Missing Link zu Smart Borders: Die Stadt der Zäune und das Land der Träume

Seite 2: Die Absperrung des Hafens

Inhaltsverzeichnis

Das gesamte Hafenareal ist umgeben von meterhohen weißen Gitterzäunen, um Menschen ohne Visum an der Überquerung des Ärmelkanals abzuhalten. Stacheldraht rollt sich in langen Windungen auf den Zaunspitzen entlang. Wer Lastwagenfahrer ist, muss sich schon mehrere Kilometer vor dem Fährterminal auf eine separate eingezäunte Spur einordnen. Die massigen camions bieten die besten Versteckmöglichkeiten für illegale Passagiere und werden dementsprechend am schärfsten kontrolliert.

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Der ehemalige Sicherheitsoffizier steigt auf sein Fahrrad und schultert seinen Turnbeutel. „Übrigens“ fügt er hinzu, "die meisten Geräte stammen aus Deutschland – Siemens." Die Sicherheitsindustrie profitiere am meisten vom strikteren Grenzkontrollen. Er setzt seinen Helm auf und fährt los, zur Fähre nach Dover. "Mehr darf ich nicht sagen, ich habe einen Verschwiegenheitsvertrag auf Lebenszeit unterzeichnet“. Der Wind weht, Möwen fliegend kreischend über die Kolonnen von wartenden Fahrzeugen vor der Fähre hinweg. „Und noch was”, ruft er mir aus einiger Entfernung zu, als er mit seinem Fahrrad noch eine Runde zurück dreht: “Hundenasen schlagen jede modernste Technik der Grenzpolizei.“

Ich überquere den Parkplatz vor dem Fährterminal, vorbei an den wartenden Privatautos und ihren Passagieren, die sich gähnend die Beine vertreten, bevor sie auf die Fähre dürfen. Endlos führt mein Weg in an den weißen Gitterstäben entlang. Je weiter man sich vom Hafen entfernt, umso mehr verläuft man sich in dem Labyrinth aus Hügeln, aus grünem Gras und den meterhohen, teilweise doppelt gereihten Zäunen.

Die Abschottung des Hafens ist der britischen Regierung einiges wert: Satte 55 Millionen wurde Frankreich im Januar 2018 versprochen, um die Absperrungen aufzurüsten „Wir werden die Sicherheitsarchitektur aufstocken und noch mehr Überwachungskameras, Infrarottechnologie und mehr Zäune in Calais installieren“, sagte Theresa May anlässlich der Erneuerung des Vertrags von Touquet. Das Abkommen erlaubt beiden Ländern die Überprüfung der Reisenden auf dem jeweiligen anderen Staatsgebiet.

„Schicken Sie die Rechnung für diesen Ausbau des Hafens von Calais an Angela Merkel“, ätzte der konservative Abgeordnete Andrew Bridgen danach. Seine Aussage zeigt, wie trotz des drohenden Brexits Europa in der Flüchtlingsfrage immer noch eng miteinander verflochten bleiben wird. Für die Verteidigung seiner Interessen braucht Großbritannien das EU-Territorium.

Beim Ausbau der Zäune orientiert sich die britische Regierung an der Hightech-Mauer entlang des Gazastreifens von Israels. Thermische Erkennungsgeräte, die an den Zäunen um den Hafen rund herum montiert sind, erkennen Temperaturunterschiede. Die Wärmebildkameras funktionieren wie normale Kameras, nur dass sie ausschließlich langwellige Strahlung aufnehmen und in unterschiedlichen Grautönen darstellen. Ihr Blitz besteht aus Infrarotlicht. Auf dem Bildschirm der Zollbeamten werden die graustufigen Bilder dann künstlich eingefärbt – je röter ein Fleck, umso höher die Temperatur der Wärmequelle. Das thermische Aufspüren funktioniert auch bei vor kurzem verlassenen Stellen, zum Beispiel, wenn ein kalter Stacheldrahtzaun besonders lange von einer warmen menschlichen Hand umklammert war.

(Bild: Port Boulogne Calais (Screenshot aus Video))

Menschen, die legal reisen, dürfen durch eine gläserne Drehtür gehen, durch die man in das beheizte Fährterminal gelangt. Links und rechts hängen Bildschirme, auf denen Gratis-WLAN und renovierte Social-Media-Kanäle angepriesen werden. Ab jetzt kann man dem Hafen „Port Bolougne-Calais“ auf Instagram und Twitter folgen. Auf den Instagram-Account gibt es selbstverständlich keine Fotos von ertrunkenen Migranten oder Informationen über zerquetschte Menschen in LKW-Anhängern. Auf Twitter erinnert der Hafen-Account ausschließlich an das Wetter und daran, dass die Passagiere in regelmäßigen Abständen die Passdokumente für Haustiere bereit zu halten haben. Die gesamte Homepage des Hafens liest sich wie eine Seite eines Wellness-Spa-Zentrums: Austerngerichte auf der Fähre werden angepriesen und es gibt Kultur-Tipps, was man als Engländer in Frankreich wissen sollte („rechts fahren!“) und einen Instagram-Wettbewerb („reiche das schönste Foto der Fähre ein“).

Ich kaufe mir ein Ticket und werde von einer “Sicherheitsdame” in neonorangener Weste und Funkgerät in der Hand durch die britische Zollkontrolle eskortiert, die sich in Kurven kilometerweit bis zum Ufer erstreckt. Keinen Schritt dürfen wir sechs zu Fuß reisende Passagiere auf dem Terminal alleine machen. Ich befinde mich entweder im Gänsemarsch hinter der Aufseherin oder in einem Bus, der uns von der Gepäckkontrolle bis zur Passkontrolle fährt. “Illegale Migranten bleiben draußen – wir heißen die willkommen, denen es erlaubt ist, zu bleiben, ihre britische Regierung” lese ich an einem offiziellen Wandschild neben dem gestressten Grenzoffizier, der meinen Ausweis prüft. Hunderte von niederländischen Schulkindern stehen mit mir in einer Schlange, kreischend und lachend.

Jeder Lastwagen muss durch eine Art Garagentür fahren, bevor er auf die Fähre darf. Eine Rollwand fällt automatisch herunter und wieder hoch, um die schweren Lastwagen einzeln hindurch zu lassen. Hier drinnen, von der Außenwelt ausgeschlossen, wird jeder Lastwagen mit Millimeterwellen geröntgt. Jeder Lastwagenfahrer muss zwischen zwei großen schwarzen Scheiben entlang fahren, die ähnlich wie Solarpanels aussehen. Die Wände registrieren die kurzen Terahertzfrequenzen eines Lebewesens, das sich im Laderaum versteckt. Von den Scheiben wird keine aktive Strahlung ausgesandt, wie sie beim medizinischen Röntgen stattfindet, sondern die Technik empfängt die natürliche Eigenstrahlung menschlicher Körper. Passive Strahlung nennt man dieses Verfahren, ein Vorgang, bei dem nicht direkt in den Organismus des Flüchtlings eingegriffen wird.

Eine weitaus effektivere, aber gefährlichere Methode, Menschen hinter LKW-Planen aufzuspüren, ohne das Fahrzeug öffnen zu müssen, ist die Gammastrahlung. Doch dieses Instrument verbot Frankreich aufgrund von EU-Normen der britischen Grenzpolizei vor einigen Jahren, da die Strahlen aktiv durch den Körper dringen. Der konservative Abgeordnete für Dover, Adam Holloway, erklärte damals, die Entscheidung zeige, „dass die französischen Behörden erneut das Problem der Immigration auf Großbritannien abwälzten“. Die Aussage zeigt das historisch gewachsene Misstrauen, das viele Briten gegenüber Frankreich hegen.