Missing Link: Migration in die Industrie 4.0 – Flüchtlinge als Software-Entwickler gegen Fachkräftemangel

Seite 2: Programmieren als Klavierspiel

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Doch profitabel ist Steinbergers Schule noch nicht. Dafür geben die TeilnehmerInnen umso begeisterteres Feedback. "Programmieren ist für mich wie Musik", erzählt die 17-jährige Leen Raslan nach der Unterrichtstunde. Die junge Syrerin vergleicht ihren Unterricht mit ihrem Klavierspiel. "Jede Note ist wie eine Programmierzeile und wenn du sie kombinierst ergibt sich ein Lied daraus", sagt die junge Frau. "Es ist wirklich spannend: Seitdem ich den logischen Aufbau einer Programmiersprache erlerne, merke ich, wie sich meine Gedankengänge irgendwie verändern. Auf einmal kann ich in meinem Suchen nach Lösungen im Alltag mehr Perspektiven als vorher integrieren. Irgendwie macht mich das Programmieren weiser", sagt sie und lacht. Während ihres arabischen Abiturs hat sie einen schulischen Roboterkurs besucht. In der österreichischen Programmierschule, kann sie

nun ihre Kenntnisse erweitern. Ihr Vater, ein Landwirtschaftsingenieur mit jahrzehntelanger Berufserfahrung in Industrieprojekten, sitzt mir ihr zusammen im Unterricht. "Als ich von diesem Programmierkurs gehört habe, war es für mich, als würde ich einen Diamanten in der Hand halten. Ich wusste, ich würde ihn nie wieder loslassen wollen", sagt Badi Raslan. Alle seine Einnahmen aus seiner Ingenieurstätigkeit hatte er in sein Heimathaus in Syrien gesteckt. Das Haus ist nun von IS-Kriegern okkupiert. Aus diesem Grund beantragte er zusammen mit seiner Tochter einen Asylstatus in Österreich. Badi und und Leen Raslan bewarben sich unabhängig voneinander bei der Schule und durchliefen unterschiedliche Assessment-Center. Erst als sie die Zusage erhielten, wurde ihnen klar, dass sie die nächsten neun Monate gemeinsam die Schulbank drücken würden. "Was für ein Wunder", lacht Raslan.

Räumlichkeiten der New Austrian Coding School

Wer sich mit den TeilnehmerInnen unterhält bekommt schnell den Eindruck, dass viele die Kursinhalte mit den verschiedenen logischen Operatoren als schwierig empfinden. "Sehr anstrengend", und "sehr kompliziert" lautet der gemeinsame Kanon. Im gleichen Atemzug werden aber auch "große Hilfsbereitschaft" der Lehrenden und "das unglaubliche Gemeinschaftsgefühl" unter SchülerInnen und DozentInnen benannt. Das gemeinsame Schicksal der Lernenden schweißt zusammen. Die neun Monate sind wahrhaft kein Spaziergang: Jeden Tag wird von 9 bis 17 Uhr unterrichtet, danach müssen Hausaufgaben gemacht werden und jeden Freitag wird das Gelernte in einer Klausur abgeprüft.

Eine Kirgisin erzählt, dass sie dennoch ihrer Zukunft als Entwicklerin ein wenig mit Sorgen entgegen schaue, da sie nach ihrem Abschluss auf dem Arbeitsmarkt mit einheimischen Österreichern konkurriere. "Ich glaube, da bin ich im Nachteil." Gründer Steinberger bestätigt später im Einzelgespräch, dass auf den SchülerInnen ein großer Druck laste: Sie müssen sich in kurzer Zeit alle relevanten Informatikkompentenzen aneignen, Prüfungen bestehen und danach sofort sich um einen Arbeitsplatz bemühen. Und es bleibt nicht nur bei einer Sprache: der Kurs wird auf Englisch unterrichtet, wer arbeiten möchte, muss Deutsch können.

Die einheimische Sprache kennen jedoch viele SchülerInnen durch ihren offiziellen Asylstatus, dem erfolgten Sprachkurs und der Aufnahme in das österreichische Sozialsystem bereits. Sind sie nicht offiziell anerkannt, können sie von dem Staat in ihrer neunmonatigen Ausbildungszeit an der New Austrian Coding School nicht finanziell unterstützt werden.

Auch die dreizehn Kurse an der Münchener ReDi-Schule werden in englischer Sprache unterrichtet, die weltweite Sprache der Programmierer. Die Chefin der neuen Münchener Filiale, Sophie Jonke, führt durch die Seminarräume in der dritten Etage in einem Münchener Industriequartier. Nebenan sind die Räumlichkeiten des Social Impact Lab, das gezielt soziales Unternehmertum in Deutschland fördert.

Wer Englisch und eine Programmiersprache beherrscht, finde überall auf der Welt einen Arbeitsplatz. Durch eine Glastür sieht man wie drei TeilnehmerInnen von einer Dozentin, eine pensionierte Software-Entwicklerin von Siemens, in Java unterrichtet werden. Im Gegensatz zum wienerischen Bootcamp-Vollzeitkurs, werden die in der ReDi-Schule die Kurse nur zweimal in der Woche am Abend unterrichtet. Wer den offiziellen Asylstatus in Deutschland genießt, muss wöchentlich verpflichtend ebenfalls fünfzehn Stunden einen deutschen Sprachkurs besuchen, sodass nur am Abend Zeit für die digitale Kompetenzen bleibt.

Die ReDi-Schule selektiert BewerberInnen nicht nach ihrem Aufenthaltsstatus. "Bei uns kann jeder lernen, unabhängig ob man gesetzlich als Flüchtling anerkannt ist oder nicht", sagt Jonke. Die Bürowände sind mit bunten Zetteln beklebt, die die Namen aller Mitarbeiter tragen und mit ihren Aufgaben beschriftet sind. Jonkes Kollegen kommen aus Spanien, Brasilien und Mexiko, ihr Team ist ebenso multikulturell wie ihre SchülerInnen, deren Unterricht sie koordinieren. In einem kleinen Eckraum stapeln sich Tassen und Geschirr. "Hier kocht Hasan immer für alle, er ist einer unserer vielen Freiwilligen", erzählt Jonke.

Sophie Jonke im ReDi-Büro

Der unschlagbare Vorteil der ReDi-Schule in München: Sophie Jonke kann sich auf ein breites Netz von deutschen Freiwilligen und Unterstützern verlassen. Ausländische wie auch deutsche Ehrenamtliche putzen, kochen und organisieren Ausflüge. Das hat auch die Verwaltung bemerkt. "Das Erfolgsrezept von ReDi liegt definitiv auch in dem Engagement von 150 freiwilligen Fachleuten begründet" sagt Petra Schütt, Leiterin des Fachgebiets Strukturwandel der Stadt München. Das stetig wachsende Netzwerk ist eine der großen Stärken von ReDI, so Schütt. Auch Jonke hat zuerst als Freiwillige für ReDi in Berlin angefangen, als die Stadt München finanzielle Unterstützung für eine zweite ReDi-Schule anbot, wurde Jonke gefragt ob sie in ihre Heimatstadt zurückkehren wolle.

Das ReDi in München eine zweite Filiale eröffnet hat, ist einem Zufall zu verdanken: die Leiterin des Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramms, hatte einen Zeitungsartikel über Anne Kjaer Riechert gelesen. "Da haben wir uns gedacht: Was für ein tolles Projekt. Und gerade München hat einen unheimlichen Bedarf an Software-Entwicklern", erzählt die zuständige Mitarbeiterin Petra Schütt.

Nach einem ersten Treffen in München mit Anne Kjaer Riechert beantragte die Verwaltung im Stadtrat die Förderung für eine ReDi-Schule in München. "Das war eine sehr unkonventionelle Maßnahme. Aber die Schule hat uns einfach überzeugt", sagt Schütt. Schließlich machte der Münchner Stadtrat unter einer Regierungskoalition aus CSU und SPD 300.000 Euro als Förderung für zwei Jahre locker. In der Redi-Schule wird Schütts Team unter vorgehaltender Hand "unsere bürokratischen Helden" genannt. "Ich bin noch nie auf so viel tolle und kreative Menschen wie in der Münchener Verwaltung gestoßen", sagt Anne Kjaer Riechert. "Andere Städte sind viel zurückhaltender. Die sehen Flüchtlinge eher als Belastung, während München Neuankömmlinge als Chance sieht."

Ein paradiesischer Zustand, von dem die New Austrian Coding School weit entfernt war. "Wir mussten lange Gespräche führen mit dem österreichischen Arbeitsmarktservice. Es hat ungefähr ein Jahr und sehr, sehr viele Termine gedauert bis wir das Okay erhalten haben. Im Grunde war es unsere Beharrlichkeit und wohl auch ein wenig Glück, bis wir jedes Mal in den Gesprächen die verschiedenen Personen, Abteilungen und Ebenen von der Fördermöglichkeit der Ausbildung an der New Austrian Coding School überzeugen könnten." Einfach sieht anders aus.

Petra Schütt von der Stadt München gerät richtiggehend ins Schwärmen, wenn sie von der Programmierschule erzählt. "Das Tolle ist bei ReDi einfach: Da ist so viel Elan drin. Die vermitteln so viel Hoffnung. Und sie erreichen sehr viele TeilnehmerInnen, das ist nicht selbstverständlich." Hat sie einen Tipp für die Stadtverwaltungen anderer Städte? "Ich denke das Wichtigste ist, dass die Spitze, die Leitung der Verwaltung, für innovative neue Ansätze ist. Dann ist vieles möglich."

Der Vorteil von ReDi sei, dass bei der Schule jede und jeder mitmachen kann, Deutsche wie Ausländer, mit oder ohne Arbeit. Die Schule sei nicht nur auf ausschließlich staatlich anerkannte Asylbewerber und Jobcenter-Kunden beschränkt. "Für uns war klar: Die TeilnehmerInnen müssen eine Aussicht auf einen Job in München haben und dann hier arbeiten," sagt Schütt. "Von den 68 TeilnehmerInnen des ersten ReDi Kurses konnten 38 eine qualifizierte Ausbildung oder einen Job beginnen und das ist schon ein beachtlicher Erfolg", sagt Schütt und erwähnt noch einmal die große Anzahl von Unternehmen, die ReDi mit allen möglichen Ressourcen unterstützen.