Interview: Der Wahnsinn einer Megacity

Seite 2: Gated communities

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Die Reichen sind auch Besetzer?

Cazalis: Ich beschreibe das am Beispiel Alphaville, ein riesiger Komplex von Gated communities, der auf öffentlichem Land gebaut ist. Jeder Brasilianer hat theoretisch das Recht, dort herumzulaufen – bloß, dass die Security einen dort nicht hereinlässt.

Sie haben in vielen Megacities fotografiert – schotten sich die Wohlhabenden nicht überall vom Rest der Stadt ab?

Cazalis: Das stimmt. Die Megacity ist ein großartiges kreatives Phänomen, aber eben auch ein Wahnsinn, vor dem sich die Reichen schützen. Andererseits lebt ein Stadtteil wie Alphaville auch von den umliegenden Slums. Jeden Tag kommen 35.000 Leute aus den Favelas, um dort zu putzen, auf die Kinder und Haustiere aufzupassen, in den Gärten zu arbeiten und so weiter. Und nach der Arbeit gehen sie wieder.

Sie haben auch in einer Favela der bitterarmen "Zona Leste" von São Paulo fotografiert. Wie sind sie dort mit den Leuten in Kontakt gekommen?

Cazalis: Ein Ex-Gangmitglied hat mich einen Tag lang herumgeführt und allen vorgestellt. Dann hat er gesagt: "Jetzt musst du alleine klarkommen." Ich hab versucht, so viel Zeit wie möglich dort zu verbringen – manchmal zwei Wochen am Stück. Geschlafen habe ich auf einer Matratze in der Bibliothek oder auf irgendeinem Sofa.

Ist es nicht schwer, in der Beobachterposition zu verharren, wenn man dort lebt? Sie haben dort ja sicher Freundschaften geschlossen, will man denen dann nicht auch helfen?

Cazalis: Ja, man berät sie, gibt ihnen vielleicht auch ein bisschen Geld. Ich habe zum Beispiel mit einem anderen Fotograf ein Kind unterstützt, dass sehr schlau und aktiv war. Wir haben jemanden engagiert, der sie zur Schule bringt. Leider konnte die Frau das irgendwann nicht mehr machen und das Mädchen musste mit der Schule aufhören. Man kann Leute ohnehin nicht retten. Man kann sie erziehen – aber jeder muss seinen eigenen Weg finden. Selbst wenn ich jemandem aus der Armut helfe, mache ich aus ihm keinen besseren Menschen – höchstens einen Menschen, dem es ökonomisch besser geht.