Landeshochschulnetz BelWü: Netzzugänge für Schulen im Ländle vor dem Aus

Schulen in Baden-Württemberg müssen mit ihren Netzzugängen aus dem Landeswissenschaftsnetz BelWü ausziehen. Jetzt hagelt es Protestschreiben von Betroffenen.

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(Bild: Gorodenkoff/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Zum 1. August schaltet Baden-Württembergs Landeshochschulnetz BelWü die Zugänge vieler Schulen zum Verwaltungs- und pädagogischen Netz ab. Betroffen von der Zwangsabschaltung sind tausende Grund- und weiterführenden Schulen in dem Bundesland. In einem letzten, verzweifelten Appell wenden sich aktuell viele Betroffene mit dem Vorschlag an die zuständigen Ministerien, die schulischen Dienste von einer speziellen Abteilung des Landeswissenschaftsnetzes erbringen zu lassen. Die Ministerien sprechen von schlecht informierten Serienbriefen und wollen Kurs halten auf ihre Bildungsplattform.

Artikelserie "Schule digital II"

Wie sollte die Digitalisierung in unseren Schulen umgesetzt werden? Wie beeinflusst die Coronavirus-Pandemie das Geschehen? Was wurde im Schuljahr 2020/2021 erreicht - wie ging es 2021/2022 weiter? Das möchte unsere Artikelserie beleuchten.

Für alle Schulen, die über DSL/Kabel-Verbindungen am Wissenschaftsnetz BelWü hängen, ist am 1.8.2022 Schluss mit Schule@BelWü. Die BelWü-Router, über die sie ihren Zugang zum Verwaltungsnetz und zum pädagogischen Netz realisiert haben, werden abgeschaltet. Eine Gnadenfrist gibt es für Schulen, die per Glasfaser direkt an BelWü-Router an einer lokalen Hochschule angebunden sind.

Der Schritt ist Teil des im vergangenen Jahr angekündigten Rauswurfs der Schulen aus dem Wissenschaftsnetz des Ländles. Dieses müsse sich, so erläuterte das zuständige Ministerium für Wissenschaft und Kunst (MWK) auf Anfrage von heise online, auf seine Aufgaben für den Wissenschafts- und Forschungsbereich fokussieren. Es könne "nicht auf Dauer nicht-Netz-spezifische Basisdienste für Dritte erbringen." Die Umorientierung sei notwendig, um Herausforderungen im Bereich Netz- und Informationssicherheit zu bewältigen und "die nächsten Innovationsschritte für ein wettbewerbsfähiges Wissenschaftsnetz" einzuleiten, so eine Sprecherin.

Aufstellung Versorgung der Schulen durch BelWü nach Diensten.

(Bild: Arbeitsbericht 98, Oktober 2021)

In Protestbriefen wandten sich in den vergangenen Wochen offenbar zahlreiche Schulen, Lehrer und schulische IT-Fachleute noch einmal verzweifelt an das MWK, an das Kultusministerium, den derzeitigen Vorsitzenden des "Arbeitskreis der Leiterinnen und Leiter der wissenschaftlichen Rechenzentren in Baden-Württemberg" (ALWR) und sogar ihren Landesvater in Stuttgart. Die Folgen des Rauswurfs bezeichnen sie als dramatisch.

"Für jede betroffene Schule (es handelt sich um weit über 2000 Schulen) muss ein neuer Verwaltungsanschluss gesucht werden, die Server und die Software für die Unterrichtsnetze müssen komplett umkonfiguriert werden, Webauftritte und E-Mail-Konten müssen zu anderen (auch privaten) Anbietern umgezogen werden."

Abgesehen davon, dass damit viel Arbeit für die durch Pandemie und Flüchtlingswelle gebeutelten Lehrkräfte einhergeht, warnen die Autoren der Briefe, werde es teurer für die Schulen bei schlechterem Service. Das hätten viele Schulen im Land bereits leidvoll erfahren. Beispielrechnungen im einschlägigen Forum Linuxmuster.net berechneten einen bis zu 16-fach höheren Preis bei Wahl des unter anderem als Alternative empfohlenen kommunalen Netzanbieters komm.ONE, dem viele wegen seiner Beteiligung an der gescheiterten Bildungsplattform Ella mit Skepsis gegenüberstehen.

Den Schulträgern gegenüber kaum zu vertreten seien überdies die monatlichen Kosten der komm.ONE-Internetanschlüsse. Diese liegen mit 1400 Euro für Glasfaser beziehungsweise 145 EUR für 100/20 Mbit/s-DSL-Leitungen vergleichsweise hoch, rechnete vor einiger Zeit Holger Baumhof vor, der für Netzwerkbetreuung beim Karlsruher Seminar für Ausbildung und Fortbildung zuständig ist.

Die Mehrzahl derer, die sich auf dem Forum intensiv über neue Lösungen austauschen, werden daher wohl zu Vodafone umziehen. Dort seien zwar noch Extraabsprachen wegen benötigter IP-Adressen notwendig. Die Preisgestaltung sei aber transparenter und billiger. Den größer dimensionierten BelWü-Anschlüssen für 400 Euro im Jahr – Moodle-Auftritte und Webdienste eingeschlossen – wird man aber wohl lange nachtrauern.

Es sei durchaus vorstellbar, merkte die Sprecherin des MWK an, dass "die Schulträger für marktübliche Dienste gemeinsame Lösungen finden und hier eine Bündelung" etwa via Komm.One vornehmen. Dass das BelWü so kostengünstig angeboten habe, rühre letztlich von einer Quersubventionierung – und die habe der Landesrechnungshof ausdrücklich gerügt, schreibt das Ministerium.

Dienste vorher und nachher.

(Bild: ARGE Tübingen)

Die Kritiker verweisen in ihren Schreiben allerdings darauf, dass der Rechnungshof die Versorgung der Schulen durch das Landeswissenschaftsnetz keineswegs grundsätzlich in Frage gestellt hat. "Mit ihrer Kompetenz kann die BelWü zu schnellen und flexiblen Lösungen beitragen, wie sie bei der Versorgung der Schulen bewiesen hat", heißt es in der Denkschrift der Rechnungsprüfer, auf die MWK und Kultusministerium verweisen. Außerdem schreiben die Prüfer: "Wenn die BelWü aufgrund ihrer Kompetenz eine bessere Versorgung sicherstellen kann als andere Dienstleister, kann ihr Wirken auch außerhalb des engeren wissenschaftlichen Kundenkreises durchaus sinnvoll und wirtschaftlich sein", schreibt der Rechnungshof allerdings auch.

Dass die öffentlichen Behörden die Dienste am Ende effektiver und wirtschaftlicher anbieten können als das einschließlich seiner acht abgeordneten Lehrer 28 Mitarbeiter starke BelWü, ist kaum vorstellbar. Das – im Vergleich zu Komm.ONE und dem Landes-IT-Dienstleister BitBW – sehr schlanke BelWü hat vielen Schulen zu Beginn der Pandemie den Weg in den Fernunterricht geebnet. Dass die IT-"Helden" der Pandemie jetzt teilweise mit Kündigung rechnen müssen, hebt die Stimmung wenig, berichtet das BelWü im jüngsten Tätigkeitsbericht.

Nicht Sachzwänge, sondern irrationale Befindlichkeiten in den Ministerien seien der Grund, die Schulen auf die Straße zu setzen, heißt es daher in den Beschwerdebriefen. "Es fehlt ganz einfach der politische Wille", unterstreicht Stephan Ertle, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft gymnasialer Eltern (ARGE) im Regierungsbezirk Tübingen, gegenüber heise online. Die ARGE Tübingen ist eine von mehr als einem Dutzend Organisationen, die mit ihrem Vorschlag ans Ministerium den Schulen im Land den Zwangsumzug noch ersparen möchten, beziehungsweise fürchten, dass manche Schule am 1. August ohne Anschluss an Verwaltungs- und pädagogisches Netz dasteht, weil sie es einfach nicht rechtzeitig geschafft hat, umzuschalten.

Sprecher des MWK und des KM erklärten die Besorgnis für unbegründet. Zentrale Komponenten wie das Lernmanagementsystem Moodle oder dienstliche E-Mail-Adressen für Lehrkräfte müssten derzeit noch gar nicht umgezogen werden, versichert die Sprecherin des MWK. Das KM habe zugesagt, perspektivisch entsprechende Dienste bereitzustellen. Bis dahin würden die genannten Dienste weiter durch das BelWü betrieben. Insoweit beruhten die aktuellen Briefe, die das Ministerium erreicht hätten, auf Falschinformationen.

Migrationsfahrplan

(Bild: BelWü)

Der Fahrplan des BelWü sieht vor, Webdienste bereits jetzt sukzessiv abzukündigen. Die Unterstützung für eigene Mailserver der Schulen endet ebenfalls am 1.8.2022. Die längere Übergangsfrist gilt für E-Mail-Konten beim BelWü, die dann durch neue, dienstliche E-Mail-Konten bei der Bildungsplattform ersetzt werden sollen. Das dauert noch, und E-Mails für die Schüler seien erst einmal nicht vorgesehen, sagt ein Sprecher des KM.

Modular werde die neue Bildungsplattform aufgebaut, ein Single-Sign-On-Portal sei kurz vor der Pilotphase, versichert der KM Sprecher und verteidigt auch, dass man statt einem einzelnen Lernmanagementsystem, dem Open-Source System Moodle, auch noch das kommerzielle ItsLearning mit ins Angebot genommen habe. Das kommerzielle Produkt sei "weniger sperrig" als Moodle, meint der Sprecher.

Moodle setze mehr Expertenwissen voraus und die Akzeptanz bei den Schulen, von denen schon rund 1000 das neue System nutzen, belege dies. Moodle nutzten derzeit etwa doppelt so viele, so seine Auskunft. Beim BelWü zählt man aktuell rund 5172 Moodle-Instanzen (einschließlich Hochschulen) bei rund 730.000 angelegten Nutzern und 13 Millionen Zugriffen pro Tag.

Ungeachtet aller Kritik an KM und MWK werden die aktuellen Proteste nicht mehr zu Veränderungen führen, so der Sprecher des KM. Vielmehr werde man Kurs auf die geplante Bildungsplattform halten, auch wenn zuletzt die Absage des Einsatzes von Microsoft 365 durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz noch einmal für gewisse Verzögerungen sorgen werde.

Ob eine seit Januar laufende Petition an den Landtag noch etwas ändert, bleibt abzuwarten. Die Petition ist noch nicht beschieden und übrigens auf den Seiten des Landtags nicht zu finden – "aus Datenschutzgründen!", wie eine Sprecherin des Landtags erklärt.

(bme)