E-Mobilität: Netzbetreiber wollen Laden stundenlang unterbrechen können

Auch das Wirtschaftsministerium steht hinter dem Modell der "Spitzenglättung", wonach der Stromverbrauch für bis zwei Stunden begrenzt werden könnte.

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(Bild: pan demin/Shutterstock.com)

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Prinzipiell herrscht hierzulande auf Seiten von Stromnetzbetreibern, Verbraucherschützern, Beratern und Politik ein breiter Konsens, dass die Elektromobilität und Wärmepumpen verstärkt in den Markt kommen sollen. Wie dabei aber eine Überlastung der bis an die Kunden heranreichenden Verteilnetze in Zeiten hoher paralleler Nachfrage vermieden werden soll, ist heftig umstritten.

Stromversorger drängen hier auf die sogenannte Spitzenglättung. Sie sieht vor, dass etwa Elektroautos oder Speicheranlagen im Heim vor allem in den frühen Abendstunden weniger Strom aus dem Netz beziehen können und für einen unbeschränkten Verbrauch zumindest hohe Entgelte fällig sind. Dabei soll auch die Option bestehen, etwa das Laden eines E-Fahrzeugs um anderthalb bis zwei Stunden unterbrechen zu können.

"Es passiert einiges bei der Elektromobilität", gab Mathias Gabel vom Verteilnetzbetreiber NetzeBW am Mittwoch bei einer Online-Runde der Grünen-Bundestagsabgeordneten Ingrid Nestle zur Integration neuer flexibler Verbraucher in den Strommarkt zu bedenken. Dabei gelte es, die Komplexität "soweit wie möglich zu reduzieren". Die Branche brauche daher ein Instrument, um die Versorgung optimieren zu können. Dafür müsse die Spitzenglättung gesetzlich festgeschrieben werden, forderte Gabel. Auch eine solche Vorgabe würde sich erst zeitverzögert auswirken, sodass die Politik jetzt handeln müsse. "Wir wollen nicht zwei Stunden flächendeckend abriegeln", versicherte er. Die Netze würden ferner auch trotz so einer Option weiter ausgebaut.

Die Betreiber schauten recht weit voraus und sähen daher Handlungsbedarf, bestätigte Sebastian Winter vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Die Entwicklung könne sehr schnell gehen bei der E-Mobilität. Bei zwei stromgetriebenen Fahrzeugen in einem Straßenzug sei die Versorgung kein Problem, aber schnell könne man in einen Bereich kommen, wo "alles gleichzeitig passiert" und viele Besitzer ihre Autos laden wollten. Hier müsse Verlässlichkeit "auch für Netzbetreiber gelten".

Wolfgang Zander vom Büro für Energiewirtschaft und technische Planung (BET) sieht ebenfalls eine Herausforderung auf die Betreiber von Niederspannungsnetzen mit dem Hochlauf der E-Mobilität und Wärmepumpen zukommen. Deswegen habe die Beratungsfirma das Modell der Spitzenglättung mitentwickelt.

"Die Standardkunden lassen wir in Ruhe", versprach der Experte dazu. Bei Kunden mit einer "flexiblen Verbrauchseinrichtung" und einem Energiemanagementsystem erhalte der Netzbetreiber aber das Recht, in Engpässen den Verbrauch zu begrenzen. Das sei planbar und spare Netzkosten, brach Zander eine Lanze für den Unterbrechungsansatz. Typischerweise könnten so drei- bis viermal so viele Verbrauchseinrichtungen ins Netz integriert werden wie bisher.

Ein intelligentes Messsystem alias digitaler Stromzähler und Smart-Meter-Gateway fungiere dabei als sichere Datendrehscheibe und für Interoperabilität. Dies sei der "erste Schritt zum Aufbau eines digitalisierten Stromversorgungssystems". Da die Geräte erst programmiert und zertifiziert werden müssten, sei eine Rechtsbasis dafür jetzt nötig.

Eigentlich nur Vorteile bei der Spitzenglättung sieht auch Christoph Scholten, Leiter des Referats Digitalisierung der Energiewende beim Bundeswirtschaftsministerium (BMWi). Das Modell sei zukunftsoffen, sofort umsetzbar und schütze klassische Verbraucher vor zusätzlichen Kosten. Bei einem Pilotprojekt in Baden-Württemberg habe sich auch gezeigt, dass "die Leute nach kurzer Zeit entspannt" gewesen seien. Sie hätten gemerkt, "dass nicht jeden Tag zwei Stunden weg sind" und die "Komforteinbuße" nicht so groß sei.

Das BMWi wolle daher ein solches feindosiertes "Verkehrsleitsystem" in Paragraf 14a Energiewirtschaftsgesetz verankern und noch in diesem Jahr einen Entwurf dafür vorlegen, berichtete Scholten. Auch die Bundesnetzagentur mahne: "Wir haben nicht viel Zeit." Verteilernetze hätten bisher keine Steuerungsmöglichkeiten, erklärte sein Ministeriumskollege Adrian Loets. Das werde jetzt geändert. Das Ressort wolle den Verkehr in den Stromnetzen am Rollen halten, "indem alle etwas langsamer fahren".

Betreiber und das BMWi wollten "kontraproduktive Anreize im Stromsystem" setzen und trieben ein viel zu komplexes Instrument mit Verschiebungen im ganzen Tarifgefüge voran, hielt Christoph Maurer von der Denkfabrik Consentec dagegen. Die vorgesehenen "erheblichen Einschränkungen der Lademöglichkeiten von fast bis zu zehn Prozent der Zeit können ein Hemmnis für den Ausbau der Elektromobilität sein", warnte er. Zeitvariable Tarife wären die bessere Alternative. Dänemark und Kalifornien etwa nutzten dieses Werkzeug schon, um Verbraucherverhalten über den Strompreis zu beeinflussen.

Spitzenglättung sei eine Katastrophe, hieb Marcus Fendt vom Startup The Mobility House in die gleiche Kerbe. Das wäre ihm zufolge ähnlich, wie wenn "du zwei Stunden am Tag nicht telefonieren kannst". Es bringe daher nichts, mit einem "Kompromissparagrafen" anzufangen und die E-Mobilität "mit neuen Fragezeichen" zu belegen. Fendt plädierte für flexible Stromtarife "auf Basis einer intelligenten Infrastruktur". Das Optimieren "hinter dem Zähler" funktioniere schon gut, die Netzbetreiber müssten es nur nach vorn ziehen.

Zeitabhängige Netzentgelte sollten der Regelfall werden, betonte auch Thomas Engelke vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Sie böten viel größere Wahlmöglichkeiten, könnten regional angeboten werden und erforderten weniger Netzausbau. "Wir haben eine große Spreizung, wir brauchen nicht tägliche Abschaltungsoption", meinte er. Mit zusätzlichen Verbrauchs-, Speicher- und Steuergeräten könnten die Netze generell besser ausgelastet werden, was nicht nur zu weniger Engpässen, sondern auch zu einer Kostensenkung für die Verbraucher führen müsste.

(kbe)