Andreas Eschbach: "Ich will mit meinen Lesern staunen"

Seite 5: "Orwell hat sich vertan"

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Mac & i: Wie lang brauchst Du üblicherweise für einen Roman?

Eschbach: Das kann man leicht ausrechnen, indem man die Anzahl meiner Romane durch die Jahre seit der ersten Veröffentlichung teilt. Da kommt dann etwas unter einem Jahr pro Roman heraus. Aber natürlich hängt es auch stark vom Umfang ab, ein 800-Seiten-Buch braucht länger als eins mit 300 Seiten.

Mac & i: Wie kann man sich das vorstellen? Schließt Du Dich zum Schreiben ein und meidest Kontakt zur Außenwelt, bis die Geschichte steht?

Eschbach: Um Himmels Willen, nein. Da käme ich ja nie raus an die frische Luft! Nein, ich mache es so, wie ich es in dem Workshop auch schildere: Ich habe mein aktuelles Wochenziel und schreibe darauf zu, und parallel dazu geht das ganz normale Leben weiter mit Essen, Schlafen, Leute treffen, ins Kino gehen, spazieren und so weiter.

Mac & i: Sitzt Du dann exklusiv an dieser einen Geschichte oder bereitest Du parallel andere vor?

Eschbach: Ich schreibe immer nur eine Geschichte zur selben Zeit, aber wenn es mal hakt, schaffe ich es bisweilen, nicht zu twittern oder zu surfen, sondern mein Notizbuch vorzuholen und über Ideenkeime nachzudenken, oder erste Fassungen von Exposés zu skizzieren, oder Ideen zu diesem oder jenem möglichen Roman aufzuschreiben, und so entsteht schon Material für nächste Projekte.

Ein Ausschnitt aus Eschbachs penibler Handlungsplanung des Romans "NSA" im Mac-Programm AOEN Timeline.

Mac & i: Science-Fiction-Autoren warnen immer wieder vor aktuellen Entwicklungen der Technik, so wie Du ja auch in Deiner allerersten Geschichte. Welche Entwicklung bereitet Dir zur Zeit am meisten Sorgen?

Eschbach: Die Kombination einer Technik, die eine immer perfektere Überwachung ermöglicht, mit immer stärker werdenden populistischen beziehungsweise totalitären Tendenzen. Ich fürchte, Orwell hat sich mit seinem "1984" um hundert Jahre vertan.

Mac & i: Du beschäftigst Dich ja in vielen Deiner Romane mit den Auswirkungen technischer Errungenschaften. Oft klingt die Grundidee durch, dass zu einer Erfindung immer auch ein moralischer Kompass gehört und dass Dinge ohne einen solchen schnell aus dem Ruder laufen. Wo vermisst Du in unserer Gesellschaft einen solchen Kompass?

Eschbach: In letzter Zeit vermisse ich ehrlich gesagt eher einen mathematischen Kompass. Die Kunst, Sachen überschlägig auf Machbarkeit zu berechnen, scheint völlig in Vergessenheit geraten zu sein. Es werden laufend die dollsten Projekte propagiert, aber nie rechnet mal jemand vor, wie sich die umsetzen lassen. Und dann scheitern sie, nachdem sie zehnmal so viel gekostet haben wie veranschlagt.

Wobei Leute, die nur rechnen, natürlich auch die Pest sind. Die egal wieviel Leid in Kauf nehmen, wenn sie dadurch nur nochmal ein paar Cent verdienen. Denen fehlt in der Tat der moralische Kompass.