Internetpioniere debattieren über Netzneutralität

Google-Vizepräsident Vint Cerf und "Internet-Großvater" Dave Farber stritten auf Einladung des Center for American Progress über Chancen und Risiken einer staatlichen Regelung der Netzneutralität.

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Von
  • Monika Ermert

Nutzer müssen vor möglichen Einschränkungen ihres Internetzugangs geschützt werden, aber bedarf es dazu staatlicher Regeln? Darüber stritten am gestrigen Montag zwei US-Pioniere des Internets: TCP-IP-Mitentwickler, "Internet-Vater" und jetzt Google-Vizepräsident Vint Cerf traf im Center for American Progress auf Dave Farber, von manchen als "Internet-Großvater" bezeichneter Professor für Computer Science an der Carnegie Mellon Universität.

Cerf und Farber führen damit die hitzige Debatte um die Netzneutralität fort. Dabei geht es großen US-Breitbandanbietern – und mittlerweile auch einigen europäischen Carriern wie der Deutschen Telekom – darum, für den Aufbau ihrer Hochgeschwindigkeitsnetze Inhalteanbieter für die zugesicherte oder besonders rasche Übertragung von Inhalten zur Kasse zu bitten. Sie wollen Möglichkeiten zur unterschiedlichen Behandlung des Datenverkehrs in ihren Backbones schaffen, abhängig beispielsweise von Quelle, Dienst und Bandbreitenhunger. So könnten sie etwa den Datenverkehr von besser zahlenden Kunden bevorzugt behandeln. Kritiker befürchten, dass zum Beispiel die Deutsche Telekom auf diesem Wege auch VoIP-Angebote, unliebsame Konkurrenz zum Festnetzgeschäft, an den Rand drängen könnte. Sie fordern, die Neutralität des Netzes zur Not auch regulatorisch sicherzustellen.

Cerf, der zum Thema bereits als Gutachter in einer Anhörung des US-Kongresses gesprochen hatte, entwarf US-Berichten zufolge ein Worst Case Szenario: Nach Abschluss aller anstehenden Unternehmenszusammenschlüsse würden lokale Carrier ihr Wohlverhalten ablegen und genau das tun, was ihre Kritiker befürchten, nämlich den Zugang ihrer Nutzer auf die Angebote zahlender Inhalteanbieter beschränken. Der Internetexperte zeigte sich nicht überzeugt davon, dass der Wettbewerb alleine diese aus seiner Sicht mißbräuchlichen Entwicklungen verhindern könne. Anders als in früheren Dial-up-Zeiten könne der Breitbandkunde heute häufig nur zwischen zwei Anbietern wählen – wenn überhaupt. Früher, meinte Cerf, "mussten die Leute keine Einwilligung einholen, um neue Ideen [im Internet, Anm. d. Red.] auszupropieren, das sorgte für Innovationen."

Zumindest, forderte Cerf weiter, müsste die US-Kontrollbehörde Federal Communication Commission (FCC) jegliche Ungleichbehandlung von Anwendungen und Inhalten als unlauteren Wettbewerb erkennen und Nutzern die Möglichkeit zur Beschwerde einräumen. Die Beweislast dafür, dass keine Diskriminierung vorliege, müsse dann der Breitband-Carrier tragen. Harte Fristen und die Möglichkeit, rasch mit einstweiligen Verfügungen gegen Verstöße vorzugehen sowie die Veröffentlichung aller Verfehlungen im Amtsblatt "Federal Register" sollten die Regeln durchsetzen helfen.

Für Farber birgt der staatliche Eingriff ein gewisses Risiko der Überregulierung. Seien Regeln erstmal verabschiedet, könnte der Kongress die Einführung weiterer Verordnungen "unwiderstehlich" finden – zum Schaden für die weitere Entwicklung der Netze. "Wir müssen absichern, dass wir keine Vorentscheidung darüber fällen, welcher Weg technologisch eingeschlagen wird", betonte Farber. Im übrigen sei es im Internet nie sonderlich fair zugegangen, Diensteanbieter hätten schon immer die Carrier zu umgehen versucht. Die Debatte um die Netzneutralität sei zur "Show" geworden, bei der alle Seiten ihre Ideen präsentierten und die eigentlichen Fragen in Vergessenheit gerieten. Der Fokus müsse sein, den Verbrauchern die Entscheidungsmöglichkeit zu geben und nicht Unternehmen gegen Unternehmen zu schützen.

Einig waren sich die Cerf und Farber aber nicht nur, dass Monopolstrukturen vorzubeugen seien, sondern insbesondere darin, dass die Politik noch erhöhten Informationsbedarf in Sachen Internet hat. Der gegen die Einführung eines Regelwerks argumentierende Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des US-Senats, Senator Ted Stevens (Republikaner/Alaska), hatte das Internet mit einem Netz aus "Röhren" verglichen und damit bei Kritikern und Komikern ungläubige bis heitere Reaktionen ausgelöst, so etwa bei Jon Stewart, dem Moderator der satirischen "Daily Show" oder den Machern von Alternet, die einen Remix der Stevens-Rede anfertigten. Eine weitere musikalische Bearbeitung der Stevens-Kommentare wurde nach einem Berichten in US-Medien vom MySpace.com-Portal zunächst entfernt, inzwischen aber wieder online gestellt.

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(Monika Ermert) / (vbr)