Berliner Verkehrspolitik zwischen Verteidigung und Entsetzen

Der Verkehrspolitik in der Hauptstadt bleibt ein heißes Eisen. Die neue Regierung unternimmt den Versuch einer Beruhigung, und erntet Sturm.

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Popup Radweg in Berlin Bildquelle ADFC

Die neue Regierung hat eine andere Ausrichtung der Verkehrspolitik in der Hauptstadt angekündigt. Protest von Verbänden wie dem ADFC und anderen Parteien dürfte sie kaum überraschen.

(Bild: ADFC)

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Im Februar wurde die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus wiederholt, nachdem es knapp anderthalb Jahre zuvor bei der Abstimmung eine Serie von Pannen gegeben hatte. Damit änderten sich die Mehrheitsverhältnisse in der Hauptstadt. Für die in den vergangenen Jahren mitunter leidenschaftlich ausgetragene Debatte um die Verkehrspolitik bedeutet die Führung der CDU einen Richtungswechsel. Unausgesprochen, aber geplant war, dieses Thema weniger emotional zu behandeln und in ein ruhigeres Fahrwasser zu führen. Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) hat angekündigt, dass alle Radverkehrsprojekte vorerst gestoppt und überprüft werden sollen – und damit einen Sturm der Entrüstung losgetreten.

Die vorläufige Unterbrechung und Überprüfung betreffe vor allem jene Vorhaben, die eine erhebliche Beeinträchtigung von Wirtschafts- und Lieferverkehr zur Folge hätten, für die mehrere Autostellplätze wegfallen müssten oder die dazu führen würden, dass Fahrstreifen und Bussonderfahrstreifen wegfallen würden. In dem Schreiben an die Bezirke heißt es weiter, die Leitung der Verkehrsverwaltung habe entschieden, alle bisher von der Senatsverwaltung erteilten Finanzierungszusagen für das laufende und alle künftigen Haushaltsjahre temporär außer Kraft zu setzen. Diese Regelung gelte ab sofort für alle Maßnahmen, für die noch keine vertraglichen Verpflichtungen zur Umsetzung der eigentlichen Baumaßnahmen eingegangen wurde.

Der Protest ließ nicht lange auf sich warten. Die Grünen zeigen sich entsetzt, der Umweltschutzverband Naturfreunde Berlin warf der Senatorin vor, sie falle in die Ideologie des Kulturkampfes für den motorisierten Individualverkehr zurück. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg lässt von seinem Rechtsamt prüfen, ob die Anordnung der Senatsverkehrsverwaltung zu Einschränkungen beim Radwegebau rechtlich bindend ist. "Ich stelle infrage, ob es dafür zumindest für das aktuelle Haushaltsjahr eine Rechtsgrundlage gibt", sagte Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne). "Es gibt einen durch das Abgeordnetenhaus beschlossenen Haushalt. Und es gibt keine Haushaltssperre, die die Senatsfinanzverwaltung erlassen hätte", argumentiert Herrmann. Das stelle infrage, ob eine Senatorin einfach so vom Parlament beschlossene Mittel aus dem laufenden Haushaltsjahr außer Kraft setzen dürfe. "Das prüfen wir jetzt."

Herrmann kritisierte auch die Kommunikation der Verkehrsverwaltung. Beim Rat der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister am Donnerstag sei das ebenfalls ein Thema gewesen. "Wir haben als Bezirke unabhängig davon, wie man politisch dazu steht, deutlich gemacht, dass das keine Art des Umgangs mit uns ist. Man redet zuerst miteinander, bevor man so etwas macht", argumentierte sie ihren Protest. Viele Details seien weiterhin unklar, beispielsweise, ob es der Senatsverwaltung nur um Radwegeprojekte an Haupt- oder auch an Nebenstraße gehe. "Das ist aus unserer Sicht nicht eindeutig", kritisierte die grüne Verwaltungschefin. Die Bezirke seien aber aufgefordert worden, der Senatsverwaltung bis Ende des Monats mitzuteilen, welche Vorhaben bei ihnen betroffen seien.

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Die Grünen argumentierten, unter den geplanten Radwegeprojekte seien auch solche, bei denen eine Bundesförderung vorliege und nur ein geringer Eigenanteil durch das Land Berlin getragen werden müsse. Fördermittel in mehrstelliger Millionenhöhe drohten zu verfallen, wenn die Projekte nicht zeitnah ausgeschrieben würden. Die Verkehrsverwaltung hatte mitgeteilt, es lasse sich noch keine Größenordnung nennen, um wie viele Radwege es gehe. "Zurzeit erfolgt eine Bestandsaufnahme mit nachfolgender Überprüfung der Radwegeprojekte." Linke und Grüne im Berliner Abgeordnetenhaus hatten bereits am Mittwoch einen gemeinsamen Antrag für die Plenarsitzung des Landesparlaments am 29. Juni angekündigt. Sie wollen den Senat auffordern, den von der Verkehrssenatorin angewiesenen Stopp des Radwege-Ausbaus gegenüber den Bezirken mit sofortiger Wirkung zurückzuziehen.

Nach dieser reichlich vorgetragenen Kritik mischte sich Berlins neuer Regierungschef Kai Wegner in die Debatte ein und verteidigte das Vorgehen seiner Verkehrssenatorin. Dies sei kein Stopp, sondern eine Prüfung und Priorisierung. Das ganze Thema werde zu Unrecht aufgebauscht, sagte der CDU-Politiker dem Nachrichtenmagazin Spiegel. Er wolle eine Verkehrswende und habe dies im Wahlkampf auch immer gesagt. Wegner forderte mit Blick auf den begrenzten Straßenraum, jeder müsse seinen Platz haben. "Wenn ich mir die Entwicklung der Mobilität anschaue, muss ich natürlich zur Kenntnis nehmen, dass deutlich mehr Menschen mit dem Rad fahren als noch vor 10 oder 15 Jahren", sagte er. "Das heißt, auch Fahrradfahrer brauchen mehr Raum in der Stadt. Das ist unstrittig. Und ja, dafür muss man auch mal eine Autospur wegnehmen. Aber es muss sinnhaft sein."

Er wolle zurück zu mehr Realismus und Pragmatismus, sagte Wegner. Im Koalitionsvertrag stehe, dass man deutlich mehr Radwege bauen wolle als die vorherige Landesregierung. Was er nicht wolle, seien Radwege, mit denen man Autos mutwillig ausbremse. "Wir prüfen die Radwege, die die Vorgängerregierung geplant hat, und werden die sinnvollen priorisieren", sagte er. Er wolle erreichen, dass in dreieinhalb Jahren Radfahren in Berlin sicherer geworden sei. "Gerade in Kreuzungsbereichen. Da passieren die meisten tödlichen Unfälle. Es ist bekannt, an welchen Kreuzungen. Natürlich muss ich dafür mal zwei, drei, vielleicht sogar fünf Parkplätze wegnehmen."

Mit einer Beruhigung der Lage ist vorerst vermutlich nicht zu rechnen. Denn die Hauptstadt ist, was die Wählerschaft betrifft, gespalten. In den Innenstadtbezirken dominierten bei der Wahl im Februar die Grünen, in den Außenbezirken die CDU. Im Gesamtergebnis lag die Union mit 28,2 Prozent knapp 10 Prozent vor SPD und Grünen. Wegner hatte betont, auch in der Verkehrspolitik einen Wandel herbeiführen zu wollen. "Die Fehler grüner Verkehrspolitik sind ein entscheidendes Thema, warum ich hier heute sitze. Die große Mehrheit der Berlinerinnen und Berlinern war es leid, dass eine Verkehrspolitik einseitig gegen das Auto gemacht wird. Dafür stehe ich nicht zur Verfügung."

(mfz)