEO Craig Barrett, denn Andrew Grove hatte aus Gesundheitsgründen den CEO-Posten im Mai 1998 abgegeben. Ein paar Jahre zuvor war bei ihm Prostata-Krebs diagnostiziert worden, unheilbar hieß es – doch Grove wollte es nicht glauben, investierte einen großen Teil seines Vermögens in die Krebsforschung und hatte Erfolg. Mit den neuen Erkenntnissen und Heilmethoden konnte sein Krebs besiegt werden, Grove überlebte ihn jedenfalls um über 20 Jahre.

Der Taktwettkampf bei den Desktop-Prozessoren hatte bei Intel aber noch andere katastrophale Folgen, er läutete nämlich bereits das Ende der 64-Bit-Architektur Itanium ein, bevor diese überhaupt in Gang gekommen war – denn diese konnte performancemäßig überhaupt nicht mithalten. Aber wegen eines milliardenschweren Vertrages mit Hewlett Packard wurde Itanium aus politischen Gründen bis hin zum vorigen Jahr am Leben erhalten. P6-Schöpfer Colwell versuchte vergeblich, Craig Barrett vom Unsinn des Itaniums zu überzeugen – vergeblich. "Er hörte überhaupt nicht zu", erzählte Colwell später. Colwell und viele weitere Intel-Urgesteine kamen mit dem "Kulturschock" Barrett nicht klar und verließen daher Intel kurz nach dessen Amtsantritt als CEO.