Geldstrafe fĂŒr Gurtmuffel: Vor 40 Jahren wurde unangeschnallt fahren teuer
Weil nach der 1976 eingefĂŒhrten Gurtpflicht die Anschnallquote bei 60 Prozent stagnierte, wurde am 1.8. 1984 eine Strafe fĂŒrs gurtlose Fahren eingefĂŒhrt.

Volvo gehörte zu den Pionieren beim Sicherheitsgurt und bot ihn bereits Ende der 50er als Serienausstattung an. Das Bild zeigt einen Dreipunktgurt in einem Volvo Experimental Safety Car von 1972.
(Bild: Volvo)
Es ist eine Kulturfrage: Wie vorsorglich darf sich der Staat ins Leben seiner BĂŒrger einbringen? Die Frage stellt sich auch und gerade bei jedem System neu, das das Autofahren sicherer machen soll, wie gerade das Geschwindigkeits-Assistenzsystem. Heute ist so etwas fĂŒr die ganze EuropĂ€ische Union verpflichtend. Vor 40 Jahren war es noch national geregelt: Damals sah sich die Bundesregierung zum Handeln verpflichtet und verfĂŒgte am ersten August 1984 eine Geldstrafe fĂŒrs Nichtanlegen des Gurts.
(Bild:Â BMW)
Heute weisen wie selbstverstÀndlich die Autos darauf hin, wenn jemand unangeschnallt fÀhrt. Die Pflicht zum Einbau dieser Erinnerungsfunktion wurde EU-weit 2014 zur Pflicht, Proteste hörte man keine. Vor ein paar Jahrzehnten allerdings war allein das Gurtanlegen emotional mindestens umstritten wie heute die staatliche Förderung von WÀrmepumpen.
"Privatbereich Auto"
Die staatliche Einmischung in den Privatbereich "Auto" war damals neu und viele versuchten sich dagegen zu verteidigen. Das brachte den Gesetzgeber zunĂ€chst zu dem Kompromiss, die Anschnallpflicht 1976 zwar einzufĂŒhren, ihre Missachtung aber nicht zu ahnden. Und dann gab es natĂŒrlich Ăngste â etwa, sich nicht aus einem brennenden Fahrzeug befreien zu können. AnlĂ€sslich der fĂŒrs folgende Jahr beschlossenen Gurtpflicht griff 1975 schon der Spiegel die GefĂŒhlsgemengelage auf. Sein (nicht ganz orthografiefester) Titel: "Gefesselt an's Auto. Anschnallpflicht ab Januar". Die Geschichte beginnt mit den SĂ€tzen:
"So was hatten die Befrager noch nicht erlebt. Ihre GesprĂ€chspartner âreagierten allergischâ, âgriffen die Interviewer anâ. Sie verweigerten jede Antwort, weil ihnen âdie Fragen zu blödâ seien, offenbarten, alles in allem, âeine FĂŒlle von Störungenâ in ihrem GemĂŒtsleben. Es war, so resĂŒmierten die Berichterstatter des Kölner âDelBergâ-Instituts, âmit einem Stich ins Wespennest zu vergleichenâ: eine Umfrage unter BundesbĂŒrgern, ob sie sich in ihren Autos festgurten oder nicht."
Dreipunktgurt seit 1959
WiderstĂ€ndler beschlossen, bis 1978 noch gurtfrei gebaute Autos (dank einer der Autoindustrie groĂzĂŒgig eingerĂ€umten Ăbergangsfrist von zwei Jahren) einfach weiterzufahren, ganz Ă€hnlich der heute noch eine Ălheizung kaufenden WĂ€rmepumpen-Skeptiker. Da gab es allerdings bereits seit 17 Jahren den Volvo PV 544, populĂ€r unter dem Spitznamen "Buckel-Volvo", mit serienmĂ€Ăigen Dreipunktgurten. Er hatte bereits damals Volvos Ruf als "sichere" Marke zu festigen geholfen.
Berechtigter aktueller Aufreger
Tempolimit-Warner wird Pflicht: Der Murks-Melder
Eine HaltungsĂ€nderung erhoffte man sich von Kampagnen wie "Sicherer als GlĂŒck: Klick â Erst Gurten, dann starten" (1974/75) oder "Könner tragen Gurt", Unfallbeispiele in der gern gesehenen Serie "Der 7. Sinn" oder die Fernsehsendung "Mit Gurt und ohne Fahne" mit Star-Showmaster Frank Elstner. Die SĂŒddeutsche Zeitung argumentierte "die EinschrĂ€nkung der persönlichen Freiheit durch Anschnallen" sei dem Kraftfahrer zuzumuten, "weil er die Allgemeinheit der Mitglieder in Kranken- und Unfallversicherung an den Kosten fĂŒr Operationen und Krankenpflege beteiligt". Die Zeit hingegen befĂŒrchtete damals eine weitere GĂ€ngelung des BĂŒrgers im Widerspruch zur freiheitlich verfassten Grundordnung.
Von 60 auf 90 in einem Jahr
Diese Diskussionen erklĂ€rten zum Teil die ĂŒber lange Zeit stagnierenden Anschnallquoten, die zu einem BuĂgeld von zunĂ€chst 40 Mark fĂŒhrten. TatsĂ€chlich stieg sie binnen Jahresfrist von 60 auf ĂŒber 90 Prozent, innerorts gar von 47 auf 91 Prozent. Die Zahl der Todesopfer bei VerkehrsunfĂ€llen nahm zwischen 1984/85 von mehr als 10.000 auf 8400 ab. In der DDR wurde der Sicherheitsgurt bereits 1980 Pflicht und die Volkspolizei ahndete das Nichtanlegen vom ersten Tag an. Beworben wurde sie zusĂ€tzlich, Ăltere erinnern sich möglicherweise an die Schilder mit "Anschnallen, Leben retten". Der Autoverkehr in der DDR war allerdings gering im Vergleich mit dem in Westdeutschland, die Motorradquote deutlich höher und damit die Unfallzahlen kaum vergleichbar.
So waren 1970 in BRD und DDR zusammen rund 23.000 Verkehrstote zu beklagen. 2023 waren es in Deutschland dem Statistischen Bundesamt zufolge weniger als 3000. Die Anschnallquote lag 2023 bei mehr als 98 Prozent. Der Gurt ist bis heute der wichtigste Bestandteil der passiven Sicherheit, die Gurtpflicht ist in den Köpfen angekommen und mittlerweile offenbar fest verankert. Hinterfragt oder gar attackiert wird sie jedenfalls schon lange nicht mehr.
(fpi)