Abgasbetrug: Umwelthilfe erwartet bald ein Grundsatzurteil zu Thermofenstern

Sind amtliche Stilllegungen oder Hardware-Nachrüstung vom Abgasbetrug betroffener Fahrzeuge möglich? Das will die DUH in einem Grundsatzurteil geklärt wissen.

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Abgasanlage VW Sharan 2.0 TDI

Abgasanlage des VW Sharan 2.0 TDI

(Bild: Volkswagen)

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Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) geht nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig zu einem VW-Modell mit Dieselmotor von einer baldigen Grundsatzentscheidung über die umstrittenen Abschalteinrichtungen aus, die nur in bestimmten Temperaturbereichen (sog. "Fenstern") arbeiten. "Wenn sich das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) das ansieht, sollte es eigentlich eine schnelle Entscheidung wollen – diese sollte dann innerhalb eines Jahres vorliegen", sagte der DUH-Anwalt und Verwaltungsrechtler Remo Klinger gestern in Berlin.

Für die Gegenseite wäre eine direkte Revision beim Bundesverwaltungsgericht möglich. Man glaube, dass die Einschätzungen der Richter in Schleswig-Holstein jedoch selbst im Fall eines normalen Instanzengangs über das dortige Oberverwaltungsgericht auch auf andere Autohersteller neben Volkswagen übertragbar sein müssten.

Ob der Rechtsstreit Folgen für Dieselbesitzer haben könnte, wird sich zeigen. Mit ihrer Klage gegen das KBA hatte die Umweltorganisation am Montag im Kern einen Erfolg erzielt. Das Schleswiger Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Das KBA teilte zunächst nichts weiter mit.

Es geht um den Vorwurf, die Flensburger Behörde habe unzulässige Funktionen erlaubt, mit welchen die tatsächliche Abgasreinigung erheblich verringert oder gar ausgesetzt wurde. Wie die DUH annimmt, in betrügerischer Absicht der Autobauer, sodass die Programme hätten entfernt werden müssen. Sogenannte Thermofenster waren auch nach dem Bekanntwerden des Abgasbetrugs durch Volkswagen 2015 ein zentraler Streitpunkt zwischen der Autolobby und Umweltverbänden.

Im konkreten Fall hatte der Richter das Thermofenster im genehmigten Umfang als nicht zulässig bewertet. Solche Steuerungen sind bisher nur in engen Grenzen legal, es liegen inzwischen auch Aussagen des Europäischen Gerichtshofes vor. Die Software soll etwa bei niedrigen Temperaturen die Reinigung der Abgase herunterregeln, um Motorbauteile zu schonen. Viele Umweltschützer sehen das als vorgeschobenen Grund, Ausnahmen von Emissionsgrenzwerten zu rechtfertigen.

Lediglich in einem durch von der Motorsteuerung durch einprogrammierte Temperaturgrenzen vorgegebenen "Fenster" werden giftige Stickoxide dann – soweit innerhalb der Systemgrenzen möglich – abgebaut. Eine wirksame Abgasentgiftung lässt andererseits den CO₂-Ausstoß (also den Verbrauch) ansteigen, was die Hersteller wegen der strengen Flottenverbrauchsvorschriften gern vermeiden.

Volkswagen war im Prozess beigeladen. Ein Verzicht auf Thermofenster hätte Sicherheitsrisiken gebracht, so das Argument des Autoherstellers, deren Juristen das Urteil erst genau prüfen wollen: "Diese Bewertung hat auch das KBA als Marktüberwachungs- und Genehmigungsbehörde stets geteilt und bestätigt." Für die Kunden betonte die VW AG einstweilen, bis zur abschließenden Klärung des Themas drohten "weder behördliche Stilllegungen von Fahrzeugen noch Hardware-Nachrüstungen". Näheres zu den Darstellungen der DUH sagte das Unternehmen in der Sache nicht: "Unsere Stellungnahme vom Montag hat unverändert Bestand."

Bestätigen auch höhere Gerichte das Urteil, was die DUH hofft, dürften andere Konzerne mit ähnlichen Entscheidungen rechnen müssen. "Ich denke ja, und sogar erst recht", meinte Klinger dazu. Denn die im besagten "Musterfahrzeug" – einem VW Golf – monierte Software sei schon relativ alt, und etliche der weiteren Klagen bezögen sich auf modernere Autos. Er gehe "schwer davon aus, dass ein KBA die Grundsätze auf alle anderen überträgt". So seien neben zusätzlichen Verfahren mit insgesamt gut 70 VW-Modellen, die im Laufe des Sommers wohl entschieden werden könnten, noch solche mit knapp 50 anderen Fahrzeugen geplant – zum Beispiel von Mercedes, BMW, Peugeot, Volvo oder Fiat. Einzelne Fälle würden dabei womöglich zusammengelegt.

DUH-Bundeschef Jürgen Resch sagte, er habe kürzlich Kontakt zu Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) aufgenommen, um Einzelgespräche über das kritische Thema zu führen. Bisher gebe es keine Antwort. "Für die betrogenen Kunden und die Luft hat sich bisher kein Verkehrsminister und keine Umweltministerin eingesetzt", kritisierte Resch. "Dieses Urteil würde viele Gründe geben, darüber nachzudenken, ob wir weiter immer nur vor Gericht mit den Vertretern des KBA und des Verkehrsministeriums zu tun haben sollten." Die DUH schätze, dass Autos mit unzulässigen Abschalteinrichtungen am Ende entweder mit wirksameren Systemen nachgerüstet oder stillgelegt werden müssen.

(fpi)