Flottengrenzwert: Autohersteller kommen um mehr E-Autos nicht mehr herum
Der ICCT stellt fest, dass der tatsächliche CO₂-Wert elf Prozent über dem Jahresgrenzwert liegt. Doch nicht jeder Hersteller ist gleichermaßen betroffen.

BMW unterbietet den COâ‚‚-Grenzwert bereits. Die Marke verkauft vergleichsweise viele Elektroautos.
(Bild: Pillau)
- Christoph M. Schwarzer
Die CO₂-Flottenemissionen der Monate Januar und Februar liegen im Durchschnitt rund elf Prozent über dem gesetzlich erlaubten Grenzwert. Das ist das Ergebnis einer Analyse des International Council on Clean Transportation (ICCT). Die bisher im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) neu zugelassenen Pkw haben einen mittleren CO₂-Wert von 103 Gramm pro Kilometer. Eigentlich dürfen es im Gesamtverlauf des Jahres 2025 aber nur 93 g CO₂/km werden – die eigentliche Einschränkung bedeutet hier, dass die Europäische Kommission eine Aufweichung des Mechanismus angekündigt hat. Beim genauen Blick auf die Auswertung des ICCT fällt außerdem auf, dass die Autoindustrie auf keinem einheitlichen Weg ist. Einige Hersteller werden die CO₂-Vorgaben klar unterbieten. Andere müssen sich ziemlich anstrengen.
So funktioniert der COâ‚‚-Flottenmechanismus
Jedem im EWR – den 27 EU-Staaten, Island, Liechtenstein und Norwegen – neu zugelassenen Pkw ist ein CO₂-Wert zugeordnet. Dieser Wert wird auf dem Prüfstand im Verfahren WLTP (für Worldwide harmonized Light vehicle Test Procedure) gemessen und dem jeweiligen Fahrzeugtyp zugeordnet. Plug-in-Hybride haben niedrige CO₂-Werte, weil der Zyklus einmal mit voller und einmal mit leerer Traktionsbatterie durchfahren und anschließend auf Basis der elektrischen Reichweite gewichtet wird. Elektroautos haben keine direkten CO₂-Emissionen und gehen mit Null in die Bilanz ein.
Jeder Hersteller hat einen individuellen CO₂-Grenzwert, in den das durchschnittliche Leergewicht seiner Flotte einfließt – und zwar der tatsächlich im EWR erstmals zugelassenen Autos des Herstellers. Seit 2025 wird der Gewichtsbezug anders berechnet. Das führt dazu, dass Marken mit schweren Fahrzeugen besonders strenge Vorgaben haben und umgekehrt. Volvo etwa hat 90 g CO₂/km als Grenzwert. Bei Fiat mit einer leichteren Flotte sind es 99 g CO₂/km. Einen Gewichtsbezug hat es auch in der Abrechnungsperiode 2021 bis 2024 gegeben. Die Berechnungsformel ist gleich, nur gibt es wegen der vielen Elektroautos, die viel wiegen und lokal kein CO₂ emittieren, ab 2025 ein neues Ergebnis: Hersteller mit schweren Fahrzeugen werden belastet – das war vorher umgekehrt.
(Bild: VW)
Für jedes Gramm Überschreitung des individuellen Grenzwertes und pro verkauftem Auto müssen theoretisch 95 Euro Strafzahlung an die EU überwiesen werden – unabhängig davon, ob das jeweilige Auto den Grenzwert eingehalten hat oder nicht. Gerade für Massenhersteller kann also schon eine geringe Überschreitung der Vorgaben extrem teuer werden. Der Volkswagen-Konzern zum Beispiel mit über 1,2 Millionen in Europa ausgelieferter Neuwagen müsste pro Gramm Abweichung demnach über 100 Millionen Euro aufbringen. Praktisch hat bisher niemand einen Cent bezahlt.
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Averaging und Pooling
Auch 2025 ist es unwahrscheinlich, dass ein Hersteller Strafzahlungen leisten muss. Ein Grund dafür ist die Flexibilisierung – auch häufig mit dem englischen Begriff "Averaging" bezeichnet –, die von der Europäischen Kommission avisiert wird. Nach der bisherigen Regelung ist der CO₂-Flottengrenzwert für die Jahre 2025 bis 2029 konstant und muss in jedem Jahr eingehalten werden. Das noch nicht beschlossene Averaging sieht vor, dass von 2025 bis 2027 lediglich die Gesamtbilanz stimmen muss. Ein Negativergebnis im laufenden Jahr kann 2026 und 2027 kompensiert werden.
(Bild: ICCT)
Wer will an Tesla zahlen?
Zusätzlich, und dieser Ausweg war von Beginn an vorgesehen, können sich Hersteller in Pools gemeinsam bilanzieren. Diese Pools müssen vorab angemeldet werden; die Anmeldung des Poolings heißt aber nicht, dass es auch durchgeführt wird. Tesla hat einen Pool mit dem Multimarkenkonzern Stellantis (Opel, Citroën, Fiat etc.), Toyota und anderen angemeldet. Sollten Stellantis oder Toyota diese Option tatsächlich nutzen, müssten sie Geld dafür an Tesla zahlen. Wie viel das ist, ist Sache der Vertragspartner. Anders als vielfach angenommen ist das in Europa noch nicht passiert. Einnahmen von Tesla aus dem CO₂-Handel stammen vorwiegend aus den USA. Einen weiteren Pool hat Mercedes mit Geely sowie deren Marken Volvo und Polestar angemeldet. Geely ist mit circa zehn Prozent größter Teilhaber von Mercedes.
In der Abwägung
Die Hersteller haben im Wesentlichen drei Wege, die CO₂-Vorgaben einzuhalten: erstens aus eigener Kraft durch immer CO₂-ärmere Pkw mit Verbrennungsmotor sowie einen stetig steigenden Anteil an Elektroautos. Hier kann es passieren, dass Elektroautos eine geringere Marge haben, also ein indirekter Nachteil entsteht. Das wiederum ist angesichts radikal verfallender Batteriekosten nicht zwangsläufig so.
Zweitens können die Hersteller das Pooling oder Averaging nutzen. Beim Pooling muss intern Geld untereinander gezahlt werden, siehe oben; beim Averaging muss der Hochlauf der Elektroautos mittelfristig umso steiler werden. Drittens können die Hersteller die Strafen einfach zahlen. Das ist wegen der Rufschädigung eine unattraktive Option, und teuer wäre es auch. Die Abwägung für die Autoindustrie ist, zu prüfen, welcher Weg am preisgünstigsten ist.
BMW top, Volkswagen muss liefern
In der Analyse des ICCT fällt zuerst auf, dass BMW mit 92 statt erlaubten 93 g CO₂/km bereits im Zielkorridor ist. Offensichtlich ist es dem Konzern gelungen, die eigenen Kunden von Elektroautos zu überzeugen. Das Portfolio reicht vom beliebten iX1 über den Dienstwagen i5 Touring bis zur Limousine i4. Dazu kommen die elektrischen Minis vom Cooper bis zum Countryman. Der interne Anteil von Elektroautos liegt bei 25 Prozent; dazu kommen noch 15 Prozent Plug-in-Hybride.
(Bild: ICCT)
Bei Volkswagen ist das Bild anders. Die Sonderleasingaktion beim ID.3 oder der attraktiv eingepreiste Skoda Elroq machen sich noch nicht voll bemerkbar, weil die Bestellungen erst noch als Zulassungen auf die Straße rollen müssen. Im Ergebnis verfehlt der Volkswagen-Konzern das Ziel von 92 g CO₂/km mit derzeit 109 g CO₂/km deutlich. Volkswagen macht allerdings immer wieder klar, dass der Verkauf von Elektroautos in diesem Jahr intensiviert wird. Übersetzt: Potenzielle Käufer können sich auf weitere Aktionen wie beim ID.3 freuen. Ähnlich sieht es bei Hyundai und Renault aus. Beide Marken sind mit neuen Elektroautos in der Offensive. Die Neuzulassungen schleppen zum Beispiel beim Hyundai Inster oder dem Renault 5 etwas nach.
Betrachtet man das potenzielle Pooling von Tesla mit Stellantis und Toyota, fällt auf, dass der Gesamtwert von 103 g CO₂/km vom Zielwert 95 g CO₂/km ein gutes Stück entfernt ist. So funktioniert das nicht. Die detaillierte Betrachtung der Marken zeigt mehrere Probleme, die darauf schließen lassen, dass die Option des Poolings nicht gezogen wird. Toyota ist für sich genommen mit 98 g CO₂/km nur noch drei Gramm vom Hersteller-individuellen Limit von 95 g CO₂/km weg. Toyota wird ab Sommer das Elektroauto Urban Cruiser im Volumensegment anbieten und überarbeitet das SUV bZ4X so stark, dass es interessant wird. Warum sollten die Japaner noch mit Tesla poolen?
(Bild: Toyota)
Stellantis als Kandidat fĂĽrs Averaging?
Dass die Bilanz des potenziellen Pools mit Tesla so schwach ausfällt, hat natürlich auch mit Tesla selbst zu tun: Die Zulassungszahlen im Januar und Februar waren schwach. Das könnte sich mit der Auslieferung des überarbeiteten Model Y mutmaßlich ändern. Brüsseler Kreise berichten, dass Stellantis zwar einen Pool mit Tesla gebildet hat, jedoch nur ungern davon Gebrauch machen möchte. Es ist leicht vorstellbar, dass Stellantis stattdessen das Averaging nutzt, also ein Verfehlen der 2025er-Vorgaben durch eine Übererfüllung 2026 und 2027 ausgleichen will.
Der Start ins neue Jahr ist, bezogen auf die CO₂-Bilanz, insgesamt reichlich zäh. Zwar ist der Anteil der Elektroautos auf 16 Prozent gestiegen, das reicht aber nicht aus. Wer sich für ein Elektroauto interessiert, kann pokern: Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Angebot im Jahresverlauf zunimmt und es viele Nachlässe gibt. Für die meisten Hersteller ist das keineswegs ruinös, sondern der lukrativste Weg. Pooling oder Strafzahlungen wären nicht nur dem Image abträglich, sondern schlicht auch teurer als ein Hochlauf der E-Mobilität.
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(mfz)