Hintergrund: Ein Jahr Messengerkrieg

Vor gut einem Jahr begann eine Auseinandersetzung um die Messenger-Dienste im Internet zwischen AOL auf der einen und Microsoft, Yahoo, Excite@home und vielen anderen Firmen auf der anderen Seite.

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Von
  • Axel Vahldiek

Vor gut einem Jahr begann die Auseinandersetzung zwischen AOL auf der einen und Microsoft, Yahoo, Excite@home und vielen anderen Firmen auf der anderen Seite: Streitpunkt sind die so genanntem Instant-Messaging-Systeme, mit denen Internet-Nutzer Text-Botschaften untereinander austauschen können.

AOL bietet schon seit längerer Zeit innerhalb seiner Zugangssoftware die Möglichkeit, über eine Buddylist zu erkennen, wann Freunde und Bekannte online sind, um dann mit ihnen zu chatten. Vor zwei Jahren gelang AOL dann die Übernahme von Mirabilis, dem Anbieter von ICQ, einer weiteren Messaging-Software. Kurz darauf stellte AOL den AOL Instant Messenger (AIM) vor, ein Pendant zum ICQ.

Mitte des letzten Jahres nutzten bereits 75 Millionen registrierte User die beiden Chat-Dienste, und der AIM lag mittlerweile auch dem AOL gehörenden Netscape-Communicator bei. Nun wollte auch Microsoft nicht länger zurückstehen und brachte Ende Juli 1999 eine eigene kostenlose Messaging-Software heraus: den MSN-Messenger (MSNM). Um möglichst viele User zum Umstieg vom AIM auf den eigenen Messenger zu bewegen, musste dieser natürlich eine gewisse Kompatibilität zum AIM aufweisen. Botschaften mussten also zwischen MSNM und AIM austauschbar sein, außerdem mussten die Buddy-Listen des AIMs auch im MSN sichtbar werden. Um das eigene Programm mit AIM kompatibel zu machen, setzte Microsoft die Methode des reverse engineering ein. Für AOL war dies eine Verletzung des Copyright und des Markenschutzes.

Ebenso problematisch für AOL war bei Microsofts Versuch, einen universellen Standard zu erzwingen, dass das Microsoft-Programm von den Benutzern verlangte, ihr AOL-Kennwort anzugeben, damit die Buddy-List auch über die Grenzen der Systeme hinweg funktionierte. AOL warf daraufhin Microsoft den Bruch jeglicher guter Sitten im Geschäftsverkehr vor: "Sie haben das gemacht, ohne uns zu fragen, ohne mit uns zu sprechen. Sie gefährden die Vertraulichkeit unserer Kunden", sagte AOL-Sprecherin Ann Brackbill. AOL habe Microsoft aufgefordert, Verhandlungen über ein "ordentliches Geschäftsabkommen aufzunehmen anstatt einen nicht legitimen und verdeckten Zugang zu unserem System zu suchen".

AOL blockte als Reaktion kurzerhand alle MSNM-User. Was dann folgte, hatte schon etwas Groteskes an sich: Microsoft brachte einen Patch heraus, um die Blockierung der MSNM-Nutzer zu umgehen, einen Tag später blockierte AOL auch die gepatchten MSNM-Versionen, woraufhin Microsoft wieder einen neuen Patch produzierte, den AOL dann wieder...

Dieses Spiel setzte sich in verschiedenen Variationen bis zum November 1999 fort. In diesem Zeitraum versuchte Microsoft immer wieder zu ereichen, dass AOL sein Messaging-Netz öffnet. Im August unternahm Microsoft gar einen für dieses Unternehmen eher ungewöhnlichen Schritt: Die Spezifikationen des eigenen Messengers wurden offen gelegt. Außerdem wurde AOL in einem Brief aufgefordert, sich an einem "offenen" Standardentwurf der Internet Engineering Task Force (IETF) zu beteiligen. Auch ICQ sollte in einen Instant-Messaging-Standard einbezogen werden. Unterzeichnet wurde der Brief außer von Microsoft unter anderem von Excite, Infoseek, Yahoo und AT&T. Im Gegenzug lud AOL Microsoft ein, an einer (von AOL angeführten) Gutachterkommission zur Entwicklung eines Standards für Instant Messaging teilzunehmen.

Im November 1999 dann gab Microsoft auf: Die neue Version 2 des MSNM war nicht mehr zum AIM kompatibel. Zwar schimpfte Microsoft weiter auf AOL und erklärte, der Rückzug geschehe aus Rücksicht auf die MSNM-Nutzer, da AOL das Blocken der MSNM-User über einen gefährlichen Fehler in der Client-Software realisiere. Doch AOL ging für eine Weile erst einmal als Sieger aus den Streitigkeiten hervor.

Auch andere Unternehmen beteiligten sich an der Auseinandersetzung. So brachte Yahoo fast gleichzeitig mit Microsoft einen eigenen Messenger heraus, der ebenfalls auf die Buddy-Listen des AIM zugreifen konnte und prompt ebenso von AOL geblockt wurde. Der Yahoo-Messenger ist heute zwar noch erhältlich, aber nicht in der Lage, mit anderen Systemen zu kommunizieren. Seit Dezember 1999 konnten sich Kunden von AltaVistas Instant-Messaging-Service nicht mit AOL-Mitgliedern im Netz treffen, weil der Client von Tribal Voice stammt, den AOL ebenfalls aus dem eigenen Messaging-Netz ausschloss. Tribal Voice wurde 1994 vom Antiviren-Guru John McAfee gegründet und hatte sich früh auf die Seite von Microsoft geschlagen. Die Firma plädiert ebenso wie Microsoft für einen offenen Messenger-Standard. Im März verschloss AOL dann auch iCast-Clients den Zugriff auf seine Buddy-Listen.

Der zweite Teil der Auseinandersetzung folgte, als AOL die Fusion mit Time Warner bekannt gab. Hier fusioniert der weltweit größte Online-Dienst und Internet-Provider mit dem führenden Medienkonzern. Dieses brachte die Kartellwächter ebenso wie die Verbraucherschützer auf den Plan: Sie befürchten, dass der neue AOL/Time-Warner-Konzern sowohl Fernseh- und Internet-Inhalte als auch den Zugriff auf die Netzinfrastruktur dominieren werde. Innerhalb kurzer Zeit mussten sich deshalb AOL-Chef Steve Case und Time-Warner-Boss Gerald Levin den Fragen des amerikanischen Senats stellen. Viele Senatoren äußerten Bedenken wegen der Größe und der Macht eines fusionierten Konzern, der den Markt klassischer und neuer Medien quasi allein gestalten könne. Manche sahen AOL und Time Warner den "Weg beschreiten, der Microsoft vor Gericht führte". Im Zuge dieses Monopol-Verdachts kam auch die Messenger-Problematik wieder auf den Tisch. Kritiker sahen auch hier ein Monopol.

Die Messenger-Anbieter iCast und Tribal Voice reichten daraufhin im April bei der Federal Communications Commission (FCC) Klage gegen den Online-Konzern ein. Darin fordern sie die Behörde dazu auf, AOL die Fusion mit Time Warner nur zu genehmigen, wenn der Online-Anbieter sein Messenger-Netzwerk (AIM) für alle Konkurrenten öffne. Einen Monat später äußerte sich die FreeIM-Organization, eine von Tribal Voice angeführte Koalition von Messaging-Clientanbietern, die zusammen mit der IETF einen verbindlichen, offenen Messenger-Standard erarbeiten will. Sie formulierte auf der Bostoner Konferenz "IM 2000" eine Anfrage an die amerikanische Federal Trade Commission (FTC), in der die Organisation darum bittet, eine eventuelle Genehmigung der AOL/Time-Warner-Fusion unter dem Aspekt des "Messenger-Monopols" nochmals zu überprüfen. Daraufhin forderte die FTC von AOL tatsächlich die Herausgabe aller relevanten Informationen zum Messenger-Netz. Unter anderem fragte Behörde AOL nach konkreten Gründen, warum sich der Konzern einem offenen Protokollstandard verweigere und ob sich das in absehbarer Zeit ändern werde.

Der Druck wurde wohl auch für AOL zu stark: Mitte Juni kündigte AOL an, das hauseigene AIM-Netz bald für fremde Messenger-Clients zu öffnen. Außerdem wolle sich das Unternehmen nun aktiv an der Entwicklung eines offenen Messenger-Protokollstandards durch die IETF beteiligen, allerdings nur vorsichtig: "Langfristig unterstützen wir die Anstrengungen der Wirtschaft, einen Messenger-Standard zu etablieren. Aber diese Kommunikationsplattform könnte, wenn sie nicht ganz vorsichtig geöffnet wird, ein zentraler Anlaufpunkt für Hacker und Spammer werden", erläuterte ein AOL-Sprecher die zögerliche Haltung.

Nun entbrannte der Krieg wieder zu voller Stärke, denn Microsoft und die anderen Gegner AOLs sahen wieder eine neue Chance. Anfang dieser Woche veröffentlichten ein Dutzend AOL-Konkurrenten – unter anderem Microsoft, Exctite@home, Qualcomm und iCast – ein Papier, in dem AOL heftig angegriffen wird. Die Konkurrenten warfen AOL vor, weiterhin mit übertriebenen Sicherheitsmaßnahmen die Rivalen zu behindern. Mit dem übertriebenen Schutz der Privatsphäre der AIM-Nutzer behindere AOL zudem die Entwicklung eines Standards. In diesem Zusammenhang wird AOL auch mangelndes Engagement vorgeworfen. AOL widersprach den Vorwürfen natürlich. Der Online-Dienst beteilige sich bei der Internet Engineering Task Force (IETF) hinreichend; so habe man hier den Vorschlag eines einheitlichen Instant-Messaging-Services gemacht, bei dem sich jeder Nutzer nur einmal einloggen müsse.

Als vorläufig letzten Schachzug gründeten die AOL-Gegner eine Koalition namens IMUnified. Die neue Koalition will im August technische Standards veröffentlichen. Damit soll endgültig erzwungen werden, dass AOL seinen AIM für alle öffnet und zukünftig die Benutzer Instant-Messages über alle Plattformen hinweg benutzen können. Die Koalition wirft AOL vor, sein Quasi-Monopol von 90 Prozent Marktanteil auszunutzen. Der AIM und ICQ haben heute zusammen mehr als 160 Millionen registrierte Nutzer.

Eine Reaktion von AOL auf diese neu formierte Koalition steht momentan noch aus. (axv)