"Grober Konsens" als Aufgabe für das Internet Governance Forum

Beim ersten Internet Governance Forum (IGF) der UN in Athen soll sich das neue Gremium auf Ziele und Arbeitsmethoden einigen; das Prinzip des "groben Konsens" könnte dabei helfen.

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Von
  • Monika Ermert

Am Montag beginnt das erste UN Internet Governance Forum (IGF) in Athen, das künftig jährlich über alle Arten von Regeln und Konventionen im Netz diskutieren soll. Das IGF ist Ergebnis des ersten UN-Weltgipfels der Informationsgesellschaft (WSIS) und soll sich um offen gebliebene oder neue Fragen rund ums Internet kümmern. Was sich aber das neue Gremium erlauben kann, darüber herrscht noch etwas Ratlosigkeit. Trotzdem haben sich über 1500 Vertreter von Regierungen, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Gruppen angemeldet.

"Es ist der Beginn eines Dialogs, den es in dieser Form bisher nicht gegeben hat," sagte Martin Selmayr, Sprecher der EU-Medienkommissarin Viviane Reding, gegenüber Heise Online unmittelbar vor dem Treffen. "Kein Politiker, der sich mit der Frage Internet Governance in der Zukunft beschäftigt, kann an Athen vobei," so seine Enschätzung. Es solle ein offener Dialog mit der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft sein. Entscheidungen oder gar völkerrechtlich verbindliche Vereinbarungen könne das IGF zwar nicht liefern, denn "das gehört nicht zum Format". Aus Sicht der Europäischen Kommission sollten die Anliegen der nichtstaatlichen Akteure aber in einen zweiten WSIS-Folgeprozess eingespeist werden, die so genannte "verbesserte Zusammenarbeit".

Dieser derzeit eher hinter verschlossenen Türen ablaufende Prozess zielt auf Gespräche zwischen Regierungen und zentralen Schnittstellen der Netzregulierung wie der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Das Mandat und die Anbindung der ICANN an die US-Regierung war einer der Hauptstreitpunkte des WSIS. "Es ist wichtig, dass wir in Athen beide Prozesse (IGF und verbesserte Zusammenarbeit, d. Red.) in einen breiten Rahmen stellen, sodass beide Prozesse nicht voneinander isoliert ablaufen", so Selmayr.

Das sieht Botschafter David A. Gross vom US-Außenministerium ein bisschen anders. Noch stärker als Selmayr betont er den Dialogcharakter des IGF: "Das IGF ist kein Gremium, das Entscheidungen trifft oder Empfehlungen macht. Dafür haben wir eine Menge anderer Gremien. Vielmehr geht es darum, sich auszutauschen und zu lernen." Die US-Regierung habe daher auch keine offizielle Delegation nach Athen gesandt. Vielmehr seien einige US-Ministerien neben der US-Wirtschaft und der Wissenschaft vertreten. "Das IGF ist kein weiterer Weltgipfel der Informationsgesellschaft", so Gross. Mit dieser klaren Ansage will man wohl auch deutlich machen, dass der DNS-Streit erst einmal kein Thema ist.

Die USA verfolge hier schlicht und einfach den seit Jahren eingeschlagenen Privatisierungskurs. Auch der neueste Vertrag mit ICANN basiere auf den von der US-Verwaltung vergangenen Sommer dargelegten "vier Grundsätzen". Doch genau diese waren von der EU als Abkehr von Privatisierung und Internationalisierung gewertet worden. Aus Sicht von Selmayr hat die "verbesserte Zusammenarbeit" diesen Prozess "nicht nur aufs richtige Gleis zurück gebracht, sondern sogar beschleunigt." Reding werde daher am Rande der Tagung in Athen auch mit den ICANN-Oberen Paul Twomey und Vint Cerf zusammenkommen. Das Thema Netzverwaltung und weitere Internationalisierung will man auf jeden Fall nicht komplett unter den Tisch fallen lassen.

Die von Kofi Annan zur Vorbereitung des IGF eingesetzte Expertengruppe (Multistakeholder Advisory Group, IGF MAG) war sich des Konfliktpotentials sehr wohl bewusst und hat das Thema daher nicht prominent platziert, wie Dr. Jeanette Hofmann vom Wissenschaftszentrum Berlin berichtet. Hofmann, die auch Mitglied der MAG ist, sagt: "Wenn sich das Forum nur auf Themen kapriziert, die nicht kontrovers sind, ist es das Papier nicht wert, auf das es geschrieben wurde. Allerdings kann man schon überlegen, ob man das gleich im ersten Jahr angehen muss." Erst einmal müsse das IGF, für das es ja keinerlei Vorbild gebe, an Gewicht gewinnen. Die Arbeit zwischen den jährlichen Treffen müsse organisiert werden, denn jährliche Diskussionsforen reichten nicht aus. Auch das Nebeneinander von großen, anderen UN-Konferenzen ähnlichen Veranstaltungen und den zahlreichen Workshops sei ein Experiment. Diskussionsstoff gibt es hingegen genug, auch wenn der DNS-Streit vermieden wird; Themen sind etwa der Datenschutz, die Vielsprachigkeit im Netz oder der freie Fluss von Bits und Meinungen auch über wachsende nationale Grenzen im Netz hinweg – ein Thema, dem sich Reding in ihrer Rede besonders widmen will. Amnesty International rief Blogger in aller Welt kurz vor dem IGF auf, das Treffen zum Anlass für Proteste gegen die Verhaftung von Bloggern zu nehmen.

Doch wie beim DNS-Streit gilt auch für diese Themen: Bleiben die Debatten ohne Konsequenzen, könnte das IGF schnell wieder an Bedeutung verlieren. "Wenn man nicht weiß, wo man hingeht, läuft man Gefahr, nicht anzukommen", warnt deshalb auch das Internet Governance Project (IGP). Das IGF sollte sich, wie John Mathiason schreibt, um einen groben Konsens (rough consensus) zu den kontroversen Themen bemühen, damit andere Gremien gut und schnell entscheiden können.

Siehe zum Internet Governance Forum, dem Weltgipfel der Informationsgesellschaft und zu den nach seinem Abschluss entfalteten Aktivitäten:

Zu den Ergebnissen des 1. WSIS siehe auch:

(Monika Ermert) / (ciw)